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Gesellschaft

Mord hat keine Ehre

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Wie tief muss ein Mensch gesunken sein, um mit einem anderen Menschen so bestialisch umzugehen?

Eine Horrortat, die man nicht „einmal seinem Feind antun“ würde, wie eine türkische Redewendung besagt.

Was ist passiert? Ein Mann hat am Sonntagabend in Hameln seine Frau, die getrennt von ihm lebte, mit einem Messer verletzt und anschließend mit einem Seil an sein Auto gebunden. Augenzeugen zufolge soll er sie 250 Meter weit mit bis zu 80 km/h durch die Straßen geschleift haben. Die Frau wurde lebensgefährlich verletzt. Fast bestialischer als die Tat an sich: Das gemeinsame Kind saß während der Fahrt im Auto und bekam alles mit. Der Mann ging davon aus, dass die Frau die Tortur nicht überlebt hat und stellte sich der Polizei in der Gewissheit, dass sie tot ist.

Beziehungstaten sind so alt wie die Menschheit selbst. Macht es etwas aus, dass Täter und Opfer kurdische Wurzeln haben?

Ja, denn eine Person, die dem Opfer nahesteht, sagte gegenüber der „Deister-Weser-Zeitung“: „Es ging auch um die Ehre des Mannes. Das ist in unserem Kulturkreis so.“

Einen Mord, der in diesem Fall zum Glück nicht eingetreten ist (das Opfer schwebt weiter in Lebensgefahr), mit der gekränkten Ehre oder dem Kulturkreis zu erklären oder gar zu legitimieren, macht fassungslos. Ein Mord hat keine Ehre. Ein Mord kann auch keine Ehre wiederherstellen!

„Wenn ich gegen Missbrauch und Gewalt bin, muss ich das auch zeigen“

Der Meinung ist auch Kazım Erdoğan vom Verein „Aufbruch Neukölln“ in Berlin. Er leitet seit Jahren eine Selbsthilfegruppe für Männer, die als „Väter- und Männergruppe“ bekannt geworden ist. Es kommen sowohl Türken als auch Deutsche. „Ich habe von der Tat in Hameln gehört. Eine unfassbare Geschichte. Man kann sie nicht scharf genug verurteilen“, so der Psychologe gegenüber DTJ. „Gewalt hat weder eine Religion noch eine Nation. Es betrifft uns alle. Eigentlich müsste es Massenproteste geben, die Menschen müssen auf die Straßen gehen. Berichterstattung reicht hier nicht aus. Wenn ich gegen Missbrauch und Gewalt bin, muss ich das auch zeigen.“

Doch warum ereignen sich solche Dramen wie die in Hameln? Erdoğan: „Es beginnt in der Familie. Die Menschen wachsen in einem Umfeld auf und übernehmen bestimmte Verhaltensmuster. Auch das Fernsehen und die Medien spielen eine Rolle. In fast jeder Serie kommen Intrigen, Lügen und Waffen vor. Das prägt das Unterbewusstsein der Menschen. Ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Weg ist.“

Erdoğan fehlen Lösungsansätze. Präventivmaßnahmen würden wenn überhaupt nur am Rande behandelt. Maßnahmen, die er selbst seit Jahren an den Mann bringt. „Ich kenne viele Männer, die sich bereits eine Waffe zugelegt hatten, um ihre Frauen zu töten. Menschen, die ähnliche Probleme haben, müssen zusammenkommen und über diese Dinge sprechen. Man kann es nur in der Gruppe angehen. Die Menschen brauchen ein Ventil, da muss jeder seinen eigenen Weg gehen. Unzufriedenheit, Ärger und Wut führen auf Dauer zu Kurzschlussreaktionen. Das verträgt die menschliche Psyche nicht.“

Was kann man als nicht unmittelbar Betroffener tun?

Eine wichtige Aufgabe komme hier auch auf Menschen zu, die nicht von diesen Problemen betroffen sind. „Sie müssen ein Ohr haben und den Menschen zuhören. Mit Verurteilungen und Abweisungen ist niemandem geholfen. Tabuthemen entwickeln sich doch genau aus diesem Grund. Wir Menschen müssen füreinander da sein.“

Kazım Erdoğan will seine Erfahrungen auch im Alter von 63 Jahren weitergeben und für seine Mitmenschen da sein – „für eine gewaltfreie und demokratische Familie und Gesellschaft“.


Foto: Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden/dpa