Politik
Joe Biden kommt in die Türkei – Gülen auch?
Die jungen Türken haben sichtlich Spaß. Auf dem Platz vor dem Weißen Haus tanzen sie einen traditionellen Tanz, eine Freundin filmt das Treiben mit dem Smartphone. Amerikanische Touristen mischen sich lachend unter die Truppe mit ihren roten T-Shirts und aufgedruckter Türkei-Flagge. Ein Zeichen unverkrampfter türkisch-amerikanischer Freundschaft?
Wenn US-Vizepräsident Joe Biden am Mittwoch in die Türkei reist und sich dort unter anderem mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan trifft, ist die Mission deutlich weniger entspannt. Offiziell stehen die USA fest an der Seite ihres geopolitisch so immens wichtigen Nato-Partners. Hinter den Kulissen dürfte es aber hörbar knistern.
Dass die türkische Regierung die USA zur Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen drängen will, ist nur eines von vielen Themen – wenn auch das derzeit wohl drängendste. Erdoğan macht den in Pennsylvania im Exil lebenden Gülen für den Putschversuch in der Türkei verantwortlich. Die Begründung des Auslieferungsantrages bezieht sich jedoch nach Darstellung des Weißen Hauses auf Straftaten, die dem 77-Jährigen zur Last gelegt werden und bereits aus der Zeit vor dem Putschversuch stammen. Eine US-amerikanische Kommission weilt bereits seit Montagabend in der Türkei, um den Antrag gemeinsam mit den türkischen Kollegen vor Ort zu prüfen. Für den September ist auch ein Gegenbesuch geplant.
Gülen für alle Übel in der Türkei verantwortlich
Die türkische Führung scharrt mit den Hufen, weil ihr die Auslieferung Gülens, den sie nicht nur für den Umsturzversuch, sondern derzeit für alle Übel im Land – von Soma bis zum Abschuss des russischen Kampfjets – verantwortlich macht, nicht schnell genug geht. „Sind wir nicht strategische Partner? Liefern wir Verbrecher nicht einander aus?“, erzürnte sich Erdoğan jüngst in einer Rede vor Vertretern islamischer Zivilorganisationen.
Wann immer die USA von der Türkei die Auslieferung eines Terroristen verlangt hätten, habe Ankara dem umgehend entsprochen, allein auf der Grundlage des Auslieferungsabkommens. „Wir haben keine Belege verlangt!“ Bereits vor einem Jahr habe er US-Präsident Barack Obama um die Auslieferung Gülens ersucht. Dieses Ersuchen habe er nach dem Putschversuch am 15. Juli erneuert, und weil die USA Unterlagen verlangt hätten, habe man ihnen 85 Pakete mit Akten und Belegen geschickt.
Ministerpräsident Binali Yıldırım versicherte zugleich, dass es keinesfalls Absicht der Türkei sei, die Beziehungen zu Amerika aufs Spiel zu setzen – „schon gar nicht wegen eines Terroristenchefs“. Allerdings sei er sicher, dass die Verstimmung der 79 Millionen Türken mit den USA solange anhalten werde, wie Gülen in den USA Unterschlupf finde.
Juristische oder politische Entscheidung?
Das Weiße Haus beeilt sich nicht umsonst mit der Feststellung, weder Obama noch Biden hätten persönliche Möglichkeiten in dem „juristischen Prozess“. Ein Gericht müsse über die Auslieferung entscheiden. Und dies könne dank funktionierender Gewaltenteilung mit all den Berufungsmöglichkeiten Jahre dauern – ein Seitenhieb aus Washington. Ankara hatte bereits vor einige Tagen von einer „politischen Entscheidung“ gesprochen.
Der türkische Justizminister Bekir Bozdağ äußerte dagegen die feste Überzeugung, dass der US-Geheimdienst CIA über mehr Beweise verfüge, dass Gülen den Putschversuch angeleitet habe, als die Türkei. „Uns zu sagen, dass die CIA, die genau weiß, wie oft Fethullah Gülens Herz in der Minute schlägt, wie oft er durchatmet, die jeden kennt, der bei ihm ein- und ausgeht, ja sogar das Geschlecht jeder Fliege, die nachts um das Anwesen schwirrt, nicht weiß, dass Fethullah Gülen diese Sache gedeichselt hat, bedeutet, sich über den Verstand des türkischen Volkes und der ganzen Welt lustig zu machen.“