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Politik

„Auch konservative Migranten interessieren die CDU nicht“

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Im Vorfeld der hessischen Landtagswahlen, die zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfinden, interviewte das DTJ die Spitzenkandidaten aus Hessen. Das DTJ sprach mit Thorsten Schäfer-Gümbel, Spitzenkandidat der hessischen SPD. (Foto: facebook)

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Im Vorfeld der hessischen Landtagswahlen interviewte das DTJ die Spitzenkandidaten. Das DTJ sprach mit Thorsten Schäfer-Gümbel, Spitzenkandidat der SPD.
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Schon früh nach dem Krieg gelang es der SPD, sich in Hessen als gestaltende politische Kraft in Szene zu setzen. 1947 wurde der hessische Justizminister Georg August Zinn anstelle des favorisierten Willy Knothe zum hessischen Landesvorsitzenden gewählt. 1950 konnte dieser als Spitzenkandidat trotz einer lediglich leichten Steigerung mit lediglich 44,4 % eine absolute Mehrheit im Landtag erringen. Es war die Wiedergeburt des „Roten Hessens“ der Zwischenkriegszeit.

Durch die Einbindung der Vertriebenenpartei GB/BHE in die Landespolitik konnte Zinn insbesondere die zahlreichen Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten für die SPD gewinnen. Bis zu seinem krankheitsbedingten Rücktritt 1969 konnte Zinn der SPD die absolute Mehrheit im Wiesbadener Landtag sichern. 1970 verlor sie diese, Nachfolger Albert Osswald musste die FDP zu einer sozial-liberalen Koalition bewegen. Osswald trat 1976 zu Gunsten Holger Börners zurück, der 1985 entgegen seiner Wahlkampfversprechen die erste rot-grüne Koalition bildete, die jedoch 1987 am Streit über die Genehmigung für das Hanauer Nuklearunternehmen Alkem zerbrach. Im gleichen Jahr fand sich die Partei in der Opposition wieder, um 1991-1999 mit Hans Eichel an die Regierung zurückzukehren.

Nach der historischen Niederlage 2003, als die SPD die Wut über Rot-Grün im Bund abbekam, folgte 2008 das unwürdige Schauspiel der Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti, die auf Grund des mutigen Widerstandes von vier Abgeordneten keine Mehrheit für eine, vor der Wahl von ihr selbst ausgeschlossene, rot-grüne Koalition unter Tolerierung durch die Linke zustande brachte.

Nach der fulminanten Pleite Ypsilantis wurde Thorsten Schäfer-Gümbel als Verlegenheitskandidat ins Rennen geschickt und holte sich 2009 eine 23,7%-Schlappe ab, die eigentlich Ypsilanti galt. Ungeachtet der ungünstigen Ausgangsposition gelang es ihm jedoch in den Jahren darauf, den Landesverband wieder zu stabilisieren. Umfragen sehen die SPD in Hessen derzeit stabil über 30%.

Das DTJ sprach mit Thorsten Schäfer-Gümbel.

Die SPD hat auf ihrer diesjährigen Liste sieben türkischstämmige Kandidaten. Hat sie vielleicht auch noch besondere Wahlversprechen insbesondere für die Wählerschaft aus dieser Community, wie zum Beispiel etwa die doppelte Staatsbürgerschaft oder Anerkennung der Abschlüsse?

Weitergehende Beteiligungsrechte von Migrantinnen und Migranten sind für uns das Kernstück von Integrationspolitik. So befürworten wir beispielsweise das Kommunalwahlrecht für Nicht EU-Ausländer, aber auch die Erweiterung der Rechte der Ausländerbeiräte in der Hessischen Gemeindeordnung. Wir stehen außerdem für die doppelte Staatsbürgerschaft und wollen die im Staatsangehörigkeitsrecht existierende Optionspflicht wieder abschaffen.

Ein Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist auch in Hessen für die in die Zuständigkeit der Länder fallenden Berufe bereits in Kraft getreten. Die Änderungsvorschläge der SPD zu diesem Gesetz sind dabei weitgehend übernommen worden. Die SPD hatte sich etwa dafür eingesetzt, dass Menschen die Möglichkeit einer Beratung im Verfahren und im Falle der Ablehnung die Möglichkeit der Nachqualifizierung erhalten.

Die SPD ist zum größten Teil für die doppelte Staatsbürgerschaft. Wäre ein regionales, lokal gebundenes Wahlrecht für ausländische Mitbürger eine Alternative?

Wir haben uns in sowohl im Wahlprogramm des Landes als auch des Bundes klar für ein Ja zur doppelten Staatsbürgerschaft ausgesprochen. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit hat, hat damit verbunden auch alle Beteiligungsrechte. Unabhängig davon stehen wir wie gesagt für ein Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer und für eine Erweiterung der Rechte der Ausländerbeiräte.

Viele Migranten fühlen sich im Bildungs- und Gesundheitssystem stark benachteiligt. Gibt es hierfür Reformansätze? Wie müssten diese aussehen?

Kein Kind zurückzulassen ist für uns eine der obersten Aufgaben. Dies setzen wir vor allem in der Bildungspolitik um. So wollen wir ein inklusives Schulsystem aufbauen, um ethnischer und sozialer Benachteiligung entgegenzuwirken, individualisierte Förderstrategien entwickeln und umsetzen zu können und die existierende soziale Auswahl des Schulsystems zu beseitigen.

Im Gesundheitssystem sollte unbedingt eine Förderung des medizinischen Personals im interkulturellen Umgang mit Patientinnen und Patienten stattfinden. In der Pflegeberatung wären fremdsprachige Betreuungsangebote wichtig. Bei der Frage der medizinischen Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus ist die Möglichkeit der Einführung eines anonymen Krankenscheins zu prüfen.

Diskriminierung, soziale Ungleichheit und Ausgrenzung sind in Deutschland leider immer noch ein Thema. Diese Themen führen angesichts der zunehmenden Auswanderungsneigung einer nicht zu unterschätzenden Zahl an hoch qualifizierten Migranten zum Brain- Drain. Wie kämpfen Sie gegen diese gesellschaftliche Ungleichheit an?

Die Bekämpfung von Diskriminierung, soziale Ungleichheit und Ausgrenzung in Deutschland ist uns ein wichtiges Anliegen. Wir sehen in der Arbeit des Netzwerks gegen Diskriminierung einen wichtigen Bestandteil der Antidiskriminierungsarbeit in Hessen. Eine Unterstützung des Netzwerks mit Fördermitteln des Landes ist überfällig. Zudem wäre zu prüfen, ob mit einem Landesantidiskriminierungsgesetz wirksam gegen solche Diskriminierung vorgegangen werden kann, die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht gedeckt sind.

Immer mehr Politiker fordern gerade in Polizei, juristischen Einrichtungen und Verwaltungsbehörden die öffentliche Präsenz von Mitarbeitern aus Einwandererfamilien, um eine Steigerung des Sicherheitsempfindens und eine Gewährleistung der Gleichberechtigung in Deutschland zu erreichen. Wie ist Ihre Haltung zu dieser Forderung?

Die SPD-Fraktion hat sich in dieser Legislaturperiode bereits mehrfach dafür ausgesprochen, mehr Polizeibeamte mit Migrationshintergrund einzustellen. Dazu stehen wir.

Die generelle Partizipation bei den Wahlen lässt zu wünschen übrig. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?

Dies ist in der Tat eine für die Demokratie gefährliche Entwicklung. Die SPD setzt sich daher dafür ein, mehr Mitspracherechte zu erwirken. So haben wir in dieser Legislaturperiode Gesetzentwürfe und Änderungsanträge eingebracht, die die Senkung der Quoren für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide einerseits und Volksbegehren und Volksentscheide andererseits beinhalteten. Zudem haben wir mit der oben bereits angesprochenen Erweiterung der Rechte der Ausländerbeiräte auch eine höhere Wahlbeteiligung bei den Ausländerbeiratswahlen angestrebt. Leider fand der entsprechende Änderungsantrag zur Hessischen Gemeindeordnung keine Mehrheit im Hessischen Landtag.

Das Wahlverhalten der türkischstämmigen Wähler hat sich nach unseren Ermittlungen stark verändert. Aus ehemals überwiegenden SPD-Wählern sind nun auch CDU-, Grünen- und FDP-Wähler geworden. Mit welcher Botschaft würden Sie noch nicht entschlossene Wähler aus dem Einwanderermilieu für die SPD begeistern wollen?

Gerade türkischstämmige Wähler sind häufig konservativ, so könnten sie überlegen, CDU zu wählen. Eine wirkliche Interessenvertretung der Menschen mit Migrationshintergrund ist die CDU jedoch nicht. So ist sie:

– Gegen ein Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer

– Gegen die Einführung der Doppelten Staatsbürgerschaft

– Gegen die Abschaffung der Optionspflicht

– Gegen die Erweiterung der Rechte der Ausländerbeiräte

– Gegen ein gerechteres Bildungssystem für Kinder aus sozial schwachen Familien.

In all diesen Punkten steht die SPD jedoch an der Seite der Menschen mit Migrationshintergrund und somit auch an der Seite türkischstämmiger Wählerinnen und Wähler. Sie ist für diese die richtige Wahl.

Hier die Spitzenkandidaten aller großen Parteien in Hessen:

In Hessen tritt eine besonders weit rechts stehende CDU und eine sich daran anpassende FDP gegen eine besonders etatistische rot-grüne Opposition an.