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Panorama

Baerbock und Faeser im Erdbeben-Gebiet: Weitere Hilfsgelder in Millionenhöhe geplant

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Bei den Erdstößen im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind mehr als 48.000 Menschen ums Leben gekommen. Zwei deutsche Ministerinnen sprechen mit Opfern und Helfern. Und versuchen, Hoffnung zu machen.

Grotesk schief steht das mehrstöckige Haus an der Kreuzung, durch fehlende Wände kann man in ehemalige Wohnungen und Geschäfte schauen. Es sieht mit den tiefen Rissen in den Wänden aus, als könne es jederzeit in sich zusammenstürzen.

Ein paar hundert Meter weiter, in der ehemaligen Einkaufsstraße der kleinen Stadt Pazarcık, sind die Gebäude teils wie Kartenhäuser zusammengefallen, als am 6. Februar die schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet Teile des Ortes zerstören. In Pazarcık lag das Epizentrum der ersten Erdstöße damals.

„Es hat einem wirklich das Herz zerrissen“

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) haben tiefe Sorgenfalten auf der Stirn, als sie am Dienstag Bilanz ihres insgesamt knapp siebenstündigen Besuches in der Katastrophenregion ziehen.

„Man spürt an jedem Ort, wie dieses Beben noch in den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes drinsteckt“, sagt Baerbock. Zu Beginn des Besuches in einer Zeltstadt für Erdbebenopfer in Pazarcık habe sie selbst deutlich ein Nachbeben gespürt, erzählt sie betroffen. Faeser ergänzt: „Wir haben furchtbares Leid hier erleben müssen.“ Die Menschen hätten ihre Angehörigen und ihr Dach über dem Kopf verloren. „Es hat einem wirklich gerade das Herz zerrissen.“

Immer wieder gibt es neue Erdstöße

Vor gut zwei Wochen hatten zwei starke Beben die Südosttürkei und den Norden Syriens erschüttert. Mehr als 48.000 Menschen sind ums Leben gekommen, davon mehr als 42.000 in der Türkei. Nach Angaben der Vereinten Nationen war die Erdbeben-Katastrophe vom 6. Februar nicht nur nach Todesopfern das schlimmste in der türkischen Geschichte.

Auch die Berge an Schutt und Geröll seien beispiellos, erklärte Louisa Vinton, die Vertreterin des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) in der Türkei, in einem UN-Briefing. Tausende weitere Opfer und Schäden gab es in Syrien.

Deutsche Ministerinnen wollen ein Zeichen setzen

Baerbock und Faeser versprechen den Betroffenen im türkisch-syrischen Grenzgebiet bestmögliche akute Hilfe und anhaltende Unterstützung beim Wiederaufbau. „Unser Mitgefühl erschöpft sich nicht in Worten und es wird auch nicht nachlassen, wenn die Katastrophe und ihre Folgen in den Nachrichten von anderen Schlagzeilen verdrängt werden“, verspricht Baerbock.

Die Reise der deutschen Ministerinnen soll auch ein Zeichen sein – sowohl an die Betroffenen in der Grenzregion, wie an die große türkische Gemeinde Zuhause in Deutschland. In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln.

Bundeswehr fliegt weitere 13 Tonnen Hilfsgüter in die Region

Nachdem die Bundeswehr mit mehr als 20 Flügen über 340 Tonnen Hilfsmaterial in die Türkei gebracht hatte, transportierte die Luftwaffe erneut 13 Tonnen Hilfsgüter. Darunter seien 100 Zelte, 400 Feldbetten und mehr als 1.000 Schlafsäcke, sagt Faeser. Die Hilfsgüter des Technischen Hilfswerks (THW) werden an den türkischen Katastrophenschutz Afad übergeben.

Vom Flughafen Gaziantep aus werden Hilfslieferungen sowohl für die Türkei als auch für den Nordwesten Syriens abgewickelt. In der Zeltstadt, die die Ministerinnen in Pazarcık besuchen, leben etwa 1.700 Erdbebenopfer, darunter rund 250 Kinder.

Fast 1.000 Gebäude stürzten bei den Beben in der Provinz Kahramanmaraş mit ihren knapp 1,18 Millionen Einwohnern ein. Etwa 10.800 Häuser wurden schwer beschädigt und müssen abgerissen werden. Bislang wurden hier mehr als 10.000 Tote geborgen, mehr als 15.000 Menschen erlitten Verletzungen.

Zeltstadt für Erdbeben-Opfer

Dutzende weiße Wohnzelte stehen jetzt in dem früheren Erholungspark des Ortes. Die Menschen hier heizen mit Holzöfen, man riecht es sofort. Nachts wird es bis zu minus acht Grad kalt, berichtet die Allgemeinchirurgin Hansi Sobez. Sie ist medizinische Leiterin der deutschen Hilfsorganisation humedica im Camp.

Acht bis neun Menschen würden jeweils in den Zelten von Afad übernachten. Vor allem mit Atemwegserkrankungen hätten die Erdbebenopfer nun zu kämpfen, Husten, Schnupfen, Ohrenschmerzen. Aber auch Traumatisierungen gebe es. Sobez erzählt von einem Vater, der seinen 18 Jahre alten Sohn bei den Beben verloren hatte und nicht weiterleben wollte. „Wir sind da, wir sprechen mit den Menschen, halten Hände“, so die Ärztin.

Wie läuft die erleichterte Visa-Vergabe?

Im wiedereröffneten Visaannahmezentrum von Gaziantep und bei einem neuen Visaannahmebus informieren sich Baerbock und Faeser über Abläufe und Probleme. Erdbebenopfern soll mit Drei-Monats-Visa ermöglicht werden, übergangsweise bei nahen Angehörigen in Deutschland unterzukommen. Daran gibt es aber Kritik.

Der Bus soll künftig in besonders betroffene Orten fahren. Dort können Visumsanträge gestellt und biometrische Daten erfasst werden. Das soll den Menschen weite Fahrten für einen Antrag ersparen. Insgesamt wurden nach Angaben des Auswärtigen Amts bisher 96 Schengen-Visa nach dem beschleunigten Verfahren für türkische Staatsangehörige erteilt.

„Wir müssen stärker auf die Tube drücken“

Zudem seien bis Montag 15 Anträge auf dauerhafte Familienzusammenführung gestellt worden. Dem stellvertretenden migrationspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Hakan Demir, geht das viel zu langsam. „Wir müssen stärker auf die Tube drücken“, forderte er.

Von Aldi bis Poldi: Deutsche Unternehmen spenden nicht nur Millionen

Kritik am Verfahren war laut geworden, weil trotz des Versprechens einer unbürokratischen Hilfe für die Visaerteilung etwa ein gültiger Pass und ein biometrisches Foto benötigt werden. Diese seien angesichts der Zerstörung oft nicht zu beschaffen.

Deutschland verdoppelt Hilfe für Erdbeben-Region

Deutschland verdoppelt die Finanzhilfe für die Erdbebenopfer im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Die Bundesregierung stelle zusätzlich 50 Millionen Euro zur Verfügung, kündigen Baerbock und Faeser an. Insgesamt stellt Deutschland damit seit den verheerenden Erdstößen vom 6. Februar 108 Millionen Euro zur Verfügung.

Von den 50 Millionen Euro, die zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, sollen demnach 33 Millionen Betroffenen in der Türkei zugutekommen, 17 Millionen jenen in Syrien.

Anwälte zeigen Erdoğan wegen Tötung an

Zahlreiche Anwälte haben wegen der Erdbebenkatastrophe derweil Anzeige gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und etliche weitere Amtsträger eingereicht. Dem Präsidenten, Ministern, Gouverneuren und Bauunternehmen werfen sie etwa vorsätzliche sowie fahrlässige Tötung und Amtsmissbrauch vor, wie aus der Strafanzeige hervorgeht. „Als Juristen dieses Staates können wir unsere Augen nicht vor so einer Ungerechtigkeit verschließen“, sagte Anwältin Pınar Akbina Karaman am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. 61 Juristen hätten bisher unterschrieben.

Korruption und Katastrophe: Wie viel Schuld trägt Erdoğan wirklich?

In der Türkei wird weiterhin stark diskutiert, wie und ob das Ausmaß der Erdbeben-Katastrophe hätte verhindert werden können. Die türkische Opposition wirft der Regierung etwa vor, nicht genügend in die Vorsorge und Erdbeben-Sicherheit der Gebäude vor Ort investiert zu haben und auch jetzt beim Krisenmanagement zu versagen.

Die türkische Regierung weist derartige Vorwürfe unter anderem als Fehlinformationen von sich und argumentiert, eventuelle Schwierigkeiten seien dem Ausmaß der Katastrophe geschuldet. Mehrere Menschen wurden bisher festgenommen, unter anderem wegen kritischer Tweets.

dpa/dtj

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