Sport
London als Höhepunkt: Die Militarisierung Olympischer Spiele
Soldaten, Bodenluftraketen rund um den Olympiapark und auf der Themse, vor der Südküste der britischen Insel Kriegsschiffe – London erlebt den Höhepunkt der Militarisierung Olympischer Spiele.
London (dpa) – Es ist ein langer Weg von 1896 bis 2012. Damals in Athen wurden die Olympischen Spiele als Fest der Friedfertigkeit und des freundschaftlichen Kräftemessens von Sportlern aus aller Welt neu begründet. 116 Jahre später erscheinen sie in London als eine Trutzburg und zugleich auch als ein Seismograph für die unterschiedlichsten Gefahren und Bedrängnisse dieser Welt. Immer höher sind im Laufe der letzten Jahrzehnte die olympischen Verteidigungsmauern gezogen worden. Armeen wurden in Stellung gebracht, Sicherheitstechniken auf die Spitze getrieben, Geheimdiensten ein neues Spielfeld zugewiesen.
«Alle Spiele haben eine militärische Komponente bekommen», sagt der britische Verteidigungsminister Philip Hammond. Und er liegt damit auf der Linie des von den USA nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 auf New York ausgerufenen «Kriegs gegen Terror», der überall dort geführt werden müsste, wo größte Gefahr droht. Dazu gehört nun auch London. Der Einsatz von 18 200 Soldaten, Kriegsschiffen und Raketen und die Sicherheitskosten von etwa 1,2 Milliarden Euro markieren einen neuen Höhepunkt in der Abwehr von Gefahren. Und dazu ein vier Meter hoher, mit 5000 Volt aufgeladener Elektrozaun als Abgrenzung des Olympia-Parks, 17 Kilometer lang und 100 Millionen Euro teuer.
Einen Ausgangs- und Wendepunkt haben die Spiele 1972 in München mit dem Attentat palästinensischer Terroristen auf das israelische Mannschaftsquartier markiert. Am 5. September vor 40 Jahren kamen 17 Menschen ums Leben, elf Israelis, ein deutscher Polizist und fünf Angreifer. Dieser erschütternde Einzug der Gewalt hat den Charakter der Spiele grundsätzlich verändert, und dann noch verstärkt durch die selbstmörderische Bedingungslosigkeit des internationalen Terrorismus, wie er bei «Nine Eleven» ihren bisher schlimmsten Ausdruck fand.
Vier Jahre nach dem vom damaligen IOC-Präsidenten Avery Bundage in München trotzig ausgerufenen Fundamentalsatz «the Games must go on» gab es bei den Spielen in Montreal keine Trainingsanzug-Sicherheit mehr wie in der bayerischen Metropole. Dort hatte man 4000 Polizeikräfte nahezu unsichtbar gemacht. In Kanada standen mit Maschinengewehren bewaffnete Streitkräfte auf und an den Stadien. Mit dem Flugzeug ankommende Athleten stiegen unter Soldatenbewachung direkt in einen Bus, den sie erst in einer unterirdischen Garage des olympischen Dorfes verlassen durften. 16 999 Soldaten und Polizisten waren im Einsatz, Interpol und Computersysteme halfen erstmals bei der Überprüfung der 60 000 Akkreditierten.
Die Spiele von Montreal setzten den neuen Sicherheitsstandart, ihre Variationen fand die olympische Aufrüstung bei den Boykott-Spielen in Moskau (1980) und Los Angeles (1984). Sowjetunion und USA waren in der Hochzeit des Kalten Krieges besonders darauf bedacht, Attacken und Störversuche von «ihren» Spielen fernzuhalten und diese als Symbol nationaler Überlegenheit und Größe zu feiern. Die Rote Armee wurde als Garant des olympischen Friedens eingesetzt und gefeiert. In Los Angeles agierte die Polizei in Sheriff-Manier, die US-Army sicherte umfassend im Hintergrund ab.
Die erste Phase massivster olympischer Einsätze fand 1988 in Seoul ihren Abschluss, nur 58 Kilometer entfernt von der Todesgrenze zu den verfeindeten Brüdern in Nordkorea. Eine ganze Armee wurde in Bereitschaft versetzt, dazu US-Militär stationiert. Trupps mit nach Sprengstoff schnüffelnden Schäferhunden gehörten ebenfalls zur Karikatur eines Olympiafestes, für das die Gastgeber den Titel «Harmonie und Freundlichkeit» ausgegeben hatten.
Barcelona feierte 1992 trotz der Gefahr durch die baskische Terrororganisation ETA Spiele der Entspannung, was vor allem mit dem Fall der Berliner Mauer zu tun hatte. Die Entspannung war vier Jahre später in Atlanta jäh zu Ende, als die von einem Rechtsextremisten im Olympiapark gezündete Bombe zwei Menschen tötete und 111 verletzte. Die Gastgeber hatten zur Abwehr von Gefahren neueste IT-Technik eingesetzt und sich gegen Kamikazeflieger gewappnet, im Kommerzgewusel ihrer «Coca-Cola-Spiele» aber die Sicherheit am Boden vernachlässigt.
Die Spiele von 2000 in Sydney gehen mit dem Spektakel in Barcelona als weitgehend unbeschwerter Höhepunkt in die olympische Geschichte ein. Australien hatte seine Sicherheitsdienste reorganisiert und Gesetze so geändert, dass Einfuhren und Einreisen besser überwacht und Zugriffe schneller möglich wurden. Zur Palette von Vorsichtsmaßnahmen kam die Abwehr gegen biologische und chemische Waffen hinzu, als Konsequenz aus der Entdeckung eines Waffenlagers in Australien Monate vor Olympia-Beginn.
Der Terrorakt von New York 2001 wirkte nach München 1972 als zweite Eskalationsstufe im Kampf um olympische Sicherheit. Die US-Regierung schuf bei den Winterspielen in Salt Lake City 2002 einen Schutzschirm mit Awacs-Flugzeugen, F-16-Kampfjets und Black-Hawk-Hubschraubern, stellte 15 000 Spezialkräfte der Armee ab und verwandelte das olympische Dorf in eine Festung. Bei den Sommerspielen 2004 in Athen trat die EU als Mitfinanzier auf, die NATO als Mitbeschützer und eine Expertengruppe aus sieben Ländern, darunter Deutschland, als Mitplaner des Sicherheitskonzepts. Es verschlang 1,5 Milliarden Dollar.
Unermesslich war der Sicherheitsaufwand in Peking 2008. Rekrutiert hatte die Staatsmacht unter anderem 1,5 Millionen sogenannte Freiwillige: 100 000 «olympische Freiwillige», 400 000 «Stadtfreiwillige» und eine Million «Freiwillige der Gesellschaft». Nur an Stacheldraht und Gewehren wurde gespart. Militanz zeigte sich lediglich, als die Amtlichkeit vom fernen nordöstlichen Rand Chinas aus der Region der uigurischen Minderheit ein Blutbad mit 16 Terroropfern vermeldete. Da zogen für zwei Tage Panzerfahrzeuge in Peking vor dem Pressezentrum, dem olympischen Dorf und dem IOC-Hotel auf und schufen damit das vor London letzte Symbol für die militarisierten Spiele.
Von Günter Deister, dpa