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Panorama

Fall Daniel S.: Neonazis sollen Richter im Fall einer milden Strafe mit Rache gedroht haben

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Nach dem erstinstanzlichen Schuldspruch ihres Mandanten im Kirchweyhe-Prozess strengt die Verteidigung eine Revision an. Man habe sie nicht über den Grund der Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen zu Gunsten des Richters informiert. (Foto: dpa)

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Ein Brief hängt am 17.03.2013 an einer Bushaltestelle vor dem Bahnhof in Kirchweyhe (Niedersachsen). Nach der tödlichen Prügelattacke auf einen 25-Jährigen haben sich wieder mehrere hundert Menschen zum Gedenken an den Mann am Tatort versammelt.
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Dass die bundesweit durch die Medien gegangene Bluttat von Kirchweyhe im März 2013 von Rechtsextremen und Neonazis politisch ausgeschlachtet wurde und der Ort faktisch zu einer Art Wallfahrtsort für die Szene geworden ist, zeichnete sich schon bald nach Bekanntwerden des Verbrechens ab. Ein zuvor durch Katzenkrimis bekannt gewordener Schriftsteller nutzte den Vorfall sogar, um sich mittels eines aufwieglerischen Essays eine Fangemeinde aufzubauen, die ihm ein Jahr später nach Veröffentlichung seines ersten Sachbuches den ersten Platz in den deutschen Verkaufscharts sichern sollte.

Nun berichtet die „taz“ über Hinweise darauf, dass auch die gerichtliche Aufarbeitung des Falles, die erstinstanzlich mit einer Verurteilung des noch als „Herabwachsender“ eingeordneten Hauptverdächtigen wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten Jahren nach dem Jugendstrafrecht endete (die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre gefordert), massive Einwirkungsversuchen von rechtsextremer Seite zu verzeichnen gehabt habe.

Am 10. März des Vorjahres hatte der 25-jährige Daniel S. in einem Bus, der Discothekenbesucher nach Hause brachte, einen Streit zwischen Jugendlichen aus der türkischen Einwanderercommunity zu schlichten versucht. Einer der Beteiligten, der 20-jährige Cihan A., der sich im Zuge der Auseinandersetzung besonders aggressiv gebärdet und gedroht haben soll, irgendjemand werde „die Nacht nicht überleben“, soll erst aus dem Bus ausgestiegen sein, am Bahnhof seine Jacke ausgezogen haben, und anschließend noch einmal zurückgekehrt sein. Dort soll er Daniel S. noch einmal angegriffen und auf ihn eingetreten haben. Daniel S. erlag nach einigen Tagen im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen.

„Deutschenfeindliche Migrantengewalt“

Rechtsextreme Parteien und Medien bemühten sich sofort, in der Öffentlichkeit eine ethnisierende Deutung des Vorfalls zur Norm zu erheben und die Botschaft zu verbreiten, der mutmaßliche Täter habe die Tat primär auf Grund seiner ethnischen Herkunft und seiner vermeintlich „muslimischen“ Herkunftskultur begangen – obwohl sich der Vorfall im Anschluss an einen Discothekenbesuch ereignet hatte. Die Tat sei aus „deutschenfeindlichen“ Beweggründen erfolgt, behaupteten die Rechtsextremen und wollten eine gesamtgesellschaftliche Debatte über so genannte „Migrantengewalt“ forcieren.

Der Bürgermeister der Stadt, Frank Lemmermann (SPD), ließ mehrere Aufmärsche von Neonazis verbieten. Daraufhin wurden er und seine Mitarbeiter in E-Mails, Briefen und über das Telefon wüst beschimpft und bedroht. Die Stadt reagierte mit Anzeigen.

Nun erheben die Verteidiger des mutmaßlichen Täters, die einen Freispruch ihres Mandanten gefordert hatten, Revision gegen das aus ihrer Sicht zu harte Urteil, das zudem intransparent gewesen sein soll und aus ihrer Sicht auch den Verdacht der Befangenheit und möglicher Manipulationen aufkommen ließ.

Namensschild von der Tür entfernt

So sei nicht nur der Bürgermeister, sondern auch der Richter noch während des Prozesses massiv von Neonazis bedroht worden und zwar sogar konkret. Rechtsradikale hätten, so die taz, im Falle eines milden Urteils mit Rache gedroht. Der Gerichtspräsident habe daraufhin die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, nur: Die Verteidiger seien über den Grund nicht informiert worden und hätten erst durch Zufall davon erfahren. Auch sei am Zimmer von Richter Grebe das Namensschild entfernt und seine Tür mit neuer Klinke versehen worden, die sich von außen nicht betätigen lasse.

„Wenn wir das frühzeitig gewusst hätten, hätten wir unser Prozessverhalten darauf eingestellt“, sagt Verteidiger Jürgen Meyer. Transparenz hätte Vertrauen geschaffen. „Das Urteil ist kontaminiert durch den Verdacht, dass es durch diese Bedrohungen manipuliert ist“, sagt sein Kollege Martin Stucke.

Rechtsextreme Seiten veröffentlichten Privatadresse

Auf rechtsradikalen Websites seien, so die Verteidiger, Fotos des Richters veröffentlicht worden, ebenso seine private Adresse samt Wegbeschreibung, „mit der Aufforderung: Bei einem Freispruch oder Bewährung sollte man sich am Richter rächen“, so Verteidiger Stucke. Einen Beleg für diese spezielle Drohung habe er nicht, er habe zu spät davon erfahren, viele Einträge seien mittlerweile gelöscht. Gesichert haben er und Meyer aber zahlreiche andere Drohungen: Etwa, dass jemand dem Richter Gleiches wie Daniel S. Familie wünsche – also den Tod eines Angehörigen.

Die Verteidiger werfen nun die Frage auf, ob womöglich auch Zeugen bedroht wurden.

Was allerdings stark gegen einen Einfluss dieser Bedrohungen auf das Urteil spricht, ist, dass der ursprüngliche Vorwurf des Mordes gegen Cihan A. fallen gelassen worden war und dieser als Heranwachsender verurteilt wurde – was alleine schon ein Urteil weit unterhalb des Rahmens erwarten ließ, der bis hin zur lebenslänglichen Freiheitsstrafe gereicht hätte, wäre dies nicht der Fall gewesen.

Im Ort selbst fiel der Versuch, die Tat politisch zu instrumentalisieren, nicht auf fruchtbaren Boden. Die Wahlergebnisse der NPD, die ihre Wahlkämpfe in der Region gezielt auf einer ethnisierenden Deutung der Ereignisse aufgebaut hatte, blieben sowohl bei der Bundestags- als auch der Europawahl nur unwesentlich über dem ohnehin verhältnismäßig schwachen Landesdurchschnitt.