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Politik

Treffen von Merkel und Erdoğan: Viele heiße Eisen, aus denen man nichts schmieden kann

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Bundeskanzlerin Angela Merkel ist erneut in der Türkei und erneut geht es um das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei. Am Rande des UN-Nothilfegipfels in Istanbul wird sie sich auch mit Staatspräsident Erdoğan treffen. Obwohl es das vierte mal innerhalb eines Jahres ist, haben sich schon wieder reihenweise Themen angehäuft, die angesprochen werden müssen. Das dürfte aber nicht leicht werden.

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Bundeskanzlerin Merkel und der türkische Präsident Erdoğan
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Es gibt Termine, auf die sich Angela Merkel mehr freuen dürfte: „Über alle wichtigen Fragen“ wolle die Kanzlerin am Montag mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan reden. Und tatsächlich herrscht Gesprächsbedarf. „Große Sorgen“ würden ihr „einige Entwicklungen in der Türkei“ bereiten, hatte Merkel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt. Dennoch halte sie an der Umsetzung des EU-Flüchtlingspaktes mit der Türkei fest. Das gestaltet sich jedoch angesichts der politischen Volten des autoritären Staatschefs in Ankara immer schwieriger.

Wie die Bild herausgefunden haben will, geht die Bundesregierung nicht mehr davon aus, dass die Visafreiheit für Türken im Schengenraum bis Anfang Juli umgesetzt wird. Vor Jahresende könne Ankara die Bedingungen nicht mehr erfüllen, sage man in Regierungskreisen. Haupthindernis ist die türkische Weigerung, die undemokratischen Antiterrorgesetze zu ändern. Doch das kommt für Erdoğan nicht in die Tüte.

Die in Europa mit großer Sorge betrachtete Aufhebung der Immunität eines Viertels der türkischen Parlamentsabgeordneten, die das Ende der prokurdischen HDP-Fraktion bedeuten könnte, müsste ebenso ein Thema sein wie die von Erdoğan vorangetriebene Auswechslung Premierminister Ahmet Davutoğlus durch den gefügigen Gefolgsmann Binali Yıldırım. Auch zur Affäre Böhmermann dürften noch einige Worte fallen, genauso wie zu den Beitrittsverhandlungen zwischen EU und Türkei. Und dann ist da noch die Völkermord-Resolution, die nächste Woche durch den Bundestag gehen soll.

Bereits gestern hatte sich Merkel mit Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen; ohne Presse, hinter verschlossenen Türen. Über zwei Stunden hatte das Treffen gedauert, es sei um die politische und gesellschaftliche Situation in der Türkei, die Kurdenfrage und den Konflikt mit der PKK, Flüchtlingspolitik und den Verfall der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei gegangen, berichten die Teilnehmer. Vertreter der HDP, die aus dem Parlament zu fliegen drohen, oder staatlich verfolgte Journalisten waren indes nicht dabei. Es entstand unvermeidlich der Eindruck, das Treffen sollte nur ein Kompromiss sein, damit Merkel sagen kann, sie habe sich auch mit Regierungskritikern getroffen, ohne Erdoğan damit allzu sehr zu erzürnen. Schließlich gibt es heute einige heiße Eisen anzupacken und das ist schon schwer genug, ohne dass der Sultan erzürnt ist.

Erdoğans Spielraum wächst

Dass Merkels Worte etwas an der innenpolitischen Situation in der Türkei ändern könnten, daran glaubt ohnehin niemand. Erst heute hat der HDP-Abgeordnete Ziya Pir einen Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu (AA) bestätigt, wonach die Zahl der Abgeordneten, die ihre Immunität zu verlieren drohen, um zehn weitere gestiegen ist. Drei davon gehören zur HDP, mittlerweile stehen 53 ihrer 59 Abgeordneten zur Disposition. Ein Einlenken seitens Erdoğan ist da ohnehin nicht mehr zu erwarten. Vielmehr wirkt es so, als ob er mittlerweile immer offener die Grenzen seiner Handlungsmöglichkeiten auszuloten versucht. Das gilt nicht nur bei den Kriterien für die Visafreiheit, sondern auch bei der Überführung von Flüchtlingen.

Dass die Türkei bewusst hoch qualifizierten Flüchtlingen die Reise nach Europa verweigere, widerspreche den Grundsätzen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), sagte UNHCR-Sprecherin Melissa Flemming am Rand des UN-Nothilfegipfels in Istanbul. Sie rief die Türkei auf, gut ausgebildeten Fachkräften wie Ärzten oder Ingenieuren die Weiterreise nicht zu verwehren; allein die Bedürftigkeit der betroffenen Menschen dürfe ein Kriterium für die Erteilung von Ausreise-Visa sein. Aber auch hier ist wenig Kompromissbereitschaft zu erwarten.

Dass Erdoğan heute in einem Gastbeitrag für die britische Tageszeitung The Guardian direkt vor Beginn des UN-Gipfels gegen Europa poltert, ist da ein denkbar schlechtes Zeichen. Auch innenpolitisch ist nichts weiter zu erwarten, als eine noch härtere Gangart. Eine der ersten Ansagen Yıldırıms als Premierminister war, dass er die Einführung von Erdoğans Präsidialsystem mit aller Kraft vorantreiben will. Das beobachtet man auch in der EU mit Sorge.

Merkel wird sich bei Erdoğan genau überlegen müssen, was sie wie anspricht. Die Erwartungen, dass das Gespräch zu einem Einlenken bei einer der zentralen Problemstellungen führen könnte, gehen jedoch ohnehin gegen Null. Wahrscheinlich hoffen alle nicht-türkischen Beteiligten lediglich, dass Merkel den richtigen Ton trifft und der „lange Mann“, wie ihn seine Anhänger nennen, nicht wieder aus der Haut fährt.