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Politik

Warum Israel es dann doch eilig hatte

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Dass die Entschuldigung Israels für die Toten auf der „Mavi Marmara“ am Ende schnell vonstattenging, war in erster Linie Obama zu verdanken. Strategisch sprechen aber noch andere Überlegungen für eine israelisch-türkische Aussöhnung. (Foto: reuters)

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Warum Israel es dann doch eilig hatte
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Die meisten fragen sich, warum Israel sich erst entschieden dagegen gewehrt hat, aber sich am Ende doch dazu bereiterklärte, sich bei der Türkei zu entschuldigen und sogar den Angehörigen der Todesopfer bei der Erstürmung der „Mavi Marmara“ eine Entschädigung zu zahlen.

Die Türkei hatte sich bekanntlich im Vorfeld jedwedem Kompromiss verweigert und auch ganz offen deklariert: So lange die von uns genannten Voraussetzungen nicht erfüllt werden, sind wir nicht bereit, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Und so kam es, dass es seit 2010 jahrelang keine Bewegung im Verhältnis zwischen beiden Ländern gegeben hatte.

Auch Israel blieb zunächst hartnäckig, doch wie kam es dann am Ende doch zu einer Entschuldigung? Ist die Rolle Obamas dabei wirklich so entscheidend gewesen?

Man muss sich zweifellos in erster Linie bei Obama dafür bedanken, dass sich so unverhofft eine Lösung finden ließ, denn er hat dafür gesorgt, dass beide Länder, die Türkei und Israel, sich aufeinander zubewegten. Der Druck aus Amerika war entscheidend. Und die Israelis haben am Ende nicht dem Druck aus der Türkei, sondern jenem aus Amerika nachgegeben. Obama hat aber auch in der Türkei einen besonderen Stellenwert und ist dort sehr beliebt.

Stellen wir uns aber noch einmal die Frage: Warum hat Israel nun seine Strategie geändert?

Die alte Strategie ist uns bekannt: Politik der Stärke, Abriegelungen, Blockaden – damit begründet, dass man den Palästinensern keine Gelegenheit mehr geben dürfe, Gewalt auszuüben -, und Souveränität der Palästinenser über eigenes Territorium nur unter der Voraussetzung, dass die Grenzen überschaubar sind, das Land frei von Soldaten ist, ohne Flugplatz und ohne unmittelbaren Zugang zu fremden Gewässern und dass der größte Teil des Außenhandels über Israel verlaufen soll.

Reine Politik der Stärke unwirksam bei asymmetrischer Kriegsführung

Israel hatte den Wunsch, die eigene Dominanz in der Region zu erhalten und seinen arabischen Feinde überlegen zu sein. Das hieß, dass um Israel herum keine starken arabischen Länder existieren dürften. Aus diesem Grunde hat Israel auch die Bürgerkriege in den benachbarten Ländern gebilligt, unterstützt und zum Teil sogar provoziert. Selbst Israel freundlich gesinnte Staaten empfanden das alles bisweilen nicht mehr als akzeptabel, doch die damalige politische Situation hat diese Strategien erfordert.

In der heutigen Sicherheitslage hingegen hat Israel keine Angst mehr vor etablierten Feindstaaten, die über eine Zentralregierung sowie eine Armee verfügen, sondern eher vor kleinen, instabilen Strukturen, die über ein Potenzial zur asymmetrischen Kriegsführung verfügen. Schließlich hat man auch nach dem Krieg in Libanon und aus dem Syrienkrieg Lehren gezogen.

Die dort gewachsenen anti-israelischen Gruppierungen, die ihre Autonomie anstrebten, waren weder überschaubar, noch war eine Verhandlung mit ihnen möglich, denn es gab nicht einmal konkrete Ansprechpartner.

Hisbollah ist eine dieser beschriebenen Gruppierungen und auch die im Syrienkrieg gebildeten Salafisten und Djihadistengruppierungen gehören dazu. Ähnliche Kräfte hatten auf der Halbinsel Sinai sowohl Israel als auch Ägypten in die Bredouille gebracht. Wir leben nun in einer Zeit, in der kleine Mächte Angst verbreiten. Es macht deshalb auch aus israelischer Sicht Sinn, ein gutes politisches Auskommen mit der Türkei zu suchen, die ein Land ist, das zum einen gelernt hat, der Nadelstichtaktik terroristischer Kleingruppen zu trotzen, und zum anderen immerhin noch Gespräche mit Gruppierungen führen kann, mit denen Israel bewusst keine direkten Verhandlungen zu führen bereit ist.

Auf der anderen Seite gibt es auch eine Realität, die Israel bereits seit 10 Jahren wahrgenommen haben muss. Die Zahl der Palästinenser auf den beiden Seiten des Jordanflusses hat bereits die Zahl der Juden überholt. Die Zahl der Palästinenser in den israelischen Grenzen von 1967 selbst macht dabei rund ein Fünftel der israelischen Bevölkerung aus.

Und wie es aussieht, steigt nicht nur die Zahl der Palästinenser im Vergleich zu den jüdischen Israelis an, auch die steigende Anzahl der jüdischen Orthodoxen spricht sich größtenteils für ein Ende des Nahostkonflikts aus.

Israel verliert an Boden

Die Auswanderung aus Israel kann durch die immer kleiner werdende Einwandererzahl in das Land nicht kompensiert werden. Unter diesen Umständen sollten sich die Israelis aus einem palästinensischen Staat perspektivisch sogar mehr Vorteile erhoffen als die Palästinenser selbst.

Diese Argumente brachte früher auch Arafat. Später begann Ariel Sharon, ähnliches zu sagen. Der eine ist gestorben, der andere liegt auf dem Sterbebett, doch beide hatten die Situation richtig eingeschätzt.

Es ist geradezu existenziell wichtig für Israel, dass ein palästinensischer Staat gegründet wird und so zumindest ein Teil der in der israelischen Bevölkerung ansässigen Araber dadurch in ein künftiges Palästina übergehen wird. Sicherlich darf so ein palästinensischer Staat die Existenz Israels nicht gefährden und bedarf daher der Unterstützung und auch der Aufsicht durch Ägypten und die Türkei.

Kürzlich wurde ein palästinensischer Häftling beerdigt, der in einem israelischen Gefängnis in der Stadt El-Halil an Krebs gestorben war. Meysera Ebu Hamidiye wurde 63 Jahre und war zu einer lebenslangen Haft verurteilt worden. In jedem Fall war er dazu verdammt, im Gefängnis zu sterben. In israelischen Gefängnissen sitzen über 4.500 Palästinenser. Einige von ihnen werden, ähnlich wie Ebu Hamidiye, im Gefängnis sterben, wenn es keine Amnestie für sie geben sollte. Jeder Palästinenser, der sein Leben im israelischen Gefängnis verliert, ist aus Sicht der Palästinenserorganisationen ein Symbol dafür, dass die Mission Palästina legitim ist. Mervan Barguti, verurteilt wegen fünffachen Mordes und Terrorismus, allerdings nach Ansicht einiger internationaler Organisationen während des Verhörs gefoltert, ist 54 Jahre alt und müsste der Dauer seiner Haftstrafe zufolge fünf Mal im Gefängnis sterben. Ahmet Sa´adat ist 60 Jahre alt. Er sitzt nach der Ermordung eines israelischen Ministers als angeblicher Rädelsführer seit sieben Jahren in Haft. Die Liste kann beliebig verlängert werden.

Gespräche mit der Hamas unumgänglich

Die Freilassung dieser Menschen ist bedeutsamer für die Israelis als für die Palästinenser. Sie wäre ein wichtiges Signal mit Blick auf eine mögliche Wiederbelebung des Friedensprozesses. Doch sicherlich erfordert die Freilassung der Häftlinge im Gegenzug eine Garantie für ein friedliches und gemeinsames Leben und dieses muss auch während der Verhandlungen und danach gewährleistet werden.

Um eine realistische Chance auf Frieden zu schaffen, wird Israel früher oder später auch um direkte Gespräche mit der Hamas nicht herumkommen. Dass diese zustande kommen, kann durch zwei Länder gewährleistet werden, nämlich Ägypten und die Türkei.

Schlussendlich gibt es für die Entscheidung Israels, sich bei der Türkei zu entschuldigen, nicht nur eine Erklärung. Sicherlich ist es wichtig für Israel, freundschaftliche Beziehungen zu der Türkei zu unterhalten, doch es gibt mehr als nur diese Argumente für Israel, um diesen Schritt zu machen. Israel hatte es wirklich eilig.

Autoreninfo: Kerim Balcı (Jg. 1971) ist Buchautor und Chefredakteur des Magazins ‚Turkish Review‘. In seinen Artikeln befasst er sich in erster Linie mit der türkischen Außenpolitik, dem Nahen Osten und dem Interkulturellen Dialog.