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Türkische Community: „Unsere Probleme können nur wir lösen“

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Der Verein „Türkisch Deutsche Akademiker aus Anatolien“ hat zu einem schwierigen Thema verschiedene Redner eingeladen. Unter ihnen vor allem Seyran Ateş.

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Die türkische Community in Deutschland ist polarisiert wie nie zu vor. Das ist nicht zuletzt zurückzuführen auf die Spannungen in der Türkei, die seit zwei Jahren herrschen. Die einen sagen, dass wir in Deutschland leben und die Spannungen in der Türkei nicht nach Deutschland transportieren sollten. Die anderen sagen, dass sie gerade durch ihre multiplen Identitäten die Geschehnisse in der Türkei emotional bewegen und sie das nicht unterdrücken können. Hinzu kommen die ständigen Unruhen im Nahen Osten, die seit den Pariser Anschlägen auch Europa  stark beeinflussen. Auch das bewegt die türkische Community im Alltag.

Insbesondere merkt man die starken Spannungen in sozialen Medien wie Facebook. Wenn man sich die Kommentare über die Themen von der Türkei bis zum Nahen Osten und Europa anschaut, fliegen sehr oft die Fetzen. Es gibt aber auch mittlerweile Gruppen, die sich auf die Fahne geschrieben haben, dass sie trotz all der Unterschiede dennoch zusammenkommen können. Die Gruppe „Türkisch Deutsche Akademiker aus Anatolien“ (TDAA e.V.) beispielsweise hat vor kurzem einen Verein gegründet und bringt Menschen unterschiedlicher Gesinnungen zu Veranstaltungen zusammen, zu denen auch verschiedene prominente Redner eingeladen werden.

Zu so einer Veranstaltung lud mich vergangenen Sonntag Taner Aktaş, der Vorsitzende des TDAA e.V., ein. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mit gemischten Gefühlen hinfuhr. Als Redner eingeladen wurden Eyüp Odabaşı (Kommunalpolitiker – Bündnis ’90/ Die Grünen), Ramazan Akbaş (Rechtsanwalt), Nihan Başer (Kuratorin) und Seyran Ateş (Frauenrechtlerin, Publizistin und Rechtsanwältin). Diese Redner verbindet nicht nur das „ş“ in ihrem Nachnamen, sondern auch die gemeinsamen Schwierigkeiten, mit denen sie in Deutschland konfrontiert sind. In ihren Reden ging es unter anderem darum, wie sie diese Schwierigkeiten gemeistert haben und meistern. Dadurch konnte ich viel aus den Vorträgen mitnehmen und mit Einschränkungen sollte sich die Deutsch-Türkische Community diese vielfältigen Impulse in ihre Gedächtnisse einmeißeln.

Eyüp Odabaşı: Wie funktioniert Politik und was können türkischstämmige zur Politik beitragen?

In seinem 30-minütigen Vortrag hat Odabaşı anhand seiner praktischen Erfahrungen ein Paradebeispiel für einen idealen türkischstämmigen Politiker gezeichnet. Studiert habe er Anglistik und Literaturwissenschaft und über eine Fortbildung wurde er Wirtschaftsinformatiker. Und mit der Politik habe er im Ausländerbeirat begonnen. Zu den Grünen sei er durch Kontakte gekommen. Nach seiner Darstellung arbeite die Politik mit Stereotypen und sie bräuchte ein Weltbild.

„Wie in der Bildung entscheidet leider allzuoft die soziale und ethnische herkunft ob man es schwer oder leicht hat. Das gilt leider für alle Parteien“

„Das Weltbild vereint die Menschen innerhalb der verschiedenen Parteien. Über diesen Filter nehmen sie die Außenwelt war und selten können die breitgetretenen Pfade von einzelnen Personen verlassen werden.“

Politik gälte unter vielen Türkeistämmigen als dreckiges Geschäft. In der Türkei könne man sich zurückziehen. Diejenigen, die gewählt werden, kommen aus ihrer Mitte und wissen über Befindlichkeiten und wo der Schuh drückt. Hier in Deutschland sieht es anders aus. Die urdeutschen Amts- und Mandatsträger können gar nicht wissen, was unsere Bedürfnisse sind. Auch gut gemeintes kann so zu schlechten Entscheidungen führen. Ein Türkisches Sprichwort beschreibt es sehr gut: ‚Ein Baby, das nicht schreit, bekommt auch keinen Schnuller‘. Unsere Probleme kennen nur wir und nur wir können sie lösen, so Odabaşı.

Auf die Frage, wie ein Politiker arbeitet, meinte er, die Meinugsbildung finde eher hinter geschlossenen Türen statt. Jedoch könne die Öffentlichkeit zu einer Änderung im Abstimmungsverhalten führen. Den Mitgliedern empfahl Odabaşı, sie sollten sich in einer Partei oder in Vereinen nach ihren Vorstellungen engagieren. Durch das Engagement in der Politik sei eine politische Teilhabe möglich. Das Potential der Frauen in der Community zu erkennen sei hierbei enorm wichtig.

Bezüglich der Diskriminierung sei die Community in unterschiedlicher Art und Weise betroffen. Während einige ihre eigene Ausgrenzung nicht immer merken, da sie es nicht anders gewohnt sind, verschließen viele die Augen vor der eigenen Diskriminierung. Niemand möchte ein Opfer sein, so Odabaşı.

Ramazan Akbaş: Meinungsfreiheit als höchstes Gut nach der würde des Menschen

Zugegebenermaßen kannte ich Ramazan Akbaş in der Öffentlichkeit noch gar nicht, aber seine Rede über die Meinungsfreiheit hat mich sehr beeindruckt, als er ihre Grenzen anhand von Beispielen aufzeigte. Der Staat müsse die Würde des Menschen vor der Meinungsfreiheit der Menschen schützen. Folglich sei die Würde des Menschen uneingeschränkt und die Meinungsfreiheit durch allgemeine Gesetze einschrenkbar.

Er ging dabei der Frage nach, wer etwas sagen darf. In dieser Hinsicht müsse eine öffentliche Person mehr aushalten als eine private Person. Er gibt dazu ein spektakuläres Beispiel: Zwei türkischstämmige Politiker stünden derzeit immernoch in einem Rechtstreit. Der Grünen-Politiker Memet Kılıç habe Ozan Ceyhun als Kettenhund Erdoğans bezeichnet. Nach Akbaş falle dies doch unter Meinungsfreiheit und er glaubt, dass der Bundesgerichtshof hier entscheiden würde. Der Begriff Kettenhund sei nicht als Hund in dem Sinne zu sehen und gibt ein anderes Beispiel an, den die Gerichte schon entschieden hatten, nämlich Bushido, der im Fall mit Claudia Roth (Bündnis ’90/ Die Grünen) frei gesprochen worden ist.

Wir erinnern uns, Bushido hatte in seinen Texten die Grünen-Politikerin Claudia Roth mit den Worten Ich schieß Dir Löcher in den Rücken…! beleidigt und zum Politiker Serdar Tören gesagt, er solle ins Gras beißen. Das Gericht habe sich dabei auf die Kunstfreiheit berufen und Bushido freigesprochen. Die Begründung sei, dass der Satz …ins Gras beißen… nicht als Töten gemeint sei, sondern er die „Fresse“ halten solle. So sei der Rapper-Jargon. Die Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und Pressefreiheit würden solche Gedankengänge schützen, jedoch sobald es um „die Würde des Menschen, um die Weitergabe als geheim klassifizierter Informationen, die übermäßige Kritik an eigenen oder ausländischen höchsten Staatsvertretern und den unlauteren Wettbewerb durch Diskreditierung der Waren oder Dienstleistung eines Konkurrenten“ gehe,  seien diese Äußerungen nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt.

Nihan Başer: Die Türkische Kunst in Europa

Nihan Başer leitet eine Kunstgalerie in Frankfurt und hat Kunstgeschichte studiert. Sie hat von Schwierigkeiten der Künstler gesprochen und dass auch sie auf Gelder angewiesen seien, um ihre Kunst weiterhin zu betreiben. Dabei hat sie einen Vergleich zwischen der Kunstszene in Deutschland und der Türkei gezogen. Die Kunstszene in der Türkei hätte es durch die politischen Spannungen schwieriger als in Deutschland, wobei die türkischen Künstler in Deutschland es schwierig hätten einen Job zu bekommen. Die Kunstszene in der Türkei sei sehr klein und sie hätten sich „Kanäle verschafft, um auszudrücken, was sie politisch und gesellschaftskritisch zu sagen haben“, so Başer.

Ein Kunstwerk sei nicht einfach ein Konsumgut, sondern eine geistige Dimension. Es gäbe interessante KünstlerInnen in Deutschland, die sich über Kunst mit der Migration beschäftigen. Die türkische Kunst in Deutschland brauche mehr Unterstützung, damit sie bekannter wird.

Seyran Ateş: „Wir habe die Aufgabe, das Islam-Bild in Europa zu ändern“

Die meiner Meinung nach beeindruckendste Rede des Abends. Es ging bei Seyran Ateş darum, was wir Muslime und Akademiker gegen die Terroranschläge machen.
„Wenn wir uns gegen das Bild, das über den Islam, über Muslime in Deutschland, Sunniten, Aleviten, Türken, Kurden, Turkmenen zurzeit in der Welt verbreitet wird, zur Wehr setzen wollen, das können doch nur wir machen.“

In diesem Zusammenhang vermisse sie in der türkischen Community oder im Allgemeinen in der „Migranten“-Community den Zusammenhalt, ähnlich wie bei Odabaşı sagt Ateş, dass nur die Community die eigenen Probleme lösen kann.

Ich muss auch hier ehrlich zugeben, dass ich sie nur aus dem Fernsehen kannte. Früher hatte ich nicht so einen guten Eindruck von ihr, weil mir die Medien den Eindruck vermittelten, dass Seyran Ateş Islam-Kritikerin oder wenn ich es mal im Rap-Jargon formulieren darf, „Haterin“ ist. In dieser Veranstaltung habe ich sie persönlich kennengelernt. Sie beschreibt ihre eigene Identität mit folgenden Worten:

„Ich habe eine transkulturelle Identität. Ich bin Türkin und Deutsche, dazu bekenne ich mich. Meine Mutter ist Türkin mein Vater ist Kurde. Ich bin sunnitische Muslimin. Mein Opa ist Alevit gewesen und inzwischen Sunnit. Dazu bekenne ich mich.“

„Transkulturelle Identität“ war eines der wichtigsten Schlagworte in ihrer Rede, an denen ich den Transport der politischen Spannungen aus der Türkei nach Deutschland in der Türkischen Community festmache. Die Türkische Community fühlt sich sowohl Deutschland als auch der Türkei verbunden. „Im Interesse meines Landes Deutschland und meines Landes Türkei trete ich an die Öffentlichkeit“, so Ateş. Sie fordert, dass sich noch mehr aus der Community in die Öffentlichkeit wagen sollten und Aufklärungsarbeit leisten sollten, was das Bild der Community in Deutschland angeht.

„Als ich 18 Jahre alt war, habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt, wo wir hingehören und habe mein erstes Buch geschrieben.“

Sie kämpfe auch nicht gegen den Islam, sondern gegen das Patriarchat und das mache sie mit den Männern zusammen, da man nur mit „Männern zusammen eine geschlechtergerechte Welt“ schaffen könne.

Zu den Terroranschlägen sagt sie, dass sie eine Mahnwache begonnen habe unter dem Motto: „Kein Morden im Namen Gottes“. „Ich lasse mir nicht von irgendjemandem vorschreiben, dass meine Religion gewalttätig ist!“, so Ateş. Sie betont, dass sie sich schon immer mit Kopftuch tragenden Frauen gemeinsam zu Frauenthemen, zu Islamthemen und zur Geschlechtergerechtigkeit geäußert und nebeneinander gestanden hat. Die Frau, die ihren Gerechtigkeitssinn „nur“ auf das Kopftuch beschränkt, sei unglaubwürdig. Da sei mehr als „nur das Kopftuch in unserer Religion, für was wir einstehen sollten“, so Ateş.

Es hätten sich mehrere Kopftuch tragende Frauen gemeldet, welche mit ihr vor dem Brandenburger Tor gestanden haben. Und diese Frauen kämen aus der Gülen-Bewegung (Hizmet-Bewegung). „Alle anderen – ich war Mitglied der Islamkonferenz – aus DITIB, Islamrat, Zentralrat der Muslime… Ich habe sie alle gefragt. Von denen kommt keiner.“ Das fände sie traurig. Die „Sachzwänge“ würden dazu führen, dass diese Menschen nicht zusammenkommen.

Das würde dazu führen, dass die Muslime in der Außendarstellung gegenüber Terroranschlägen den Eindruck erwecken, sie täten nicht genug gegen den Terror.

Veranstaltung der Vielfalt

In der Veranstaltung kamen verschiedene Gesinnungen zusammen und haben mit den Rednern zusammen über gesellschaftspolitische Dinge diskutiert. Wir haben auch viel miteinander gelacht und Ramazan Akbaş schrieb dazu in einem Kommentar auf Facebook:

„Ihr vom TDAA-Team seid derzeit die einzigen aus Europa und der Türkei, die es geschafft haben, wider alle türkischen Strömungen. Die sich immer mehr angehatet hatten, an einen Tisch zusammenzuführen. Dass ich mit dem Grünen Odabaşı und Frau Kollegin Ateş ganz relaxt an einem Tisch sitze und auch denen applaudiere, hätte ich nie gedacht. Es wurde deutlich, dass wir alle nur das Beste für uns alle wollen und bei allen Themen, die ausschließlich unser gesellschaftliches Miteinander in Deutschland betreffen, eigentlich exakt am selben Strang ziehen.“

In diesem Sinne sehe ich in naher Zukunft ein Umdenken der Türkischen Community in Deutschland, gemeinsame Probleme durch solche Impuls-Veranstaltungen lösen zu wollen. Vielen Dank nochmal für die Einladung an Taner Aktaş und an das TDAA-Team.