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Gesellschaft

Pegida-Versteher liefern sich rhetorisches Rasenschach bei Günther Jauch

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Für Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel war die sonntägliche Talkrunde bei Günther Jauch ein Heimspiel. Keiner der anwesenden Mitdiskutanten wollte es sich mit der „gesellschaftlichen Mitte“, die sie repräsentieren soll, verscherzen. (Foto: ARD)

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Pegida war gestern Thema in der Talkrunde von Günther Jauch.
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Sie hatte etwas von einem netten Kaffeeplausch, die erste Talkrunde mit Pegida-Beteiligung im deutschen Fernsehen. Jede Runde des „Literarischen Quartetts“ mit dem unvergessenen Marcel Reich-Ranicki war kontroverser und lauter als das, was die Gäste bei Günther Jauch am Sonntagabend von sich gaben, was einerseits zwar zweifellos etwas Beruhigendes hatte, andererseits aber die Frage aufwarf, ob die Runde nicht zielsicher an dem vorbeiredete, was sich in Deutschland nicht seit Beginn der Demonstrationen in Dresden tagtäglich vollzieht.

Nun muss man Kathrin Oertel, die sich als erste Repräsentantin des Organisationskomitees der Demonstrationen unter dem Titel „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) bereit erklärt hatte, mit den sonst gerne als „Lügenpresse“ titulierten Mainstreammedien zu sprechen und – in diesem Fall – vor einem Millionenpublikum im Fernsehen aufzutreten, durchaus zugutehalten, dass sie sich um ein sehr moderates Auftreten bemühte und alleine schon dadurch wenig an Angriffsfläche bot. Von dem, was Pegida-Anhänger in Interviews und Kommentarspalten von sich geben, ist dies jedenfalls meilenweit entfernt.

Andererseits ließ die Auswahl der Studiogäste aber auch von vornherein nicht viel anderes erwarten. Wenn ausgerechnet CDU-Hinterbänkler Jens Spahn, der sich in jüngster Zeit gerne mal selbst durch krachlederne Sprüche gegen die Burka oder über „den Islam“, der erst dann zu Deutschland gehöre, wenn kein Muslim mehr Kabarettisten anzeige, in den Fokus der Öffentlichkeit gezwungen hatte, als die am stärksten kritische Stimme gegen Pegida-Parolen in Erscheinung trat, deutet dies darauf hin, dass offenbar eine allzu massive Konfrontation von vornherein nicht beabsichtigt war.

„Entheimatungsängste“ der Pegida-Anhänger

Neben der Pegida-Frontfrau und Spahn waren mit Alexander Gauland noch eine Galionsfigur des rechten Parteiflügels der AfD, mit Frank Richter von der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung ein Wissenschaftler, der es wohl zurzeit dem Phänomen Pegida verdanken dürfte, dass seine wissenschaftliche Expertise besonders gefragt ist, und mit dem früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse noch ein Altpolitiker mit von der Partie, der bei allem Verständnis für die „Entheimatungsängste“, die dort zum Tragen kämen, immerhin mahnte, doch bitte keine „angsterfüllte Abwehrdiskussion“ zu führen.

Und so geriet die Diskussion weitgehend zu einem rhetorischen Rasenschach, da der offenkundige Wille der anwesenden Politiker darin lag, das Wählerpotenzial, das sich hinter dem Pegida-Ressentiment versteckt, nicht der jeweiligen Konkurrenz zu überlassen. Kathrin Oertel ließ sich wenigstens zum Eingeständnis bewegen, dass sich unter den Pegida-Massen auch einige Kräfte verbergen würden, die nicht die Inhalte vertreten würden, für die Pegida stehe. Und deshalb blieb auch der von Jens Spahn kommende Hinweis, dass der Begriff „Islamisierung“, den Gauland zuvor synonym mit jenem des „Islamismus“ verwendet hatte, eine Pauschalverurteilung von Muslimen insgesamt impliziere, unvertieft.

Frank Richter empfiehlt Umbenennung

Spahn und Thierse waren eilig, zu versichern, dass die Politik sich bereits seit längerer Zeit um die Problemfelder wie Asyl oder die Bedrohung durch „islamistische Kräfte“ annehmen würde. Der Politikwissenschaftler Frank Richter wiederum warf vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Großteil der Demonstranten nicht primär vom Thema „Islam“ bewegt werde, den Vorschlag auf, Pegida entsprechend umzubenennen – und wurde auch prompt durch Oertel ausgebremst, ohne dass diese viele Worte verlieren musste.

Nein, man kann es den deutschen Leitmedien bei bestem Willen nicht zum Vorwurf machen, sie würden Pegida und alle anderen „besorgten Bürger“ mit ihrem „Problem- und Gefühlsstau“ (Frank Richter) alleine lassen. Pegida hatte ein Heimspiel, und niemand wollte sich mit jener „Mitte der Gesellschaft“ anlegen, die sich, wie Studien zeigen, zumindest in Dresden unter dem Banner der Pegida versammelt.

Wenn es um den Islam geht, differenziert man weniger gerne

Salafistische Pierre-Vogel-Anhänger, die immerhin auch von Zeit zu Zeit mehrere tausend Personen zu Aufmärschen auf die Straße zu bewegen vermögen, könnten hingegen wohl kaum damit rechnen, in öffentlich-rechtlichen Fernsehdebatten mit einem ähnlich großen Aufmarsch an „Verstehern“ konfrontiert zu werden – immerhin müssen selbst moderate Mainstream-Muslim in vergleichbaren TV-Formaten regelmäßig damit rechnen, dem schulmeisternden Maßregelungseifer Wobos, Necla Keleks oder Hamed Abdel-Samads ausgesetzt zu werden.

Und auch die „Lügenpresse“ bemüht sich sichtlich um das Vertrauen der Pegida-Anhänger. So hielt es am Samstag beispielsweise der „Focus“ angebracht, auf seiner Titelseite dem islamophoben Stammtisch eine Stimme zu geben. Es gibt in unserem Land eben doch mehr Pegidaversteher als viele erwartet hätten…