Politik
Das Zwitterwesen HDP
Der Co-Vorsitzende der HDP Selahattin Demirtaş sprach am Freitag vor Anhängern in Berlin. Die Wahlkampfveranstaltung gab interessante Einblicke in das Wesen der pro-kurdischen Partei, der man unterstellt, der zivile Arm der PKK zu sein.
Die HDP polarisiert. Für die einen ist sie der politische Arm der terroristischen PKK, für die anderen die große Hoffnung auf eine demokratische Türkei. Abgesehen von der AKP wurde keine türkische Partei vor und nach den Wahlen vom 7. Juni so genau beobachtet, analysiert und beurteilt wie sie.
Was für eine Partei ist die HDP? Ist sie eine kurdische Partei? Ist sie eine türkische Partei? Ist sie eine kurdisch-nationalistische Partei? Oder vielleicht sogar eine linke Partei? Ist sie eine Partei des Friedens? Doch wie steht sie dann zum Terror der PKK?
Ich hatte letzten Freitag Gelegenheit, einer Rede ihres Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş in Berlin beizuwohnen, seine Anhänger zu beobachten. Er war zu einer Wahlveranstaltung nach Berlin gekommen, um in einer Halle in unmittelbarer Nähe des Neuköllner Hermannplatzes aufzutreten. Sie war voll, so voll, dass nicht mal eine Nadel auf den Boden hätte fallen können. Etwa 1500 Menschen sollen vor Ort gewesen sein.
Gastredner Cem Özdemir lobt die HDP
Zuerst sprach der Ko-Vorsitzende von Bündnis ’90/Die Grünen Cem Özdemir. Er lobte die Partei für ihre friedliche und moderne Politik; sagte, die meisten Umweltanträge im türkischen Parlament kämen von der HDP. Sie trete für die Rechte der Minderheiten ein, auch für die Homosexueller. Er sprach sich gegen Atom-Kraftwerke und Staudämme in der Türkei aus. Gott habe der Türkei genug Sonne und Wind gegeben, die es zu nutzen gelte.
Vor allem aber stellte Özdemir fest: Die kurdische Frage kann nur durch zivile Politik gelöst werden. Er kritisierte die Gewalt seitens der Regierung, aber auch die Bewaffnung von jungen Menschen durch die PKK.
Kinder in Guerilla-Uniformen
Özdemir bekam Applaus für seine Rede, mit einer Ausnahme: Als er sagte, die PKK solle wenn nötig eine einseitige Feuerpause erklären. In diesem Moment wurde er von einer Gruppe im Saal lautstark ausgebuht.
Im Publikum sah man bunt gekleidete Menschen, Frauen sowohl mit als auch ohne Kopftuch. Menschen, die Fahnen in den Farben Rot, Gelb und Grün um den Hals gewickelt hatten, die kurdischen Nationalfarben. Man sah auch kleine Jungs und Mädchen, etwa 10-12 Jahre alt, die Uniformen von Guerilla-Kämpfern trugen, wohl als eine Art PKK-Folklore. Für kurze Zeit war sogar eine Fahne mit dem Konterfei von Abdullah Öcalan zu sehen, dem verurteilten Führer der PKK, der lebenslänglich auf der Gefängnisinsel İmralı sitzt. Türkische Fahnen waren hingegen nicht zu sehen.
Demirtaş wie ein Popstar gefeiert
Als dann Selahattin Demirtaş die Bühne betrat, wurde er wie ein Superstar bejubelt. Wie bei einem Popkonzert hielten hunderte ihre Handys in die Höhe, um Fotos von ihm auf der Bühne zu machen. Er wurde als Chef der Partei begrüßt, begann seine Rede auf Kurdisch und setzte sie dann auf Türkisch fort. An einer Stelle fielen Worte wie „Bijî Serok Apo“, also „Es lebe der Führer Apo“. Apo ist der Spitzname Abdullah Öcalans.
Die Rede an sich war sehr ausgewogen; eine Rede, die außer den Wählern der AKP wohl die meisten unterschreiben würden. Demirtaş sprach von Frieden, von Brüderlichkeit, von Toleranz gegenüber unterschiedlichen Identitäten. Die Wahlen am 1. November werden richtungsweisend für die Türkei sein, so der ehemalige Menschenrechtsanwalt aus Elazığ. Entweder werde mit der Opposition eine demokratische Türkei gewinnen, oder das Land werde mit der AKP zu einem Sultanat Tayyip Erdoğans.
Er lobte die HDP-Wähler und sprach ihnen Mut zu. Verlangte, nicht nur zur Wahl zu gehen, sondern auch andere vom Gang an die Wahlurne zu überzeugen. „Wenn ihr Eure Bemühungen verdoppelt, so versprechen wir dritte Kraft im Parlament zu werden“, versprach er seinen Anhängern.
Auch die Einschätzung, dass die AKP in der momentanen Situation mit dem Rücken zur Wand steht, teilte Demirtaş seinen Zuhörern mit: „Wir könnten auch acht Prozent bekommen statt 13 Prozent oder mehr. Dann würden wir das akzeptieren, unsere Fehler analysieren, sie beseitigen und bei den nächsten Wahlen wieder hochkommen. Aber die AKP hat keine andere Wahl als zu gewinnen. Verlieren sie die Wahl, so wissen sie, dass sie sich vor den Gerichten wieder finden werden.“ In diesem Zusammenhang erwähnte er, dass in der Regierungszeit der AKP fast 400 Kinder durch Kugeln von Sicherheitskräften ums Leben gekommen sind.
Die HPD gleicht einem Zwitterwesen
Um auf die Anfangsfragen zurückzukommen: Was für eine Partei ist eigentlich die HDP? Ist sie eine kurdisch-nationalistische Partei oder eine Partei von Türken, Kurden und anderen Minderheiten, die eine moderne Politik macht? Steht sie für Frieden oder ist sie die PKK mit zivilem, demokratischem Anstrich?
Mein Eindruck: Sie ist ein Zwitterwesen.
Sie ist von allem etwas. Was aus dieser Partei wird, hängt auch von den Reaktionen der türkischen Politik und Mehrheitsgesellschaft ab. Behandelt man sie wohlwollend, so könnte sie Menschen in den Bereich der zivilen Politik ziehen, die man sonst nicht erreichen würde. Behandelt man sie abweisend, so wird der Spalt zwischen Türken und Kurden tiefer.
Die wohlwollende Sichtweise ist meines Erachtens nach die richtige.