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Kolumnen

Die doppelte Identität von Hakkı Keskin und das „muslimische Israel“

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Auf Wikipedia ist offenbar nicht mehr Verlass. Glaubt man diesem Online-Lexikon, ist Hakkı Keskin ein deutscher Politiker türkischer Herkunft. Tatsächlich aber scheint er ein türkischer Neo-Nationalist mit Wurzeln in der deutschen Sozialdemokratie sowie der Linken zu sein.

Woher ich das weiß?

Am 7. Juni finden in der Türkei Wahlen statt. Viele Parteien buhlen auch um die Stimmen der türkischstämmigen Wähler in Deutschland. Bisher haben sowohl der Ministerpräsident – vielleicht nicht de facto, doch de jure – Ahmet Davutoğlu, als auch die beiden Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu von der CHP sowie Devlet Bahçeli von der MHP Deutschland besucht. Sie haben Reden vor Gesinnungsgenossen gehalten. Selahattin Demirtaş von der HDP hatte Deutschland als erstes besucht. Zuletzt war Doğu Perinçek (Vatan Partisi) in Deutschland.

Zuerst waren er in Frankfurt und dann am Sonntag in Berlin. Dort trat er gemeinsam mit dem auch in Deutschland bekannten Hakkı Keskin auf. Keskin gab bekannt, dass er nach reichlicher Überlegung sich entschlossen habe, seine Mitgliedschaft bei der CHP zu kündigen und sich der Vatan Partisi (Heimat-Partei) anzuschließen.

Diese Partei gibt es noch nicht lange, zumindest nicht unter diesem Namen. Bis Januar 2015 hieß sie nämlich İşçi Partisi İP (Arbeiterpartei). An ihrer Ausrichtung allerdings hat sich kaum etwas geändert. Die Partei mag sozialistische Wurzeln haben, sie tritt aber mit ausgesprochen nationalistischer Rhetorik hervor. Sie gibt sich nun auch strikt kemalistisch.

Militärische Rhetorik in Berlin

Am Sonntag in Berlin war es zu sehen: Die Vatan Partisi hält die CHP für verweichlicht. Sie würde die wahren Prinzipien der CHP vertreten. Sie halte es für ihre Aufgabe, die CHP wieder zu ihren Wurzeln und wahren Identität zurückzuholen.

Was bei der Partei hervorsticht, ist ihre militärische Rhetorik.

Der Vorsitzende Perinçek spricht von Schützengräben, die die Partei in europäischen Metropolen errichte, um die Türkei zu verteidigen. Es ist die Rede von der Türkei als einer Burg, auf die sich die Auslands-Türken zurückziehen könnten. Es ist von einem Befreiungskampf der Türkei die Rede, genauso wie damals Atatürk den Freiheitskampf organisiert habe. Für Perinçek ist jeder Freiheitskampf gleichzeitig ein Kampf gegen innere Feinde, weil äußere Feinde nun mal auch ihre inneren Komplizen hätten. Er sagt: „Entweder Unabhängigkeit oder Tod“ (Ya istiklal, ya ölüm).

Die Zuschauer rufen dazwischen: „Wir sind Soldaten von Mustafa Kemal (Atatürk).“

Türken waren vor 8000 Jahren in Anatolien

Die Partei-Kandidaten warteten auch mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auf. So sagte zum Beispiel Yaşar Okuyan, der früher Sozialminister war, dass archäologische Ausgrabungen in Yüksekova gezeigt hätten, dass Türken schon vor 8.000 Jahren nach Anatolien gekommen wären.

Wenn das Wissenschaftler sagen, muss man wohl einfach daran glauben. Zu Zeiten Atatürks haben ja auch Wissenschaftler bewiesen, dass die Sprachen der Welt vom Türkischen abstammten (Sonnen-Sprach-Theorie).

Ach ja, noch was. Die Reden handelten von Verschwörungstheorien. Von amerikanischer und israelischer Einmischung in die inneren Angelegenheiten war die Rede, auch davon, dass ein möglicherweise neu gegründeter kurdischer Staat ein zweites Israel in der Region bedeuten würde. Es war die Rede von einem „muslimischen Israel“.

Von Frieden wurde auch gesprochen. Nachdem man festgestellt habe, dass Griechenland 142 türkische Inseln in der Ägäis besetzt hätte und man natürlich darauf den eigenen Anspruch nicht aufgebe, war auch die Rede davon, dass man Freundschaft zwischen den beiden Völkern herstellen würde.

Es gibt auch andere Bekehrungs-Beispiele

Man sprach von der Regierungsbildung der Vatan Partisi. In einer solchen Regierung würde Hakkı Keskin den Europa-Minister gebe. Der Anfang scheint gemacht. Die Vorgängerpartei İP erhielt bei den letzten Wahlen um die 0,3 Prozent der Stimmen.

Für diejenigen, die sich über die Wandlung von Hakkı Keskin vom deutschen Sozialdemokraten und Linken zum türkischen Neo-Nationalisten wundern: Nein, er ist kein Einzelfall. Auch ein Ozan Ceyhun war mal bei den Grünen und dann in der deutschen Sozialdemokratie beheimatet. Möglicherweise ist er dort immer noch Mitglied. Inzwischen ist er aber auch in der AKP aktiv, so sehr, als habe er sein ganzes Leben nichts anderes gemacht.