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Gesellschaft

Zahl der deutsch-türkischen Ehen fast verdoppelt

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Interethnische Ehen sind mittlerweile gesellschaftlich akzeptierter, weisen aber ein höheres Scheidungsrisiko auf. Für ihr Gelingen spielen – wie auch bei allen anderen – der Gleichklang bei Religion, Bildung und Werten eine große Rolle. (Foto: cihan)

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Paare tanzen nach der Hochzeit.
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Die Zahl der Ehen zwischen Deutschen und türkischstämmigen Migranten hat sich nach Angaben des Mikrozensus fast verdoppelt. Was auf den ersten Blick wie eine rasante Zunahme aussieht, stellt sich beim zweiten Hinsehen schon etwas anders dar. Denn die Zahl der deutsch-türkischen Ehen bewegt sich auf einem sehr niedrigen Level, die Zahl für Männer und Frauen differiert.

Auch zwischen allgemeinem Zuspruch zu interethnischen Ehen und tatsächlichem Verhalten tut sich eine große Kluft auf. Über diese Fragen und Faktoren, die Ehen zwischen Deutschen und Türken begünstigen und hemmen, haben wir mit der Sozialwissenschaftlerin Sarah Carol (Foto, unten) gesprochen.

Sie hat in ihrem Dissertationsprojekt am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) über die Einstellungen zu interethnischen Heiraten und das tatsächliche Verhalten von Muslimen in sechs europäischen Ländern geforscht.

Wie sehen die Zahlen aus bei deutsch-türkischen Ehen?

Interethnische Ehen in Deutschland, also Ehen zwischen Menschen verschiedener Herkunft, machen insgesamt einen relativ geringen Anteil aus. Dieser Anteil variiert zwischen Frauen und Männern, aber auch zwischen der ersten und zweiten Einwanderergeneration. Bei deutsch-türkischen Ehen kann man etwa sagen: Die Anteile für türkischstämmige Frauen lagen im Mikrozensus von 2007, einer repräsentativen Haushaltsbefragung, unter 5 Prozent. Allerdings ist der Anteil der Frauen, die interethnisch heiraten, teilweise auch in anderen Migrantengruppen geringer. Bei türkischstämmigen Männern sehen wir folgendes: Bei der ersten Einwanderergeneration lag die Rate bei ca. sieben, bei der zweiten bei 12 Prozent. Das ist fast eine Verdoppelung.

Ist dieser Anteil bei türkischen Männern hoch oder niedrig?

Mit Hilfe der EURISLAM-Umfrage unter Menschen ohne Migrationshintergrund und Menschen mit muslimischem Hintergrund aus dem ehemaligen Jugoslawien, Marokko, der Türkei und Pakistan konnten wir verschiedene Gruppen in Westeuropa vergleichen. Dabei zeigt sich, dass der Anteil bei türkischen Männern in den untersuchten Ländern am niedrigsten ist im Vergleich zu anderen ethnischen Gruppen. Aber wenn wir verschiedene Faktoren berücksichtigen wie Bildungsgrad usw., dann unterscheiden sich die türkischen Migranten hauptsächlich von den marokkanischen Migranten. Die marokkanischen Migranten heiraten am häufigsten interethnisch.

Wie erklärt sich das?

Marokkanische Migranten machen zum Beispiel in Deutschland einen relativ niedrigen Anteil an der Bevölkerung aus. Dadurch sind ihre ethnischen Netzwerke insgesamt weniger dicht und die Möglichkeiten, einen Partner mit demselben Hintergrund zu finden, deutlich eingeschränkter als bei türkischen Migranten. Demzufolge müssen sie ihren Heiratsmarkt weiter ausdehnen.

Und wie sieht es bei den anderen Migrationsgruppen aus?

Auch hier hängt es davon ab, welches Geschlecht oder welche Generation wir uns anschauen. Im Mikrozensus sieht man zum Beispiel, dass interethnische Heiratsraten bei den Italienern mit am höchsten sind. Bei den italienischen Männern lag der Anteil im Mikrozensus in der ersten Generation bei 33, bei der zweiten Generation bei 44 Prozent. Bei den Zuwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien kommt es wiederum darauf an, aus welchem der später aus diesem hervorgehenden Länder sie kommen. In der EURISLAM-Umfrage beobachten wir, dass die Anteile der interethnischen Ehen bei Frauen insgesamt niedriger sind. Auch bei den Menschen ohne Migrationshintergrund sieht man, dass die Frauen seltener interethnisch heiraten als Männer.

Welche Faktoren spielen denn eine Rolle bei der Frage der interethnischen Ehen? Was begünstigt sie und was spielt eine hemmende Rolle?

Man kann die Faktoren in drei Gruppen unterteilen: Zum einen gibt es die Frage der Gelegenheiten, vor allem die Größe des Heiratsmarktes, die eine zentrale Rolle spielt. Die Frage, ob sich Lebensräume überlappen, ob es Strukturen gibt, die den Aufbau von Kontakten und das Kennenlernen im Alltag erleichtern. Die Studie von Merlin Schaeffer zu interethnischen Freundschaften hat zum Beispiel gezeigt, dass Spielplätze eine wichtige Funktion haben, weil da Menschen verschiedener Herkunft eben über ihre Kinder miteinander in Kontakt kommen können. Dann gibt es den Faktor Präferenzen, geprägt durch Religiosität und die damit verbundenen Werte, und drittens die Rolle von weiteren Parteien, wie zum Beispiel Eltern und deren Vorstellungen vom richtigen Heiratspartner für ihre Kinder.

Was für eine Rolle spielt die Religion bzw. die Religiosität?

Es kommt darauf an, wie man Religiosität misst. Tendenziell zeigt sich, dass Religiosität mit einer geringeren Akzeptanz interethnischer Beziehungen einhergeht. Mit am stärksten ist der Zusammenhang mit religiöser Praxis, ebenso die Einstellung zu vorehelichem sexuellem Kontakt. Das Einhalten von Speisevorschriften und Feiertagen sowie das Tragen religiöser Symbole spielen eine größere Rolle als die Identifikation mit einer Religion.

Wie sieht es bei Menschen ohne Migrationshintergrund aus?

Religiosität kann auch bei Menschen ohne Migrationshintergrund eine Rolle spielen. Bedeutsamer ist hier jedoch, wie unterschiedlich sich Menschen ohne Migrationshintergrund im Vergleich zu Muslimen wahrnehmen – und zwar in Bezug auf Religiosität, Eltern-Kind Beziehungen und vorehelichen sexuellen Kontakt. Auch die Medien, die solche Unterschiede betonen, können hier eine wichtige Rolle spielen. Dazu kommt bei Menschen ohne Migrationshintergrund auch der sozio-ökonomische Status. Insbesondere Eltern aus der Mittelklasse üben mehr Kontrolle über die Kontakte und Freizeit ihrer Kinder aus als Eltern aus höheren oder niedrigeren Schichten. Ein Grund könnte darin liegen, dass sie anders als statushöhere Eltern ihre Kinder unter Umständen nicht auf Privatschulen schicken können und um einen sozialen Abstieg ihrer Kinder besorgt sind.

Wo sind denn die Widerstände eigentlich größer?

Sie sind auf beiden Seiten eigentlich gleich verteilt. Die Zustimmung für interethnische Heiraten ist ähnlich groß bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Sie liegt auf beiden Seiten bei etwa um die 75 Prozent. Der Grad der Zustimmung hängt jedoch mit dem Bildungsgrad zusammen. Auch spielt die Sprache eine wichtige Rolle. Aber es besteht zwischen der Zustimmung und dem tatsächlichen Verhalten eine große Lücke.

Und was kann man zur Haltbarkeit von interethnischen Ehen sagen? Halten sie länger, oder weniger lang als andere Ehen?

Interethnische Ehen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit geschieden zu werden. Zu den genauen Gründen gibt es jedoch relativ wenig Forschung. Bislang hat die Forschung vor allem herausgefunden, dass Religion eine Rolle spielt. Tendenziell sind Beziehungen stabiler, wenn sich Partner in bestimmten Charakteristika wie Religion, Bildung und Werten ähneln.

Zum Artikel von Sarah Carol in den WZB-Mitteilungen gelangen Sie hier.