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Gesellschaft

Die Hobbits sind jetzt auch in Istanbul: So wollen sie die Welt zu einem besseren Ort machen

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Von ZEYNEP KILIÇ

Kinder, die zwischen den engen Gassen Fußball spielen; ringsherum Frauen, die vor der Haustür ihre Teppiche reinigen; Ladenbesitzer, die mit Schwarztee in der Hand vor ihren Läden über die Zukunft des türkischen Fußballs sprechen und Fotografen, die persönlich zwar niemand hier im Viertel kennt, aber doch schon irgendwie hierher passen. Wenn ein Istanbul-Kenner diese Puzzleteile zusammensetzt, wird er sicherlich schnell auf das Viertel Balat im Stadtteil Fatih schließen.

Dieses Viertel ist bei Fotografen sehr beliebt. Oft landen ihre Bilder dann auf den bekannten Postkarten von Istanbul. Balat ist ein Viertel, in dem früher sehr viele Juden lebten, die im 15. Jahrhundert aus Spanien vertrieben wurden. Im osmanischen Reich fanden sie damals Zuflucht. Viele von ihnen zogen in den 1950ern nach Israel. Die zahlreichen Synagogen zeugen noch von dieser Zeit, daneben finden sich hier aber auch viele Kirchen und Moscheen. Balat ist eben historisch und vielfältig.

Second hand statt Neuware

Doch es ist nicht nur das. Balat hat seit kurzem eine weitere Besonderheit zu bieten: Das ‚The Hobbit House‘. Es ist eigentlich ein ganz normales Haus mit drei Etagen – auf den ersten Blick also nicht außergewöhnlich.

Dieses Haus hat es aber in sich. Hier gibt es Second hand-Sachen, Bücher, Spielzeuge und einen Wasserbrunnen – alles kostenlos.

Das Projekt wurde vor etwa sechs Monaten vom Ehepaar Sinem und Murat Asil Can auf die Beine gestellt. Es ging ihnen nicht nur darum, Bedürftigen zu helfen. Auch das Thema Verschwendung war für die Cans ein Thema. „Die Welt entwickelt sich zunehmend zu einem industriellen Müllhaufen“, führt Murat aus. „Wir wollen eigentlich den Trieb der Menschen stoppen, unbedingt etwas neues kaufen zu wollen. Das ist gleichzeitig ein Projekt, um die industrielle Verunreinigung zu stoppen.“ Ein mutiger Schritt, der aber zumindest in Balat Erfolg zu haben scheint. ‚The Hobbit House‘ wird nämlich nicht nur von Bedürftigen aufgesucht. Viele Menschen kommen hierher, um sich ‚neue‘ Kleidung anzuschaffen – gebraucht, aber dafür kostenlos.

Frühstücken für 75 Lira

Während die ersten zwei Etagen für dieses Projekt bereitgestellt wurden, erfüllt die dritte Etage einen anderen Sinn. Hier befindet sich neben der Küche ein großer Tisch. Die Menschen können sehen, wie die Speisen zubereitet werden. Vor allem das Frühstück ist hier bekannt. Keines der Zutaten entstammt der Massenproduktion. Alles vollkommen organisch und immer frisch… Das Ehepaar Can versichert, dass hier nur Platz für die besten Produkten ist: Die qualitätsvollsten Weizen, die besten Oliven.

Und im Gegensatz zu den Etagen unten wirkt sich das hier auch auf den Preis aus. Die Palette reicht von 5 Türkischer Lira bis 75 TL. Aber: Je mehr der Kunde hier zahlt, desto mehr Geld lässt die Familie Can in soziale Projekte fließen. Fünfzig Prozent der Einnahmen kommen sozialen Projekten zugute.

Wer zudem zum Frühstück zwei Pişi – frittierte Teigwaren mit Schwarzkümmel – möchte, isst nur eins und spendet das zweite an ein Kind, das sich grad in der Nähe des Hauses befindet.

Ziel: Menschen zusammenbringen und Hilfe organisieren

Den Cans ist sehr daran gelegen, Menschen zusammenzubringen und Hilfe zu organisieren. So berichtet Sinem, dass erst vor wenigen Tagen eine Beschneidungsfeier für eine Familie auf die Beine gestellt wurde, die sie selbst aus eigener Kraft hätte nicht stemmen können. Auch die Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen soll wiederbelebt werden. Hierfür hat sich das Ehepaar etwas Besonderes einfallen lassen. Sonntags treffen sich Jung und Alt zwischen 17 und 19 Uhr, um gemeinsam verschiedene Spiele zu spielen.

Warum eigentlich Hobbits?

Doch nicht nur Menschen profitieren vom selbstlosen Einsatz des Ehepaares. Auch Tiere haben hier ihren Platz gefunden. Katzen und Hunde können problemlos ihren Durst stillen. Es gibt immer Wasser und Milch.

Und woher stammt der Name des nicht mal 30 Quadratmeter Wohnfläche bietenden Hauses? Murat Can hilft weiter: „Die Hobbits sind kleine, friedliche Wesen. Sie leben in Häusern, die nicht viel größer sind als sie selbst. Und dieses Haus ist das kleinste Haus in Balat, welches wir finden konnten. Die Hobbits leben fernab von Kriegen und Abenteuern. Obwohl diese kleinen Wesen unter sich leben, wollen sie die Welt zu einem besseren Ort machen. Auch wir haben solch einen Traum.“