Connect with us

Sport

Wolfgang Niersbach: »Die Zeit ist überreif»

Spread the love

Wolfgang Niersbach hat Anfang März Theo Zwanziger als DFB-Präsident abgelöst. Nur vier Monate nach seiner Wahl könnte der ehemalige Generalsekretär den ersten Titelgewinn in seiner Amtszeit feiern.

Published

on

Wolfgang Niersbach: »Die Zeit ist überreif»
Spread the love

Danzig (dpa) – Wolfgang Niersbach kann gleich bei der ersten großen Mission als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) auf den Titelgewinn hoffen. Es wäre der erste seit 1996. «Überreif» ist für den 61-Jährigen die Zeit für einen ersten Turniererfolg gegen Italien im EM-Halbfinale an diesem Donnerstag. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa bezeichnet Niersbach Bundestrainer Joachim Löw als «idealen Mann am richtigen Ort». Die Euphorie in der Heimat begeistert ihn: «Dass ein ganzes Land gemeinsam feiert, das schafft nur der Fußball.»

Beim Klassiker Deutschland gegen Italien haben auch Sie in Ihrer langen DFB-Laufbahn bei Turnieren oft genug mitgelitten. Endet der Italien-Fluch am Donnerstag im Halbfinale?

Niersbach: «Die Zeit dafür ist reif, vielleicht sogar überreif. Ich habe die meisten Spiele gesehen, sie waren fast immer eng. Klar war eigentlich nur das 1:3 im WM-Finale 1982, da waren die Italiener überlegen, vielleicht auch beim 0:0 bei der EM 1996 in England. Sie waren es nicht bei der EM 1988 und auch nicht 2006 bei der WM in Deutschland. Wie gesagt, die Zeit ist reif.»

Welchen Anteil hat Joachim Löw am bisher guten Turnierverlauf mit vier Siegen?

Niersbach: «Einen sehr hohen, weil er mit der größten Sorgfalt die ganze Operation vorbereitet hat. Er ist der ideale Mann am richtigen Ort. Ich erlebe ihn total souverän, geradlinig, transparent, offen. Seine Entscheidungen sind nachvollziehbar, auch für die Mannschaft. Die Chemie stimmt. Er ist eine Autorität, ohne autoritär aufzutreten.»

Wie froh sind Sie, die Verträge mit dem Bundestrainer, seinen Assistenten Hansi Flick und Andreas Köpke sowie mit Manager Oliver Bierhoff schon vor dem Turnier bis zur WM 2014 verlängert zu haben?

Niersbach: «Das Thema wäre doch jetzt in den Medien der Klassiker. In dieser Turnierphase würden Meldungen aus Spanien, Italien oder sonst woher lanciert, Löw habe ein Angebot von diesem oder jenem Club. Ich denke, das haben wir sehr gut gelöst. Es war nur ein Mittagessen von Jogi und mir im März letzten Jahres nötig – vier Tage später waren alle vier Verträge unterschrieben.»

Muss die Weltmeisterschaft 2014 die Endstation sein?

Niersbach: «Nein, natürlich nicht. Aber es kommt immer auf beide Seiten an. Momentan sind wir sehr zufrieden und auch Jogi ist total happy mit seinem Job. Es liegen bei der Anzahl der Länderspiele schon jetzt nur noch Sepp Herberger, Helmut Schön und Berti Vogts vor ihm.»

Was würde der erste Titelgewinn nach 16 Jahren für den deutschen Fußball, den DFB und die Bundesliga bedeuten?

Niersbach: «Es wäre eine Bestätigung für die kontinuierliche Arbeit des DFB, des Ligaverbandes und der DFL, der Bundesligavereine mit ihren Leistungszentren und des gesamten Projekts der Nachwuchsförderung. Auch Matthias Sammer ist als Sportdirektor schon sechs Jahre bei uns. Er hat einen unglaublichen Drive in die Nachwuchsförderung gebracht. Und ich sage ganz bewusst: Der Sport hat hier absolute Priorität, die wirtschaftliche Bilanz ist sekundär. Wir möchten gerne diesen Pokal, denn er wäre die Bestätigung für dieses Gemeinschaftswerk.»

16 Millionen Euro an Prämien kassiert der DFB bereits mit der Halbfinal-Teilnahme. Ist der EM-Etat damit gedeckt?

Niersbach: «Wir gehen hier mit einem leichten Plus aus dem Turnier, das wir uns mit der Bundesliga teilen werden. Als Europameister erhalten wir 23,5 Millionen Euro. Rein wirtschaftlich gedacht müssten wir uns wünschen, die Titelprämie von 300 000 Euro pro Spieler nicht auszahlen zu müssen. Aber natürlich wollen wir sie auszahlen, weil wir den Titel wollen und weil diese Mannschaft sich das verdient hat.»

Wie empfinden Sie die Begeisterung in der Heimat, wo mehrere hunderttausend Anhänger auf den Fanmeilen und Millionen vor den Fernsehern die Auftritte der deutschen Mannschaft verfolgen?

Niersbach: «Das ist phänomenal. Ich kann vor den Fans nur den Hut ziehen und dankbar sein, dass der Fußball in der Bevölkerung so ankommt und solche Begeisterungsstürme auslöst, Emotionen weckt. Wann gibt es das sonst in unserem täglichen Leben? Punktuell vielleicht beim Oktoberfest, dem Cannstatter Wasen oder beim Karneval. Aber dass ein ganzes Land gemeinsam feiert, das schafft nur der Fußball.»

Welche Hoffnung können Sie den Fans in Deutschland machen, mal wieder ein Turnier vor der eigenen Haustür zu erleben?

Niersbach: «Die WM-Turniere sind vergeben bis 2022. Und für die EM 2020 gibt es die Türkei, die sich fünfmal beworben hat. Sie ist der absolute Favorit. Das könnte sich in dem Moment ändern, wenn Istanbul im September 2013 beim IOC-Kongress in Buenos Aires den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2020 bekommen sollte.»

Inwiefern? Könnte das zu einer deutschen Bewerbung führen?

Niersbach: «Nach meinen Informationen wird es das nicht geben können, dass die Türkei beide Ereignisse in einem Jahr veranstaltet – Olympia und Fußball-EM. Wird vor diesem Hintergrund neu ausgeschrieben, müssten wir intern beraten. Länder wie Italien, Spanien oder England haben länger kein großes Turnier gehabt.»

Wenn Deutschland und Spanien ins Endspiel einziehen sollten, wäre die Nationalmannschaft für den Confed-Cup 2013 in Brasilien qualifiziert. Wie sehr würden Sie sich freuen und die Bundesligaclubs hadern?

Niersbach: «Wir würden uns alle freuen, weil das mit der Bundesliga vorbesprochen ist. Wir haben es in den Terminverhandlungen geschafft, die beiden in der WM-Qualifikation vorgesehenen Juni-Termine 2013 freizuhalten. Klappt es mit dem Confed-Cup nicht, verabreden wir Freundschaftsspiele in dieser Zeit.»

Womöglich in den USA zum hundertjährigen Bestehen des US-Verbandes gegen das Team von Jürgen Klinsmann?

Niersbach: «Kann sein. Aber da ist noch nichts abgeschlossen.»

Es gab – gerade auch wegen des Umgangs mit Julia Timoschenko – harte Kritik aus der Politik an der Ukraine als EM-Gastgeber. Wie bewerten Sie kurz vor dem Ende das erste große Fußball-Turnier in zwei Staaten Osteuropas?

Niersbach: «Insgesamt positiv. Die Stadien sind hervorragend, die Atmosphäre in beiden Ländern war beeindruckend. Ich kann natürlich viel besser Polen beurteilen, weil wir hier unser Quartier haben. Man hat das Gefühl, dass auch die Bevölkerung das Turnier mit Herzlichkeit und Gastfreundschaft angenommen hat. So etwas kann man nicht von der Politik verordnen. Ich glaube, dass Polen sehr viel für sein Image getan hat.»

Mit welchen Gefühlen und Erwartungen würden Sie nach den Niederlagen im EM-Finale 2008 und im WM-Halbfinale 2010 einem möglichen erneuten Aufeinandertreffen mit Spanien im Endspiel in Kiew entgegensehen?

Niersbach: «Da würde ich denselben Satz sagen wie zum Halbfinale gegen Italien: Die Zeit ist reif! Zweimal 0:1 reicht!»

Was würden Sie als Erstes tun, wenn der große Wurf gelingt?

Niersbach: «Als erstes würde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein paar Hände schütteln. Ganz schnell aber würde ich dem Bundestrainer gratulieren, weil ich auch ihm persönlich von ganzem Herzen diesen nächsten Schritt gönne, nachdem wir bei den letzten großen Turnieren ein paar Mal dicht dran waren. Finale 2008, zweimal WM-Dritter, das sind schon großartige Leistungen gewesen. Jetzt den i-Punkt zu setzen, das wünschen wir uns alle.»
Interview: Klaus Bergmann und Jens Mende, dpa