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Politik

Der Mauerfall und die Kräfte des Bösen in Europa

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Der Mauerfall ist ein Glücksfall, aus dem politische und gesellschaftliche Verantwortung erwächst, anderen Ländern zu helfen, damit dort auch die Mauern fallen. Und wie sieht es mit den eigenen noch nicht eingebrochenen geistigen Mauern aus? (Foto: dpa)

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Zehntausende irakische Christen sind vor den Repressalien der Terrororganisation IS aus ihrer Heimat geflohen. Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, verurteilt die Vertreibung der irakischen Christen als unislamisch.
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GASTBEITRAG Der 9. November ist ein Tag in der Deutschen Geschichte mit zahlreichen Facetten. Am 9.11.1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am Reichstag die Republik aus. 1923 wollte sich Hitler an die Macht putschen, am 9. November 1938 prügelten Nazis jüdische Mitbürger zu Tode und zündeten Synagogen an. 1989 fiel die trennende Mauer in Deutschland.

Für die Deutschen ist der Mauerfall und die friedliche Revolution in der Tat ein Glücksfall. Dies ist mir nochmals klar geworden, als ich am vergangenen Sonntag der zentralen Gedenkveranstaltung in Berlin, wo unter anderem auch die Bundeskanzlerin sprach, beiwohnte. Aber bei all den berauschenden Feierlichkeiten darf heute auch eine unbequeme Frage gestellt werden: Ist es nicht auch unsere Pflicht nachzudenken, ob aus dem Mauerfall nicht auch eine politische und gesellschaftliche Verantwortung erwächst, anderen Ländern und Menschen zu helfen, damit dort Ähnliches erwächst, damit dort ähnlich wie in Deutschland die Mauern fallen? Und wie sieht es mit den eigenen, noch nicht eingebrochenen geistigen Mauern auch in Deutschland aus? Mit großer Sorge sehe ich, dass die Kräfte des Bösen, vor allem der Nationalismus, in Europa wieder Oberhand gewinnen. Wir erleben auch hierzulande wieder eine Zeit, in der Moscheen und Synagogen angegriffen werden, Nazigedankengut verbreitet wird und Pseudoreligiöse nichts anderes machen als das, was wir stets beim Faschismus am meisten verachtet haben: Gewalt an Unschuldigen für höhere „Weihen“ zu rechtfertigen.

Mauern im Heiligen Land

Der deutsch-argentinische Dirigent und Pianist Daniel Barenboim, ein großer Visionär, schrieb kürzlich, dass im Heiligen Land und vielen anderen Teilen der Erde (Korea, USA/Mexiko u.a.) große Mauern gezogen würden und dass Europa sich mit Mauern aus Technik und Stacheldraht den Flüchtlingen entgegenstelle. Er bedauert, dass der Westen nach 9/11, den Nahost-Kriegen, dem Ukraine-Konflikt, dem Genozid in Ruanda und Bosnien, den völkerrechtswidrigen Kriegen in Irak u.a. die mannigfaltigen Chancen verpasste, eine Balance zu schaffen und mit Marshall-Plänen und anderen guten Mitteln die Welt sicherer, mauer-freier zu machen.

Deutschland habe hierbei eine Verantwortung in der Welt, die mehr ist, als nur ein paar Waffen oder auch Soldaten in Kriege zu schicken. Barenboim, der jüdischen Glaubens ist, meint, dass es auch Deutschlands Aufgabe sei, Israel klar zu machen, dass es auf Dauer nur eine Zukunft im Nahen Osten geben könne, wenn die israelische Regierung zu einem echten Friedensschluss mit den Palästinensern bereit sei. Das vereinte Deutschland müsse klar machen, dass beide Seiten gesegnet oder verdammt seien, zusammen zu leben.

Hass, Terror und Ausgrenzung haben noch niemals in der Geschichte zu Frieden geführt. Das beweist uns einmal mehr die Geschichte des DDR-Unrechtsstaates. Diese bittere, historische Lektion, die Deutschland gelernt hat, sollte zum Maßstab seiner Außenpolitik gemacht werden, ja es wäre ein Segen für den Nahen Osten, wenn die Staaten dort einst die Lektionen aus dem Mauerbau und späteren Mauerfall in Deutschland lernen würden. Aber sie – zumindest ihre Anführer – zeigen dazu bis jetzt kaum Bereitschaft.

Als Barenboim am letzten Sonntag die Neunte Sinfonie Beethovens am Brandenburger Tor in Berlin aufspielte, umarmte er uns mit der Botschaft „An die Freude“ von Friedrich Schiller. Gewiss, ich habe das Meinige getan und ihn umarmt. Die Botschaft des Friedens vereinte uns dabei, keine Machtpolitik, keine taktischen Spielchen und kein Embargo; schlicht die Sehnsucht nach Frieden war uns an diesem Abend gemein. Wenigstens für diese paar Stunden war der „Aufstand für den Frieden“ klanglich und über die Herzen zu hören.