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Politik

Die Putschisten vom Verfassungsgericht

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Präsident Erdoğan respektiert die Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht, ein AKP-Politiker fordert gar, wegen eines Putschversuchs gegen die obersten Richter zu ermitteln. Laut CHP zeigt das, dass mit der AKP keine neue Verfassung zu machen ist.

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Zühtü Arslan, Vorsitzender des Verfassungsgerichts
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Die Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts, die zwei Cumhuriyet-Journalisten Can Dündar und Erdem Gül freizulassen, sorgt weiterhin für Diskussionen. Die Richter hatten geurteilt, dass die Meinungsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte des Chefredakteurs und des Hauptstadtkorrespondenten verletzt wurden. Doch Politiker der AKP und regierungsnahe Medien wollen das Urteil des höchsten Gerichts des Landes schlichtweg nicht akzeptieren.

Am Sonntag hatte Staatspräsident Erdoğan seinen Widerstand geäußert: „Ich sage es offen und klar, ich akzeptiere das nicht und füge mich der Entscheidung nicht, ich respektiere sie auch nicht“, sagte er der Presse vor dem Abflug zu seiner Westafrika-Reise am Atatürk-Flughafen in Istanbul. Dass er das als Staatspräsident in einem Rechtsstaat eigentlich tun müsste, das stört in der Regierung offenbar niemanden.

Im Gegenteil: Justizminister Bekir Bozdağ zufolge haben die Verfassungshüter mit ihrem Urteil selbst gegen die Verfassung verstoßen. Mit seiner Entscheidung habe das Gericht „in offener Weise die Verfassung und geltendes Recht verletzt“, sagte er am Dienstag. Der AKP-Abgeordnete Şamil Tayyar ging noch weiter und forderte Maßnahmen gegen die Richter. In der Sendung „Son Söz“ („Das letzte Wort“) kritisierte er die Entscheidung als unrechtmäßig – es sein ein politisches Urteil – und forderte: „Gegen die Mitglieder des Gerichts, die für die Freilassung von Can Dündar und Erdem Gül gestimmt haben, sollten Ermittlungen wegen eines versuchten Staatsstreichs eröffnet werden.“ Das Gericht sei „das Produkt eines Putsches“ und habe eine „unrühmliche Vergangenheit“.

„Kamikaze-Flug“ von „Krypto-Richtern“

Auch regierungsnahe Medien stimmten in den Chor der Ablehnung ein. Die Tageszeitung Yeni Akit sprach von einem „Skandal-Urteil“ und die Sabah behauptet heute, dass das Verfassungsgericht nicht einmal die Anklageschrift des Staatsanwaltes gelesen hätte, bevor es das Urteil gefällt hat. Es habe „anhand von Dokumenten aus dem Verlauf der Ermittlungen für Dündar und Gül entschieden, ohne die Anklageschrift des Staatsanwalts überhaupt einsehen zu wollen.“ Für die Zeitung Star ist das Urteil gar ein „neuer Putsch-Versuch der FETÖ“. Als FETÖ wird von der Regierung und der regierungsnahen Presse die sogenannte Hizmet-Bewegung des Predigers Fethullah Gülen bezeichnet, die seit mehreren Jahren staatlich verfolgt wird. Laut Star hat die Bewegung „Krypto-Mitglieder im Verfassungsgericht“ installiert, deren Urteil zugunsten von Dündar und Gül ein „Kamikaze-Flug“ gegen Staatspräsident Erdoğan sei.

Das Verfassungsgericht wiederum verteidigte seine Entscheidung gegen die Angriffe aus dem Regierungslager. Der Vorsitzende Richter Zühtü Arslan (im Bild mittig) kritisierte, dass es eine „Lügenkampagne“ gegen ihn und das oberste Gericht gebe. „Natürlich gefällt manchen unsere Entscheidung und manchen gefällt sie nicht“, aber „die Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind für jede Institution und jede Person bindend. Das ist ein Prinzip der Verfassung.“ Das Urteil habe auch nichts mit dem politischen Charakter des Falles zu tun gehabt: „Wir machen lediglich unsere Arbeit. Bei individuellen Verfassungsbeschwerden spielt die Identität des Beschwerdeführers gar keine Rolle“, so der oberste Richter der Türkei.

„Atmosphäre des Hasses“ in der Türkei

Die freigelassenen Journalisten Dündar und Gül selbst zeigten sich erwartungsgemäß zufrieden mit dem Urteil. Can Dündar sieht darin trotz des Prozessbeginns am 25. März bereits einen Freispruch: „Meines Erachtens hat das Verfassungsgericht nicht nur unsere Freilassung veranlasst, sondern einen Freispruch ausgesprochen.“ Er warf Erdoğan vor, eine „Atmosphäre des Hasses“ zu schaffen, in der es „mal Journalisten, mal Wissenschaftler, mal Oppositionspolitiker“ treffe. Die Europäische Union kritisierte er dafür, sich angesichts der Lage der Menschenrechte in der Türkei zu passiv zu verhalten. Eine Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung zur Lösung der Flüchtlingskrise sei „bis zu einem gewissen Grad“ akzeptabel. Allerdings hätte er sich dennoch gewünscht, „dass sich europäische Politiker nicht davon abhalten lassen, öffentlich deutliche Worte zum Thema Menschenrechte und Pressefreiheit zu finden“, so Dündar.

Auch die Opposition hat die Haltung Erdoğans und der AKP scharf kritisiert. Engin Altay, Vize-Fraktionschef der größten Oppositionspartei CHP, kündigte an, man werde keine weiteren Verhandlungen über eine neue Verfassung führen, sollte Erdoğan seine Äußerungen nicht zurücknehmen. Erst vor gut zwei Wochen war die Verfassungskommission im türkischen Parlament wegen fundamentaler Differenzen zwischen AKP und CHP gescheitert. Engin sieht die Haltung der CHP durch die Äußerungen Erdoğans bestätigt: „Wie sollen wir denn mit jemandem eine neue Verfassung machen, der offen kundtut, dass er sich nicht an die Verfassung halten wird?“