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Politik

Der Exodus der Türkei-Korrespondenten

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Hasnain Kazim hat die Türkei verlassen, weil ihm die Behörden einen Presseausweis verweigern. Der Spiegel-Korrespondent ist kein Einzelfall: Der türkische Staat geht zunehmend auch gegen kritische Presse aus dem Ausland vor.

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Spiegel-Korrespondent Hasnain Kazim
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Der Türkei-Korrespondent des Nachrichtenmagazins Der Spiegel hat das Land verlassen und wird ab sofort von Wien aus berichten. „Wir haben uns entschieden, Hasnain Kazim aus Istanbul abzuziehen“, teilte Spiegel Online-Chefredakteur Florian Harms in einer Stellungnahme mit. Grund für die Entscheidung sei, dass die türkischen Behörden Kazims Akkreditierung als Korrespondent nicht verlängern, obwohl er dies eigenen Angaben zufolge bereits vor drei Monaten beantragt habe. Damit verfällt auch seine Aufenthaltsgenehmigung für die Türkei.

Kazims Antrag werde offiziell zwar weiter bearbeitet, aber weder er noch der Spiegel rechneten mit einer Bewilligung. Von staatlicher Seite kam bisher keine Begründung für die Verzögerung, doch der 41-Jährige und sein Arbeitgeber sind überzeugt, dass es sich um ein politisch motiviertes Vorgehen gegen ihn handelt. „Das Verhalten der türkischen Behörden lässt für uns keinen anderen Schluss zu, als dass unser Korrespondent aufgrund seiner journalistischen Berichterstattung vor Ort nicht mehr erwünscht ist“, heißt es dazu im Statement von Spiegel Online. Mehr noch: Aus deutschen und türkischen Sicherheitskreisen habe er erfahren, dass ihm ein Prozess wegen Unterstützung einer Terrororganisation – ein erprobtes Mittel, um kritische Journalisten mundtot zu machen – bevorstehe, sollte er das Land nicht verlassen.

Das Auswärtige Amt scheint diese Befürchtung ernst zu nehmen. Der Zeitung Die Zeit zufolge hat ein deutscher Diplomat Kazim und seine Familie bis zur Passkontrolle am Istanbuler Atatürk-Flughafen begleitet, da befürchtet wurde, dass die türkischen Behörden seine Ausreise verhindern könnten.

Wenn Journalisten zu Hassobjekten werden

Hasnain Kazim, einer der bekanntesten Türkei-Korrespondenten der deutschen Medienlandschaft, ist ein dezidierter Kritiker Erdoğans und der AKP-Regierung. Bereits mehrfach wurde er deshalb selbst Zielscheibe politischer Agitation und Hetze gegen ihn, die zum Teil aus Regierungskreisen initiiert wurde. Schon wenige Monate nach Antritt seines Postens vor zweieinhalb Jahren war er heftigen Anfeindungen ausgesetzt, nachdem er einen Artikel über das Grubenunglück von Soma mit dem Zitat eines Demonstranten vor Ort überschrieb: „Scher dich zum Teufel, Erdoğan!“ Zwar war dies klar als Zitat gekennzeichnet, aber das hielt die türkische Regierung und ihre Anhänger nicht davon ab, Front gegen ihn zu machen und durchweg zu behaupten, es handele sich um eine Aussage Kazims. Da die Kampagne gegen ihn so weit führte, dass er Todesdrohungen erhielt, sah sich der Spiegel gar gezwungen, ihn kurzzeitig aus der Türkei abzuziehen, da seine Sicherheit nicht mehr garantiert werden konnte.

Während seines gesamten Aufenthalts in der Türkei war er Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt, auch von Deutschtürken in sozialen Medien. Eine Unterscheidung zwischen Regierung und Land wurde dabei nicht getroffen, Kazim hat man vorgeworfen, gegen die Türkei zu agitieren und anti-türkische Propaganda zu betreiben. Der Spiegel wiederum schlug Kapital aus den Anfeindungen gegen seinen Korrespondenten und machte Reklame mit ihnen. Auf einem Werbeplakat des Magazins, das deutschlandweit prominent platziert wurde, prangte neben einem Bild Kazims ein Zitat aus einem Leserbrief: „Wenn wir dich auf der Straße sehen, schneiden wir dir die Kehle durch.“

Doch Kazim ist bei weitem nicht der einzige ausländische Journalist, der mit dem Hass der AKP-Anhängerschaft und staatlicher Repression konfrontiert wurde. So wurde die niederländische Journalistin Fréderike Geerdink, laut eigener Aussage lange Zeit die einzige ausländische Journalistin in Diyarbakır, 2015 zweimal inhaftiert, nachdem Antiterroreinheiten ihre Wohnung durchsucht hatten. Ihr wurde vorgeworfen, Propaganda für eine Terrororganisation betrieben zu haben, unter anderem wegen eines Interviews mit dem KCK-Vorsitzenden Cemil Bayık. Ähnlich erging es den Vice-Reportern Mohammed Rasool, Philip Pendlebury und Jake Hanrahan, die im vergangenen August in der Südosttürkei verhaftet wurden. Weil sie über Kämpfe zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK berichtet hatten, wurden sie ebenfalls wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda verhaftet. Pendlebury und Hanrahan wurden nach wenigen Tagen wieder freigelassen und verließen die Türkei, Rasool hingegen verbrachte mehr als vier Monate hinter Gittern.

Ein Interview mit Bayık war auch ein gefundenes Fressen für die AKP-treue Presse, als es gegen Deniz Yücel, den Korrespondenten der WeltN24-Gruppe, ging. Nachdem er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Angela Merkel und Ahmet Davutoğlu eine kritische Nachfrage stellte (auf die zu antworten sich Davutoğlu veranlasst sah, obwohl sie sich an Merkel richtete) war er von türkischen Medien zum Abschuss freigegeben worden. AKP-Sprachrohre von Yeni Şafak bis Yeni Akit hetzten gegen ihn und waren sich nicht zu schade, selbst einen Übersetzungsfehler des Regierungsdolmetschers auszuschlachten. Die Zeitung Star diffamierte ihn als „PKK-Anwalt“ und führte dazu ein Foto an, das ihn bei einem Interview mit Cemil Bayık zeigt. Yücel ergeht es ähnlich wie Kazim, auch er wartet bisher vergebens auf einen neuen Presseausweis. Momentan hält er sich ebenfalls in Deutschland auf.

Die Reihen lichten sich

Die Liste lässt sich weiterführen: FAZ-Korrespondent Michael Martens ist wegen der Behinderung seiner Arbeit bereits letzten Sommer nach Athen übergesiedelt, Boris Kálnoky ist seit letztem Jahr in Budapest. Silje Rønning Kampesæters, Korrespondentin des norwegischen Aftenposten, verließ die Türkei letzten Monat – auch sie erhält keine Akkreditierung. Man könne ohne Probleme Korrespondenten in Ländern wie Russland und China stationieren, aber im NATO-Land Türkei sei das nicht mehr möglich, zitiert n-tv den Aftenposten-Chefredakteur Espen Egil Hansen.

Das Korrespondenten-Netz in der Türkei wird zunehmend dünner. Nachdem die einheimische Presse nun weitestgehend gleichgeschaltet ist, lichten sich auch die Reihen kritischer Journalisten aus dem Ausland, die in der Türkei noch frei berichten dürfen. Wenn sich westliche Medien mittlerweile zweimal fragen müssen, ob sie die Sicherheit ihrer Korrespondenten in der Türkei gewährleisten können, und im Zweifelsfall davon absehen werden, Reporter zu entsenden, dann hat Erdoğan nicht nur den Kampf gegen die Pressefreiheit innerhalb der Türkei gewonnen. Dann hat er auch einen Sieg gegen seine Kritiker im Ausland eingefahren – aber zu dem Preis, dass die Türkei endgültig nur noch in einem Atemzug mit Iran und Saudi-Arabien genannt werden wird.