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Politik

„Für die Islamisten ist es existenziell, gegen etwas zu sein“

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Im zweiten Teil des DTJ-Interviews geht Doğan Ertuğrul darauf ein, warum die heute verfolgte Hizmet-Bewegung einst mit den AKP-Machthabern zusammengearbeitet hat und welche weltanschaulichen Differenzen es zwischen beiden gibt.

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Doğan Ertuğrul
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Die Hizmet-Bewegung ist ja eine in erster Linie aus türkischen Muslimen bestehende Bewegung, die sich für Bildung und Dialog einsetzt. Außerdem tragen die von ihr initiierten Schulen dazu bei, dass verschiedenste Menschen auf der ganzen Welt die Türkei besser kennenlernen. Warum fühlen sich die AKP, der türkische Staat und das türkische Militär von solch einer zivilgesellschaftlichen Bewegung bedroht?

Ertuğrul: Das hat sowohl mit der Struktur und der Philosophie des Regimes in der Türkei zu tun, welche im Kern weiterhin kemalistisch ist, als auch mit den politischen Präferenzen gegenwärtigen Machtinhaber.

Was meinen Sie genau?

Ertuğrul: In jedem demokratischen Staat haben soziale, religiöse und politische Gruppen und Bewegungen das Recht darauf, ihre Existenz ungestört fortzuführen, solange sie keine Gewalt anwenden. Das garantiert ihnen die rechtsstaatliche Demokratie. Die Überzeugungen dieser Gruppen müssen Ihnen nicht gefallen. Doch sie deswegen als Gefahr einzustufen und zu eliminieren ist durch und durch anti-demokratisch. Seit der Gründung der Republik gibt es in der Türkei laizistische Kräfte, deren Kern die türkischen Streitkräfte bilden. Diese Gruppen – zumeist das alteingesessene Establishment der Türkei – erachten eine Einmischung des Militärs in die Politik durchaus als ein legitimes Mittel, genauso wie den staatlich geführten Kampf gegen zivilgesellschaftliche Gruppen, die sie nicht kontrollieren können und daher als Gefahr einstufen. Die, wenn nötig mit Gewalt, zu beseitigende Gefahr waren mal die Kurden, mal sämtliche muslimisch-religiöse Gruppen und mal das Kopftuch als religiöse Praxis. Wie so oft in der nahen Vergangenheit der Türkei steht die Hizmet-Bewegung nun erneut im Zentrum der Gefahrenwahrnehmung derjenigen Gruppen, die eine militärische Vormundschaft befürworten.

Warum spielt die AKP das Spiel mit?

Ertuğrul: Aus zwei Gründen teilt die aus einer islamistischen Bewegung hervorgegangene AKP diese Wahrnehmung. Erstens, weil sie unter dem Druck des pro-militärischen Staatskerns steht. Und zweitens, weil die aus einer Sufi-Tradition stammende und dem zivilen Islam zuzuordnende Hizmet-Bewegung der AKP keine uneingeschränkte Loyalität und Unterwerfung geschworen hat. Die AKP fürchtet, was sie nicht kontrollieren kann, und der kemalistische Staat verfolgt dieses Schauspiel mit Genuss, weil sich aus seiner Sicht zwei Probleme von allein lösen.

Worauf stützen Sie Ihre Analyse?

Ertuğrul: Die gegen die Hizmet-Bewegung geführte „Hexenjagd“, wie sie Erdoğan öffentlich nennt, erfährt seitens der AKP-Basis keine Kritik. Sie wird hingenommen oder gar befürwortet. Die Haltung der laizistischen und kemalistischen Kreise ist ähnlich. So spricht beispielsweise Doğu Perinçek, eine der symbolträchtigen Figuren des orthodoxen Kemalismus, bei jeder Gelegenheit seine offene Unterstützung für das Vorgehen der AKP aus, genauso wie wegen Putschversuchen verurteilte hochrangige Militärs.

Es ist bekannt, dass viele türkische Laizisten gegen Religion im Allgemeinen eine Abneigung, ja nahezu einen Hass hegen, und es als ihre Mission ansehen, insbesondere den Islam zu bekämpfen. Daher ist ihr Hass gegenüber der Hizmet-Bewegung verständlich. Wieso aber stören sich Erdoğan und islamistische Kreise so sehr an der Hizmet-Bewegung und lassen nahezu nichts unversucht, sie zu vernichten?

Ertuğrul: Als ein Journalist, der seit vielen Jahren zum Thema Islamismus schreibt und recherchiert, kann ich eines mit Gewissheit sagen: Zwischen dem Islamverständnis Fethullah Gülens und dem der politischen Islamisten gibt es nicht einmal Ähnlichkeiten! Wenn wir die elementaren Glaubensinhalte außen vor lassen, die bei jeder muslimischen Gruppe mehr oder minder identisch sind, gibt es zwischen der Islamauslegung und der Konzeption eines muslimischen Individuums beider Gruppen enorme Unterschiede. Daraus resultiert ein fundamental unterschiedliches Welt- und Schöpfungsbild. Gülen vertritt ein deutlich mystischeres und sufistisch geprägtes Islamverständnis, welches die Instrumentalisierung des Glaubens für weltliche Zwecke, insbesondere für Politik, strikt ablehnt. Sein Welt- und Identitätsbild ist nicht bestimmt von einer negativen und feindlichen Perzeption des Anderen, sondern von dem eigenverantwortlichen Individuum, das sein Umfeld positiv und konstruktiv zu gestalten und dafür Rechenschaft abzulegen hat.

Warum stören sich die Islamisten daran?

Ertuğrul: Islamisten leiten aus der Religion (Islam) eine weltliche Ideologie ab. Wichtige Eckpfeiler dieser Ideologie bilden Anti-Amerikanismus und Anti-Israelismus. Für die Islamisten ist es von existenzieller Bedeutung gegen etwas zu sein. Deswegen blicken sie hinab auf diejenigen, die ihre Identität nicht über Feindbilder konstruieren, sondern einen kooperativen Ansatz haben. Wenn dann eine soziale Bewegung (aus scheinbar demselben Milieu) weltweit erfolgreich ist, dann zerrüttet es das identitätsstiftende Selbstbild der Islamisten im tiefsten Kern. Daher kann ich ihren Hass nachvollziehen. Die Feindschaft ist keineswegs neu. Seit den 1970er Jahren hegen die türkischen Islamisten zuerst um Erbakan und dann um Erdoğan einen Groll gegenüber der Hizmet-Bewegung und insbesondere der Person Fethullah Gülen. Die aktuelle Krise hat das in alle Öffentlichkeit getragen. Und das nicht nur in der Türkei.

Wenn man ihrer Argumentation folgt, hat sich die Hizmet-Bewegung in einem Machtkampf zwischen Islamisten und Kemalisten auf die Seite der Islamisten gestellt und gemeinsam, wenn auch nur vorübergehend, die Kemalisten geschwächt. Inwieweit ist es richtig, dass eine Bewegung, die von sich behauptet, keine politischen Ziele zu verfolgen, sich in solch einem politischen Kampf beteiligt und Partei ergreift?

Ertuğrul: Die Positionierung der Hizmet-Bewegung als eine Entscheidung für das eine oder andere politische Lager zu bewerten wäre falsch. Sie hat die AKP unterstützt, weil sie für die Demokratisierung der Türkei war und eine Integration der Türkei in die Weltgemeinschaft versprach. Lange hat sie diese Ziele ja auch erfolgreich verfolgt. Wenn es heute eine glaubwürdige politische Kraft in der Türkei für Demokratie und   Rechtstaatlichkeit gäbe, würde sie nicht nur von der Hizmet-Bewegung, sondern auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen Unterstützung erfahren. Was daran soll falsch sein?


Den ersten Teil des Interviews können Sie hier lesen.