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Politik

Maulkorb für die Justiz

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Die türkische Regierung ging am Wochenende mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstranten vor. Der jüngste Korruptionsskandal erschüttert die Türkei in ihren Grundfesten. Nun bekommen die Obersten Richter einen Maulkorb verpasst. (Foto: cihan)

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Der jüngste Korruptionsskandal erschüttert die Türkei in ihren Grundfesten. Nun bekommen die Obersten Richter einen Maulkorb verpasst.
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Kürzlich meldete sich auch die Europäische Union zum Korruptionsskandal um die Regierung Erdoğan zu Wort und forderte eine „transparente und unparteiische Aufklärung.“ Dies stellt eine schnellere und direktere Ansprache der Verhältnisse dar im Vergleich zur Situation nach den Gezi-Protesten, als erst nach deren Ende eine offizielle Stellungnahme erfolgte und der Fortschrittsbericht über die Türkei als Beitrittskandidaten verhältnismäßig vorsichtig formuliert war.

Aber auch in der Türkei selbst sorgt der Machtkampf für weitere Schlagzeilen. Am Montag wurde bekannt, dass die Regierung Erdoğan den Spielraum der Justiz erheblich einschränken will. Der neue Justizminister Bekir Bozdağ habe angeordnet, dass der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) sich nur noch nach Rücksprache mit ihm öffentlich äußern dürfe.

Experten bewerteten dieses Vorgehen als Maulkorb und Warnung an das türkische Justizkontrollorgan. Der HSYK hatte in den vergangenen Wochen die Ermittlungen kritisiert. Ihrer Meinung nach schränke die Regierung die Arbeit der Ermittler zur Korruptionsaffäre erheblich ein.

Andererseits waren auch Details über die Ermittlungen auf ungeklärtem Wege an die Medien gelangt, die vielerorts den Eindruck erweckten, es werde eine Vorverurteilung der Beschuldigten angestrebt.

Geheime Untersuchungen seien, so hieß es in der Erklärung des Justizministeriums weiter, nur mit der Genehmigung eines Vorgesetzten möglich. Zuvor hatte Bozdağ, der in der vergangenen Woche nach einer Kabinettsumbildung als Justizminister ernannt worden war, hunderte Polizisten zwangsversetzen lassen.

Erdoğan attackiert Kritiker

Die „Alte Türkei“ sei die treibende Kraft hinter der Protestbewegung, davon zeigte sich Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan am Wochenende überzeugt. Die ermittelnden Staatsanwälte instrumentalisierten den Skandal, um ihre politischen Vorstellungen realisieren zu können, sagte Erdoğan am Sonntag.

Weiterhin spricht er von einem internationalen Komplott gegen ihn. Der türkische Premierminister macht seinen langjährigen Weggefährten, den weltweit innerhalb der türkischen Community angesehenen, in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für die Korruptionsaffäre verantwortlich.

Seine Widersacher sieht Erdoğan nunmehr in den islamischen Kreisen im Umfeld des Predigers. Diese hätten großen Einfluss auf die Justiz des Landes. Nach drei Ministerrücktritten, persönlichen Vorwürfen gegen ihn und einer handfesten Regierungskrise reagiert Erdogan indessen kompromisslos und bläst zum letzten Gefecht.

„Mit Gottes Hilfe und dem Beistand unseres Volkes werden wir den Widerstand brechen und die Tür zur Alten Türkei für immer und ewig schließen“, sagte Erdoğan. Für den heutigen Tag sind erneut Demonstrationen in Istanbul und Ankara geplant. „Das türkische Volk hat es satt, nach Strich und Faden belogen zu werden“, sagte ein Demonstrant via Skype dem Deutsch-Türkischen Journal. Erdoğan stünden heiße Wochen bevor.

Der Protest formiert sich mit neuer Wucht

Der starke Mann der Türkei scheint zudem weiterhin Unterstützer zu verlieren. Minister, die gegen seinen Willen zurücktreten, hatte es unter Erdoğans Führung bislang nicht gegeben. Am Montag begründete der aus der AKP ausgetretene Abgeordnete Erdal Kalkan seinen Austritt vor einem Disziplinarkomitee.

Er verurteilte die Einflussnahme der Regierung auf die Justiz des Landes und stellte sich öffentlich gegen seinen ehemaligen Chef Erdoğan. Unterdessen wurde, türkischen Medien zufolge, am Montag ein weiterer Polizeichef zwangsversetzt.

Nachdem viele, insbesondere ältere, Türken bei den Gezi-Protesten noch schweigend zusahen und argwöhnisch auf deren Protagonisten und ihre Forderungen reagierten, formiert sich angesichts des aktuellen Korruptionsskandals breiterer Protest, der auch Kreise umfasst, die Erdoğan bislang loyal gegenüberstanden. Die Opposition gegen den Premierminister scheint infolge dessen jedoch größer denn je zu sein.