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Politik

Schicksalsgemeinschaft: Kobani, PKK und die Türkei

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Die schweren gewaltsamen Unruhen in mehreren türkischen Städten sind Vorboten auf die Rückkehr des Konflikts zwischen dem türkischen Staat und der PKK. Eine Analyse der komplexen PKK-Strukturen zeigt, wie bedrohlich die Lage in der Türkei derzeit ist. (Foto: dha)

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Ein Sieg der Dschihadisten in Kobane wird ein politisches Erbeben auslösen, das die benachbarte Türkei erschüttern wird. Die schweren gewaltsamen Unruhen in mehreren türkischen Städten, die ersten Toten, die etlichen Verletzten, die Zerstörung der vergangenen Tage, die Schießereien und Messerangriffe, die Ausgangssperre in sechs türkischen Provinzen und die Panzer auf den Straßen im Südosten des Landes sind nur ein Vorgeschmack auf das, was auf die Türkei zukommen könnte, sollte sich die PKK-Führung dazu entschließen, ihre Drohungen wahrzumachen.
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Teil 1

HINTERGRUND Nach monatelanger Belagerung und blutigen, verlustreichen Kämpfen zwischen kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Einheiten des „Islamischen Staates“ droht die hauptsächlich von Kurden bewohnte syrische Stadt Kobani (arab. Ain al-Arab) an die Dschihadisten zu fallen. Auf den ersten Blick erscheint die Schlacht um Kobani lediglich als weiteres blutiges Mosaikstück in dem schier endlosen syrischen Bürgerkrieg. Eine staubige Grenzstadt, die das traurige Schicksal mit etlichen anderen syrischen und irakischen Städten, die vom IS eingenommen und unterjocht wird, teilt.

Das Massaker an den Jesiden in Shingal wurde zum Symbol der Grausamkeit des IS. Die Schlacht um Kobani ist in den letzten Wochen für Millionen von Kurden in der gesamten Region zum Symbol für den kurdischen Kampf gegen einen übermächtigen Unterdrücker, für den kurdischen Widerstand geworden. Die PKK, die als die „Mutterorganisation“ der YPG betrachtet werden kann, formte dieses emotionsgeladene Symbol mit und kritisierte die Vorgehensweise der türkischen Regierung in Bezug auf den IS und Kobani scharf. Laut PKK, die selbst eine Terrororganisation ist, trägt die Türkei eine schwere Mitschuld an der ausweglosen Situation in Kobani. Schenkt man den jüngsten Warnungen der PKK-Führung Glauben, so wird der Fall Kobanis auch die Türkei in einen Bürgerkrieg stürzen.

Kobani steht am Abgrund. Die schwarze Fahne des IS weht bereits in Teilen der Stadt. Das Schicksal Kobanis ist eng mit dem der Türkei verwoben. Ein Sieg des IS in Kobani wird ein politisches Erdbeben auslösen, das die benachbarte Türkei erschüttern wird. Die schweren gewaltsamen Unruhen in mehreren türkischen Städten, die ersten Toten, die etlichen Verletzten, die Zerstörung der vergangenen Tage, die Schießereien und Messerangriffe, die Ausgangssperre in sechs türkischen Provinzen und die Panzer auf den Straßen im Südosten des Landes sind nur ein Vorgeschmack auf das, was auf die Türkei zukommen könnte, sollte sich die PKK-Führung dazu entschließen, ihre Drohungen wahrzumachen. Auch in Deutschland kam es in Hamburg und Celle zu gewaltsamen Ausschreitungen, die in Zusammenhang mit den Ereignissen in Kobani stehen.

Um die immensen gesellschaftlichen Folgen eines Abbruchs des Friedensprozesses in der Türkei und eines möglichen Bürgerkrieges für die Türkei, die Region und Deutschland einschätzen zu können, sollen in diesem dreiteiligen Artikel die komplexen Strukturen der PKK innerhalb der Türkei, ihrer Schwesterorganisationen in der Region und die Aktivität in Deutschland analysiert werden.

Die PKK in der Türkei

Obwohl die PKK in der Türkei vereinfacht als „Terrororganisation“ bezeichnet wird, sind die Strukturen der Organisation durchaus komplex und umfassen neben einem militärischen Arm auch Teilorganisationen, deren Fokus auf dem politischen, sozialen und gesellschaftlichen Bereich liegt. Darüberhinaus ist die PKK über die Grenzen hinaus aktiv und es existieren eine Vielzahl an mit ihr verbundener Schwesterorganisationen, die ebenfalls in politische, gesellschaftliche und militärische Unterorganisationen gegliedert sind.

Die Eigenbezeichnung der PKK ist „Partiya Karkerên Kurdistan“ („Arbeiterpartei Kurdistans“). Sie wurde am 27.11.1978 gegründet, Abdullah Öcalan zu ihrem Vorsitzenden gewählt. In dieser Zeit herrschte in der Türkei ein äußerst angespanntes politisches Klima, das durch eine stetige politische Polarisierung zwischen verschiedenen Gesellschaftssegmenten, die sich teilweise in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Linksextremisten, ersten kurdischen Gruppierungen und rechtsextremen türkischen Organisationen entluden. Die rechtliche Lage der Kurden war prekär, da die Türkische Verfassung sie nicht als offizielle Minderheit anerkannte und türkische Sicherheitskräfte eine repressive Vorgehensweise gegen jeglichen Protest, der sich gegen die Rechtslage richtete, verfolgten. Die PKK verfolgt eine marxistisch-leninistische Ideologie, deren Ziel eine Revolution, die Anerkennung der kurdischen Identität, politische und kulturelle Autonomie der Kurden in ihren Siedlungsgebieten bzw. die Errichtung eines eigenen Staates durch Waffengewalt war.

Bei dem Konflikt, in dessen Folge in mehreren Provinzen der Türkei über Jahre hinweg das Kriegsrecht bzw. der Ausnahmezustand verhängt wurde und sich die PKK-Führung zeitweise in Syrien, im Libanon und dem Nordirak aufhielt, wurden Schätzungen zufolge bis zu 45.000 Menschen getötet. Die PKK bekämpfte nicht nur türkische Sicherheitskräfte, sondern ging auch gewaltsam gegen verschiedene Gegner und Gruppierungen innerhalb der kurdischen Bevölkerungsgruppe vor, die wiederum vom türkischen Staat unterstützt und teilweise für den Kampf gegen die PKK bewaffnet wurden. Jede der verschiedenen Konfliktparteien beging schwere Verbrechen, deren Auswirkungen bis heute in der Region festzustellen sind. Öcalan selbst wurde 1999 vom türkischen Geheimdienst in Kenia festgenommen und ist seitdem auf der Gefängnisinsel İmralı inhaftiert.

Öcalan selbst wurde 1999 vom türkischen Geheimdienst in Kenia festgenommen und ist seitdem auf der Gefängnisinsel İmralı inhaftiert. (dha)

Ende 2012 begannen zwischen der PKK-Führung und der türkischen Regierung Friedensverhandlungen. Am 21. März 2013, dem Tag des kurdischen Neujahrsfests (Nevruz), hatte Öcalan die PKK-Kämpfer dazu aufgerufen, sich schrittweise in den Nordirak zurückzuziehen. Der Friedensprozess war in der Türkei und von internationalen Beobachtern als „historisch“ gewürdigt worden.

Die PKK-Führung beklagte jedoch wiederholt das Stocken des Friedensprozesses und drohte der Türkei im Jahre 2013 durch ein Ultimatum mit einem Abbruch des Friedensprozesses, da die Türkei keine konkreten Schritte in Bezug auf die in den Friedensgesprächen festgesetzten Vereinbarungen unternommen habe. Im September 2013 stoppte die PKK ihren Rückzug der Kampfverbände von türkischem Boden, die von Öcalan verkündete Waffenruhe blieb jedoch weiterhin in Kraft. Ein von der türkischen Regierung am 30. September vorgestelltes „Demokratisierungspaket“ wurde von Teilen der PKK-Führung als nicht weitgehend genug kritisiert.

Einem im April 2014 veröffentlichten Bericht der türkischen Polizei und des Nachrichtendienstes der türkischen Gendarmerie zufolge haben sich seit Beginn des Friedensprozesses über 2000 Personen der PKK angeschlossen. Der vereinbarte Rückzug der PKK verlaufe außerdem seit Oktober 2013 schleppend und sei in diesen Monaten komplett eingestellt worden. PKK-Stellungen in Grenznähe seien seit Beginn des Friedensprozesses nicht aufgegeben worden. Insgesamt seien bislang jedoch ca. 65 PKK-Gruppen aus der Türkei abgezogen. Eine Gruppe besteht dem Bericht zufolge aus 14 bis 16 Kämpfern. Seit Beginn des Friedensprozesses hätten sich schätzungsweise 1000 PKK-Mitglieder aus der Türkei zurückgezogen. Doch die PKK verfügt dem Bericht nach in den Provinzen Bingöl, Diyarbakır, Hakkari, Muş, Şırnak, Tunceli und Van immer noch über Kampfgruppen.

Der Friedensprozess hielt trotz verschiedener kritischer Vorkommnisse, so etwa durch die Ermordung von drei PKK-Mitgliedern in Paris, durch den sog. Flaggenstreit und zuletzt durch die Entfernung einer PKK Heldenstatue in Lice.

In der Türkei kam es auch während des Waffenstillstandes zu begrenzten militärischen Auseinandersetzungen. So töteten PKK-Kämpfer erst im August in der osttürkischen Provinz Van in unmittelbarer Nähe zur türkisch-iranischen Grenze einen türkischen Soldaten.

Gliederung in der Türkei

Die PKK wechselte mehrmals ihren offiziellen Namen, wird jedoch bis heute von ihren Anhängern PKK genannt. Ab 2002 nannte sich die Organisation „Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans“ (Kongreya Azadî û Demokrasiya Kurdistanê, kurz KADEK), später Volkskongress Kurdistan (Kongra Gelê Kurdistan, kurz KONGRA GEL), das sich seit 2005 selbst als Parlament innerhalb des Systems der KCK betrachtet. Ab 2005 trat die „Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan“ (Koma Komalên Kurdistan, kurz KKK) in Erscheinung, die ab 2007 „Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans“ (Koma Civakên Kurdistan, KCK) heißt.

Die KCK versteht sich als Dachorganisation für alle Kurden in der Türkei, Syrien, dem Irak und dem Iran. Abdullah Öcalan ist der Führer der Organisation, er wird auf Grund seiner Inhaftierung jedoch durch einen Exekutivrat aus Mitgliedern des KONGRA GEL vertreten. Derzeit bilden Cemil Bayık und Bese Hozat den Vorsitz des KCK-Exekutivrats. Innerhalb der KCK gibt es fünf wichtige Unterabteilungen, die für Ideologie, soziale Belange, Politik und militärische Aktivitäten zuständig sind, sowie eine Frauenabteilung.

Die Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, kurz HPG) bilden den militärischen Arm der PKK. Bis 1986 hieß der militärische Arm „Freiheitskräfte Kurdistans“ (Hêzên Rizgariya Kurdistan, kurz HRK), danach bis 2000 „Volksbefreiungsarmee Kurdistans“ (Artêşa Rizgariya Gelê Kurdistan, kurz ARGK), bevor sie ihren jetzigen Namen erhielt. Oberkommandierender der HPG, die Schätzungen zufolge über mehrere Tausend Kämpfer – darunter bis zu einem Drittel Frauen – verfügt, ist seit 2013 Murat Karayılan. Die HPG hat seit dem Ende der Neunziger Jahre ihr Hauptquartier in den unzugänglichen Kandil-Bergen im Nordirak. Erwähnenswert ist an dieser Stelle noch die Existenz einer Spezialeinheit innerhalb der HPG, die sog. Hêzên Taybet.

Die Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, kurz HPG) bilden den militärischen Arm der PKK. (dha)

Die PKK verfügt außerdem über eine Jugendorganisation, die „Gemeinschaften der Jugend“ (Komalên Ciwan). Diese Gruppe führte in der Vergangenheit in mehreren Ländern terroristische Aktionen gegen türkische Einrichtungen durch und kann auch als Rekrutierungsabteilung der PKK betrachtet werden. Im Verfassungsschutzbericht 2013 wird erklärt, die Gruppe habe sich auf transnationaler Ebene neu strukturiert und eine neue europäische Dachorganisation „Bewegung der freien Jugend Kurdistans“ (Tevgera Ciwanên Azad a Kurdistanê, kurz TECAK) gegründet.

Die Speerspitze der PKK in der Türkei: Die YDG-H

Eine weitere in der Türkei äußerst aktive PKK-Untergruppierung ist die „Revolutionäre Patriotische Jugendbewegung“ (türk. Yurtsever Devrimci Gençlik Harekatı, kurz YDG-H, kurd. Tevgera Ciwanen Welatparêz Yên Şoreşger). Diese Gruppierung versteht sich selbst als „Stadtguerilla“ und ihre von der PKK ausgebildeten Kader führen in einigen Teilen der Türkei illegale Aktionen durch, die teilweise an nachrichtendienstliche Tätigkeiten erinnern. So nahmen Mitglieder der Gruppe im August 13 mutmaßliche Angehörige der Terrorgruppe IS in der türkischen Provinz Hakkari fest. Ende August behauptete die Gruppe auf Twitter, im Istanbuler Bezirk Başakşehir habe ein YDG-H Kommando einen IS-Kader, dessen Zelle zuvor überwacht worden wäre, liquidiert.

Auch bei den jüngsten schweren Ausschreitungen in mehreren türkischen Städten waren YDG-H Mitglieder maßgeblich beteiligt. Auf Twitter veröffentlichte die Gruppe beispielsweise Bilder, die vermummte, mit Sturmgewehren bewaffnete YDG-H Mitglieder in Nusaybin zeigen sollen.

Die PKK verfügt außerdem über einen organisationsnahen Medienapparat, deren Eckpfeifer laut Verfassungsschutz die Nachrichtenagentur „Fıratnews Agency“ ist. Darüberhinaus nutzen die PKK und die mit ihr verbundenen Gruppierungen intensiv soziale Medien.

Hier Teil 2 und Teil 3.