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Kolumnen

Schlechte Stimmung in London

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Am Tag nach dem Brexit-Votum traf ich in London ein, eigentlich aus privaten Gründen, aber den Debatten und der vergifteten Stimmung nach dem knappen Sieg der „Leave“-Kampagne konnte man sich kaum entziehen. Alles schien gespalten, entweder war man dafür oder dagegen. Und wenn man einer Person aus dem anderen Lager gewahr wurde, so hasste man sie. Krass.

Nicht eine EU-Kritik, die Demokratiedefizite und die neokonservative Ausrichtung einer Wirtschaftselite kritisiert, hat sich bei dem Votum durchgesetzt, sondern die menschenverachtenden Hetzer, die sich vor allem auf Flüchtlinge und Osteuropäer fokussiert hatten. Am Ende blieb nur Rassismus übrig. So fand wenige Tage nach dem Volksentscheid eine alarmierende Postwurfsendung statt, worin mittels Flyer das „polnische Ungeziefer“ aufgefordert wurde, das Land zu verlassen.

Der Riss geht quer durch Familien, viel ist von der Spaltung von Alt (pro Brexit) und Jung (contra Brexit) die Rede. Aber dass auch in Einwandererfamilien aus dem ehemaligen Commonwealth diese Grenzlinie gilt, hat mich denn doch überrascht. Die alten Einwanderer, die sich als Briten betrachten, wollen keine neuen, die die vermeintliche eigene Idylle stören könnten. Viele der nächsten Generation denken nun übers Auswandern nach Edinburgh, Kopenhagen oder Berlin nach.

Wäre die Stimmung nicht so ernst, hätte man sich über die Rolle der Schotten und Iren amüsieren können, die für den Verbleib in der EU kämpfen wollen und somit die Spaltung Großbritanniens ins Gespräch bringen. Während im Moment Viele nach irischen Großeltern suchen, um die irische Staatsbürgerschaft zu beantragen, denken andere über ein United Ireland nach, denn ansonsten verläuft die EU-Grenze in Zukunft zwischen Nordirland und der Republik Irland. Das Ansinnen der Vertreterin Schottlands, Nicola Sturgeon, über eine Wiederholung des Referendums begrüßen die Vertreter der „Remain“-Kampagne teils frenetisch.

Das Kneifen der Verantwortlichen David Cameron und Nigel Farage, das Votum auch in die Tat umzusetzen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie und entblößt zumindest das Verantwortungsbewusstsein dieser Politiker. Dass EU-Gegner Farage dabei seinen lukrativen Sitz in der EU behalten will, setzt dem noch eins oben drauf.

Was bleibt, sind viele Risse in der Gesellschaft, die auch die sichtbaren Folgen des Thatcherismus mit seinen neoliberalen Verwerfungen und ökonomischen Polarisierungen sind. Und es bliebe die noch offen stehende Debatte über eine menschenfreundliche EU, die es ja auch geben könnte.