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Politik

Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei: Eine menschliche Katastrophe bahnt sich an

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Am kommenden Montag soll Griechenland die ersten Flüchtlinge in die Türkei zurückschicken. Wie diese Rückführung tatsächlich ablaufen soll, weiß vor Ort noch niemand. Eine Katastrophe bahnt sich an.

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Rückführung von Flüchtlingen
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Es ist ein diplomatisches, organisatorisches und auch rechtliches Akrobatenstück, bei dem bisher lediglich das Datum feststeht: Am 4. April soll in Griechenland mit der Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei begonnen werden. Sowohl die EU als auch die Bundesregierung bestehen auf den Termin. Allein, wie das Vorhaben im Rahmen des Flüchtlingspakts der Europäischen Union mit der Türkei konkret und vor allem rechtmäßig ablaufen soll, darüber herrscht noch völlige Unklarheit.

Bei Flüchtlingen, Beobachtern und Vertretern von Hilfsorganisationen, aber auch bei der griechischen Polizei und der Küstenwache wächst die Anspannung. „Noch ist völlig ungewiss, was am kommenden Montag geschehen wird“, sagt ein Offizier der griechischen Küstenwache. „Werden sich die Menschen freiwillig aus den Lagern abtransportieren lassen? Werden wir sie in Handschellen legen müssen? Wird es zu Aufständen kommen? Und was tun wir dann?“

Gut 5000 Menschen sind seit Inkrafttreten des Flüchtlingspakts auf den griechischen Inseln angekommen. Sie werden in den dortigen Auffanglagern interniert. Dort sollen sie einen Asylantrag stellen. Aussicht auf Asyl in Griechenland haben jedoch nur diejenigen, die überzeugend darstellen können, „dass ihr Leben und ihre Rechte in der Türkei in Gefahr sind“. Alle anderen irregulär nach Griechenland Eingereisten werden in die Türkei zurückgeschickt. Im Gegenzug will die EU der Türkei die entsprechende Zahl regulärer syrischer Kriegsflüchtlinge abnehmen.

„Tötet uns hier, aber schickt uns nicht in die Türkei zurück!“

Was verwirrend klingt, hat vor allem einen Sinn: Den bisher unkontrollierbaren Flüchtlingszustrom in der Ostägäis zu stoppen. Bitter ist der Plan für alle, die die gefährliche Reise über das Meer auf sich genommen, ihr Leben riskiert, ihr letztes Geld für die Schlepper zusammengekratzt haben – und nun fürchten müssen, wieder abgeschoben zu werden. „Tötet uns hier, aber schickt uns nicht in die Türkei zurück!“, fordern die Menschen im Internierungslager der Insel Chios auf Transparenten, die an den Stacheldrahtzäunen hängen.

Der Bürgermeister von Lesbos, Spyros Galinos, formuliert es so: „Diese Menschen sind dreifach gestraft: Einmal durch den Krieg in ihrer Heimat, dann durch die Flucht und die gefährliche Überfahrt hierher, und nun, indem wir sie zurückschicken.“

Weil weiterhin Boote von der Türkei aus übersetzen, spitzt sich die Situation im Lager von Lesbos zu, sagt Michele Telaro, Projektleiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. „Die Menschen sind aufgebracht – in Moria befinden sich mehr als 2500 Flüchtlinge und Migranten, und täglich kommen neue hinzu. Wenn für die Internierung nicht bald eine Lösung gefunden wird, wird es Probleme geben.“

Griechen vollkommen überfordert

Davor hat auch die örtliche Polizei Angst, sagt Telaro. „Niemand will Gewalt anwenden“, bestätigt ein Offizier der griechischen Küstenwache. „Aber wie soll es praktisch ablaufen, wenn wir aus einem Lager mit tausenden Menschen 100 Leute herauspicken und abtransportieren sollen?“

Denn nur die wenigsten werden bis zum 4. April ein Asylverfahren durchlaufen haben, und damit ist schon das nächsten Problem genannt: Die Menschen haben zwar Anspruch darauf, einen Asylantrag zu stellen. Griechenland aber hat für die vielen zu bearbeitenden Fälle bei weitem nicht genug Personal; nach wie vor fehlt es an Übersetzern, Asyl- und Verwaltungsfachleuten. 2300 Experten hatte die griechische Regierung von der EU angefordert – erst wenige Hundert konnten EU-weit überhaupt ausfindig gemacht werden.

Der Zeitverzug stellt die Verantwortlichen in Griechenland vor ein weiteres Problem: Laut Gesetz dürfen die Menschen höchstens 25 Tage festgehalten werden. Was, wenn die Zeit verstreicht, ohne dass die Betreffenden einen Asylantrag stellen konnten? „Werden sie dann wieder freigelassen und tauchen unter? Oder bedient man sich eines Tricks und bringt sie zum Festland, wo sie erneut festgehalten werden können?“, fragt sich der Offizier der griechischen Küstenwache.

Amnesty: Türkei schiebt Flüchtlinge gegen ihren Willen ab

Trotz aller Fragezeichen scheint auch Athen darauf bedacht zu sein, den Startschuss für die Rückführung einzuhalten – und in der EU dürfte man erstmals froh über griechische Improvisationskunst und Flexibilität sein. Möglich wäre der Beginn der Rückführungen beispielsweise, indem man zunächst bestimmte Nationalitäten zurückgeschickt – Menschen aus offiziell sicheren Ländern wie Pakistan und Algerien. „Zwar kann jeder Asyl beantragen“, sagt Michele Telaro von Ärzte ohne Grenzen, „aber dann geht es eben darum, ob dem Antrag stattgegeben wird oder nicht.“ Wenn nicht, könnte es mit der Abschiebung sehr schnell gehen.

Wenn da nicht noch ein weiteres Problem wäre: Bisher steht noch nicht genau fest, wie die eigentliche Rückführung vonstattengehen soll. Über den Seeweg direkt zur türkischen Küste? Und wenn ja, mit welchen Booten? Oder werden die Menschen erst zum griechischen Festland gebracht und dann beim griechisch-türkischen Grenzübergang von Kipoi-Ipsala abgeschoben? Am Donnerstag wurde bekannt, dass die türkischen Küstenstädte Çeşme und Dikili die ersten Flüchtlinge in Empfang nehmen sollen. Sie liegen jeweils gegenüber den griechischen Inseln Chios (Çeşme) und Lesbos (Dikili).

Derweil erhebt Amnesty International wie bereits im Dezember Vorwürfe gegen den türkischen Umgang mit syrischen Flüchtlingen. Hunderte würden gegen ihren Willen abgeschoben. Nachforschungen an der türkischen Südgrenze hätten gezeigt, dass die Türkei derzeit kein „sicherer Drittstaat“ für Flüchtlinge sei. Ankara dementiert das. (dpa/dtj)