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Panorama

Glück auf nach Soma!

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Als Kind eines Bergmanns im Ruhrgebiet kennt Serap Güler die Angst um die Liebsten unter Tage nur allzu gut. Weder die Opfer noch die Hinterbliebenen haben es ihr zufolge verdient, für irgendwelche Zwecke instrumentalisiert zu werden. (Foto: reuters)

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GASTBEITRAG Mein Vater kam 1963 nach Deutschland. Er kam, um hier an der Stelle weiterzuarbeiten, wo er in der Türkei aufhörte: Unter Tage. Mein Vater war Bergmann. Fast 40 Jahre hat er unter Tage Kohle ausgegraben. Ich bin das Kind eines Bergmannes, das im Ruhrgebiet in einer Bergbausiedlung und mit Bergbaukultur groß geworden ist. Und damit stehe ich vor allem in Nordrhein-Westfalen alles andere als alleine da.

Mein Bruder, 15 Jahre älter als ich, war auch Bergmann. Er war 16 als er mit der Ausbildung begann. Ich erinnere mich gut an die Zeit, wo beide aktiv waren. Ich erinnere mich sehr gut an die Tage, an denen ich mit meiner Mutter am Fenster stand und wir den beiden Männern zuwinkten, als sie zu ihrer Schicht im Schacht fuhren. Ich erinnere mich gut an ihre Gebete „Gott sei mit euch. Insallah kommt ihr genauso gesund wieder.“ Und ich erinnere mich auch gut an diesen einen Tag, an dem meine Mutter nichtsahnend ans Telefon ging und plötzlich kreideblass wurde. Es war das Krankenhaus. Eine Krankenschwester sagte zu meiner Mutter den Satz, der bei jeder Mutter erst einmal zur Schockstarre führt: „Ihr Sohn hatte einen Arbeitsunfall, Sie können ihn gern besuchen, aber er ist nicht bei Bewusstsein.“

Dieser Arbeitsunfall kostete meinen Bruder einen Nasen-, Arm- und Beinbruch.

Diesen Gesichtsausdruck meiner Mutter werde ich nie vergessen und danke Gott dafür, dass ich ihn nie wieder erleben musste. Später erfuhren wir, dass mein Bruder großes Glück hatte, sein Kumpel hatte den Unfall nicht überlebt.

Es verging lange Zeit, bis meine Mutter nicht mehr erschreckte, wenn das Telefon klingelte. Lange Zeit.

Die Angst vor dem Unglück

Gott sei Dank hatte mein Vater nicht minder Glück. Auch er überlebte einen Arbeitsunfall, ganz ohne Verletzungen, während einer seiner Kumpel dabei umkam. Deshalb weiß ich nur zu gut, was es bedeutet Kind einer Bergmannsfamilie zu sein und auch, dass dies nicht immer ein Vergnügen ist. Aber ich schätze mich glücklich, denn ich habe immer noch meinen Vater und meinen Bruder. Gott sei Dank!

Ähnliche Geschichten können viele von uns erzählen. Gerade von uns Gastarbeiterkindern. Vielleicht sind es eben diese Geschichten, die der Grund dafür sind, warum uns das Bergbauunglück in Soma so Nahe geht uns so tieftraurig macht. Mir geht es unter die Haut. Ich denke immer wieder, „Was wäre, wenn Dein Vater…“ und kämpfe dann mit mir. Allein dieser kurze Gedanke, dass einer der Menschen, der dort umgekommen ist, mir hätte nicht fremd sein müssen, erschüttert mich und umrahmt mich. Ein Gefühl, das man wirklich schwer beschreiben kann. Ich glaube aber, dass viele, die das jetzt lesen, genau wissen, was ich meine.

Die Bilder aus Soma sind herzzerreißend. Sie können niemanden kalt lassen. Ich wünsche den Hinterbliebenen viel Kraft, sehr viel Geduld und Mut. Ihre Trauer ist unsere Trauer. Sie haben mein tiefstes Beileid. Ihr Verlust, vielleicht auch ihre Verluste, sind riesengroß. Ich bete für sie und hoffe, dass sie mit ihrem Schmerz nicht alleine sind.

Sorge, große Sorge macht mir der Umgang mit diesem Bergwerkunglück in der Türkei. Vor allem der politische. So sind nicht nur die Bilder aus Soma erschreckend, es sind auch die Nachrichten. Weder die Opfer noch die Hinterbliebenen haben es verdient, für irgendwelche Zwecke instrumentalisiert zu werden. Das muss und sollte klar sein. Das heißt aber nicht, dass es zu dieser Tragödie keine politische Debatte geben darf. Im Gegenteil. Diese muss es geben, damit geklärt werden kann, ob hier auch politische Fehler gemacht wurden.

Wir können für die Opfer und Hinterbliebenen beten 

Es muss geklärt werden, ob dieses Unglück hätte verhindert werden können. Die ersten Berichte – die man vorsichtig aufnehmen sollte – führen erstmal zu dem Schluß: Ja, allem Anschein nach, hätte es verhindert werden können. So schreibt auch die IG BCE in ihrer Pressemitteilung „Die Katastrophe in Soma ist das jüngste Glied in einer langen Kette schreckliche Grubenunfälle in der Türkei. Dabei gab es immer wieder Verstöße gegen die Sicherheitsbestimmungen, Mindestvorschriften im Arbeits- und Gesundheitsschutz werden nicht eingehalten…Das Unglück von Soma macht in schrecklicher Weise die tatsächlichen Sicherheitsmängel deutlich.“ Das liest sich erschreckend.

Nichts wird uns die Opfer wiederbringen. Damit sie aber in Frieden ruhen können und ihre Hinterbliebenen Gerechtigkeit erfahren, muss politisch dafür Sorge getragen werden, dieses schreckliche Ereignis aufzuklären. Wenn es tatsächlich Verstöße gab, dann dürfen diese nicht straflos bleiben.

Ein Blick in die sozialen Medien zeigt, wie viele Menschen mittrauern, wie viele erschüttert sind. Wir können aus der Ferne nicht viel tun. Wir können für die Opfer und Hinterbliebenen beten, mit ihnen hoffen und mitfühlen, vor allem mitfühlen. Etwas, was diejenigen in der Nähe auch tun sollten.

Allah rahmet eglesin, Soma’nin, Türkiye’nin, hepimizin basi sag olsun.

Geride kalanlara cani gönülden sabir ve kuvvet diliyorum.

Glück auf nach Soma!

Serap Güler wuchs als Kind türkischer Einwanderer in Deutschland auf. Ihr Vater war ein Bergmann. Nach ihrer Tätigkeit in der Ministerialverwaltung in Nordrhein-Westfalen errang Güler im Jahre 2012 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ein Mandat für die CDU. Seit Ende 2012 gehört sie zudem dem Bundesvorstand der Partei an.