Connect with us

Gesellschaft

Wie mir das türkische Köln Radyosu Italienisch beibrachte

Spread the love

Mit Köln Radyosu stirbt demnächst eine Insitution der ersten Gastarbeitergeneration, mit der viele Deutschtürken aufgewachsen sind. Auch unser Autor verbindet Kindheitserinnerungen damit. Ein würdigender Rückblick.

Published

on

Köln Radyosu
Spread the love

„Ce la radio colonia, abiti ascoltato, trasmissione, Italiana in Germania.“

Nicht verstanden?

Das können Sie auch nicht, wenn Sie kein Italienisch können – oder nicht mit den fremdsprachigen Gastarbeiter-Programmen des WDR aufgewachsen sind. Meine Familie und ich hatten diese bis in die 90er-Jahre hinein jeden Abend gehört. Damals begann das 40-minütige türkische Programm Köln Radyosu täglich um 19.40 Uhr. Dem türkischen Programm folgte das italienische. Da man das Radio nicht sofort um Punkt 20.20 Uhr ausschaltete, hörte man noch ein wenig in das andere Programm hinein. Aus dieser Zeit sind bei mir die eingangs erwähnten Worte hängengeblieben. Dass sie Italienisch waren, wusste ich, was sie genau bedeuteten, nicht. Dennoch kann ich sie bis heute auswendig – auch wenn sie hier wahrscheinlich gänzlich falsch geschrieben sind.

Die jüngeren Generationen werden Köln Radyosu vermutlich nicht mehr kennen. Eine Untersuchung des WDR aus dem Jahr 1996 ergab, dass es damals noch von drei Prozent der Zielgruppe gehört wurde. Einige Jahre zuvor lag diese Zahl noch bei rund 60 Prozent. Damals gab es aber auch noch nicht das Internet und die über Satellitenschüssel empfangenen Privatfernsehkanäle aus den Herkunftsländern. Es gab lediglich Zeitungen für die, die sich eine Zeitung kaufen wollten, VHS-Videos für die Unterhaltung und eben das Köln Radyosu für das tägliche Bedürfnis nach Informationen und Musik.

Es gab noch zwei Sendungen im Fernsehen, „Nachbarn in Europa“ im ZDF, das immer samstagsvormittags gesendet wurde, und „Ihre Heimat, Unsere Heimat“, das sonntags in der ARD lief. Das alles wurde mit dem bedrückenden Gefühl angeschaut, dass die Sendezeit als verdammt kurz empfunden wurde.

Ein Kind des Kalten Krieges

Die erste Gastarbeitersendung im Radio wurde in italienischer Sprache gesendet. Den Anfang machte der Saarländische Rundfunk am 21. Oktober 1961. Auf ihn folgten zwischen November und Dezember 1961 der Bayerische Rundfunk, der Hessische Rundfunk und der WDR. Am 21. Mai 1964 übernahm die ARD die Koordination der Programme, am gleichen Tag wurde auch die türkische Sendung zum ersten Mal ausgestrahlt. Dabei waren Köln Radyosu beziehungsweise die Radiosendungen in den Sprachen der Gastarbeiter selbst ein Produkt des Kalten Krieges.

Die Führung der DDR begann am 13. August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer. Die in Berlin arbeitenden italienischen Gastarbeiter forderten daraufhin von ihren Arbeitgebern ihre Pässe zurück. Sie hatten Angst, dass ein Krieg ausbrechen könnte und wollten deshalb Berlin verlassen. Auch hatte die Führung des sozialistischen Deutschland die Gastarbeiter als Publikum für sich entdeckt und begann auf sie einzuwirken. Radio Budapest beispielsweise hatte seit 1950 ein türkischsprachiges Programm. Erich Rotter vom WDR sagte nach Gesprächen mit dem Bundesarbeitsministerium: „Von deutscher Seite ging es um die Abwehr unerwünschter politischer Einflüsse aus dem Osten und um die sozial- und gesellschaftspolitische Einordnung der Ausländer.“ Es ging also um antikommunistische Agitation plus gesellschaftlicher Integration.

Zumindest zum zweiten Ziel haben die Programme viel beigetragen. Köln Radyosu brachte nicht nur Informationen aus der Heimat und aus Deutschland, nicht nur einheimische, vertraute Klänge, sondern auch Aufklärung und zeigte Auswege bei Nöten der Gastarbeiter. Der 2013 verstorbene Fuat Bultan beispielsweise hatte in Köln Radyosu als Sozialexperte 16.000 Hörerbriefe und 8.000 telefonische Fragen beantwortet. Köln Radyosu war durchaus ein Teil des eigenen täglichen Lebens. Es hat die Türken in Deutschland jahrelang begleitet. Nicht nur der Name Fuat Bultan, auch die Namen Yüksel Pazarkaya, Turhan Dikkaya, Ulya Üçer, Osman Okkan sind denen, die es gehört haben, unvergesslich in das Gedächtnis eingraviert.

Danke, Köln Radyosu

Nun soll Köln Radyosu dem Rotstift zum Opfer fallen. Traurig? Ja, aber so ist der Lauf der Dinge. Seit der Anwerbung der Gastarbeiter ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, die erste Generation ist entweder längst tot oder genießt ihr Rentnerdasein, ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr in der alten Heimat. Ein Gastarbeiterradio in der Form von Köln Radyosu mag seine Zeit überschritten haben.

Aber Vorsicht: Das soll nicht heißen, dass die Integration längst erfolgreich vollzogen ist und man an die Nachkommen der Gastarbeiter keine Angebote mehr machen sollte. Um die 700.000 Haushalte türkeistämmiger Menschen zahlen in Deutschland GEZ-Gebühren, insgesamt an die 120 Millionen Euro. Gleichzeitig sind sie in den Medien unterrepräsentiert. In Tageszeitungen beispielsweise wird der Anteil von Menschen mit Gastarbeiterhintergrund mit zwei bis drei Prozent angegeben.

Wäre Erich Rotter heute noch am Leben, würde er vermutlich sagen: „Danke Köln Radyosu. Ihr habt gute Arbeit geleistet. Doch das Ziel der vollständigen Integration ist noch längst nicht erreicht. Die Arbeit muss fortgeführt werden, wenn auch in anderer Form.“