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Panorama

Budapest: Polizisten knicken vor Flüchtlingen ein

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In Budapest verzichtet die Polizei erstmals überraschend auf Kontrollen an den Bahnhöfen. Tausende Flüchtlinge drängen nun in die Züge gen Westen. Österreich hält die überfüllten Züge vorerst auf. Gibt es für die Hilfesuchenden eine Weiterreise ? (Foto: dpa)

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Damit hatte keiner gerechnet: Wie von Zauberhand gelenkt verschwanden am Montagmorgen auf dem Budapester Ostbahnhof die Polizisten. Die Beamten hatten bislang die Flüchtlinge daran gehindert, in die Züge nach Wien und München zu steigen. Die Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den bis zu 2000 Menschen, die auf dem Bahnhof und in der dazugehörigen, für Flüchtlinge geschaffenen „Transitzone“ festsaßen.

Was den – vielleicht auch nur kurzfristigen – Sinneswandel bei der ungarischen Ordnungsmacht bewirkt hat, blieb zunächst unklar. „Frau Merkel hat bei (dem ungarischen Regierungschef) Viktor Orban interveniert, dass wir weiterkönnen“, glaubte ein syrischer Flüchtling zu wissen. Nichts deutete darauf hin, dass dem so war.

Sobald sich die Polizei zurückgezogen hatte, kauften die Flüchtlinge Fahrkarten und stürmten die Züge. Der Railjet (Schnellzug), der um 11.10 Uhr aus Budapest hätte abfahren sollen, verließ die ungarische Hauptstadt erst mit mehr als zweistündiger Verspätung. Im ungarischen Grenzbahnhof Hegyeshalom wurde einer der Züge mit Flüchtlingen gestoppt. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) lehnten die Weiterfahrt wegen Überfüllung ab. Ein sicherer Betrieb sei so nicht möglich, hieß es.

Mal gelaufen, mal im Auto, mal ein Boot

Diejenigen, die schnell reagiert und bereits den ersten Railjet genommen haben, konnten sich glücklich schätzen. Im Zug, der am frühen Nachmittag aus Budapest kommend auf dem Münchener Hauptbahnhof ankam, waren etwa 30 Flüchtlinge – vor allem junge Männer, aber auch einige Familien mit kleinen Kindern.

Einer von ihnen ist Muhammad, der vor zwei Monaten aus Afghanistan geflohen ist. „Manchmal bin ich gelaufen, manchmal hat mich ein Auto mitgenommen, mal musste ich ein Boot nehmen“, erzählt er. Seine Flucht über die sogenannte Balkan-Route führte ihn über die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn bis nach München.

Der 23-Jährige floh nach eigener Darstellung aus Afghanistan, nachdem er Todesdrohungen der Taliban erhalten hatte. In seiner Heimat habe er als Mechaniker für die ISAF-Truppen gearbeitet, sagt er. Dies sei auch der Grund für die Drohungen der Taliban gewesen.

Schlimmsten Erfahrungen in Ungarn gemacht

Die meisten anderen Flüchtlinge kommen aus dem vom Krieg verwüsteten Syrien. Die schlimmsten Erfahrungen auf seiner langen Reise habe er in Ungarn gemacht, berichtet ein Flüchtling aus dem Irak. Fünf Tage habe er dort kaum etwas zu essen bekommen. Ein anderer Ankömmling zeigt auf seinem Smartphone Videos von den Protesten auf dem Budapester Ostbahnhof. Die dort festsitzenden Migranten hatten dabei ihre Ausreise nach Deutschland gefordert.

Ein anderer Zug aus Ungarn über Wien mit rund 400 Flüchtlingen wurde am frühen Abend in Rosenheim gestoppt. Die Polizei holte 190 Asylbewerber zur Registrierung heraus und ließ etwa 200 weiterfahren. Unter den Flüchtlingen aus Eritrea, Syrien, Afghanistan und andern Ländern sind viele Frauen, Kinder und auch Säuglinge. Eine junge Mutter hält ihr Baby auf dem Arm, es hat nur eine Windel und ein Hemdchen am Leib. Viele Menschen machen bei sommerlicher Hitze einen erschöpften Eindruck.

Noch am Bahnhof werden alle Flüchtlinge registriert, durchsucht und danach zur Bundespolizeiinspektion Rosenheim gefahren. Dort sollten sie in einer zum Notquartier umfunktionierten Turnhalle die Nacht verbringen, ehe sie tags darauf zur Erstaufnahmestelle in München weiterreisen können.

Passanten helfen Neuankömmlingen

Unter den rund 200 Menschen, die den Zug am Münchner Hauptbahnhof verlassen, ist auch Gulmuhamed Fasni mit seiner Frau und seinen Kindern. Fast drei Monate haben sie von Afghanistan bis München gebraucht. In ihrer Heimat sei ihnen das Leben zu gefährlich geworden. Er zeigt auf die Hand seines achtjährigen Sohnes Basid, an der der kleine Finger fehlt. „Taliban, Taliban“, sagt er und macht eine Schneidebewegung. Die Taliban, so sagt er, hätten dem Kind den Finger abgeschnitten. Auf dem Weg vom Zug zum Registrieren in eine Nebenhalle reichen Passanten den Flüchtlingen Wasserflaschen und Kekse.

Mit Dutzenden anderen sitzen sie dann in einer Nebenhalle des Hauptbahnhofes. Immer wieder knallt es, weil bunte Luftballons, mit denen kleine Mädchen spielen, zerplatzen. Vor der Halle haben ein paar junge Leute ein gelbes Transparent ausgerollt. „Welcome“ steht darauf und „Kein Mensch ist illegal“. (dtj/dpa)