Connect with us

Gesellschaft

“Vor Ihnen steht kein Terrorist, Herr Richter. Ich bin ein Journalist!”

Published

on

Spread the love

von DTJ

In der Türkei sitzen über 150 Journalisten im Gefängnis. Aufgrund des Ausnahmezustandes im Land und wegen Säuberungswelle, die große personelle Engpässe in den Behörden verursacht hat, dauert es in den Einzelfällen Monate und Jahre, bis sich jemand überhaupt vor Gericht verantworten kann. So kam es auch für den inhaftierten Emre Soncan. Nach insgesamt acht Monaten bekommt der Journalist erstmals die Möglichkeit, sich vor Gericht zu verteidigen. Bislang werden ihre Stimmen kaum gehört, dabei haben alle Einzelpersonen viel zu erzählen. Die Verteidigung des Journalisten Emre Soncan gehört zu den besonders aussagekräftigen. Deshalb haben wir seine Verteidigung vor dem Richter in voller Länge übersetzt.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Wollten Sie jemals sterben? Ich schon! Und zwar in jener Nacht, in der wir in einer Zelle, die eigentlich für drei Häftlinge vorgesehen ist, mit 13 Personen übernachten mussten. Nach der Zeit in der Unterschungshaft wurde ich mit anderen Journalisten zusammen ins Gefängnis verfrachtet. Wir saßen in einer Gefängniszelle, die “Quarantäne” genannt wurde. Ich warf mich in der ersten Nacht, nachdem uns schreckliches angetan wurde, worüber ich an dieser Stelle nicht sprechen will, auf das Bett. Dante nennt in seiner “Göttlichen Komödie” das 35. Alter die Mitte des Lebensweges. Ich war gerade 35 und betete zum ersten Mal in meinem Leben zu Gott, um zu sterben: “O Herr! Nimm mir heute Nacht  das Leben, so dass ich den Morgen nicht erlebe.”

Denn ich dachte, dass diese Welt zur Hölle eines anderen Planeten geworden ist. Als ich jedoch morgens doch aufwachte wurde mir bewusst, dass jeder neuer Tag neue Hoffnung mit sich brachte. “Solange man atmet darf man sich nicht vom Leben lossagen!”, sprach ich auf mich ein. Ich bin an diese Stelle mit der Absicht gekommen, unbeirrbar meine Überzeugungen zu verteidigen, bis die Gerechtigkeit siegt.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Das Universum gibt es seit 14 Milliarden, die Erde seit 4,5 Milliarden und den Menschen seit 200 Tausend Jahren. Das von der NASA entdeckte Radioblitzsignal ist drei Milliarden Jahre von der Erde entfernt ausgesendet worden. In dieser grenzenlosen Raum und Zeit sind Sie und ich nur zwei winzige Punkte. Wir können unserem Leben nur einen Sinn geben, in dem wir uns bemühen der Wahrheit etwas näher zu kommen. Ich werde mit meiner Verteidigung einen Schritt in Richtung der Wahrheitsfindung gehen, und Sie hingegen mit ihrem Urteil. Ich bin mir sicher, dass ich früher oder später vor dem jüngsten Geschicht freigesprochen und rehabilitiert werde. Aber vorerst will ich hier in meiner Heimat von den Richtern meinen Freispruch bekommen.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Ich werde meine Verteidigung kurz halten. Nach einer Einführung werde ich auf die, in der Anklageschrift festgehaltenen Anschuldigungen gegenüber meiner Person Antworten.

Nachdem ich staatliche Grund- Mittelschule und das Gymnasium absolviert hatte, bekam ich ein Stipendium für ein Studium an der Başakşehir Universität. Während meines Studiums absolvierte ich bei der Tageszeitung Star ein kurzzeitiges Praktikum. Während meines Hauptstudiums arbeitete ich dann als Praktikant für den Nachrichtensender CNN Türk. Auch bei der Tageszeitung Zaman begann ich 2004 als Praktikant. Die Zeitung übernahm mich jedoch, so dass ich 2005 begann hauptberuflich als Redakteur zu arbeiten. Anfang 2009 wechselte ich in das Hauptstadtbüro nach Ankara, wo ich für das Präsidialamt und für sicherheitspolitische Themen zuständig war. In meinem 12-Jährigen Berufsleben habe ich bestimmt Fehler begangen, jedoch nie bewusst Unrecht getan. Ich verstehe meinen Beruf als einen Auftrag für die Öffentlichkeit und träumte immer von einem Journalismus fernab von hohen Plazas, in denen sich die schicksten und ansehnlichsten Redaktionsräumlichkeiten befinden. Ein Redakteur ist für mich jemand, der seine Arbeit wertschätzt, wirklichkeitsnah berichtet und den Morgen mit einem Glas Tee und einem einfachen Sesamring beginnt. In keinem Medienhaus für das ich tätig war, habe ich diese Utopie leben können. Es ist traurig, dass es keinem Medienunternehmen in der Türkei gelungen ist, dieses Ideal zu verwirklichen.

Ich habe mein ganzes Leben lang Partei ergriffen. So stand ich immer für das Leben, für die Freiheit und Demokratie, für die Gerechtigkeit ein… Deswegen habe ich auch immer wieder auf Grundlage der universellen demokratischen Werte meine Stimme erhoben und Kritik geübt, wenn ich der Ansicht war, dass etwas Falsch läuft.  Ich bin nie Mitglied einer Organisation, einer religiösen Gemeinde, eines Ordens oder einer ideologischen Vereinigung geworden. Die einzige Vereinigung dessen Mitglied ich bin, ist die Journalistenvereinigung. Jedoch bereue ich mittlerweile auch diese Mitgliedschaft sehr, denn sie hat sich nicht ausreichend um die inhaftierten Journalisten gekümmert und auch nicht genügend ihre Rechte verteidigt.

Ich habe immer Journalismus im Namen der Werte von denen ich überzeugt bin betrieben und wurde im 12. Jahr meiner Berufsausübung mit der Anschuldigung,   “Mitglied einer bewaffneten Terrororganisation” zu sein verhaftet. Und das, obwohl man mir keine einzige Gewalthandlung vorwirft. Unser Recht auf offenen Besucherempfang, Gespräche mit den Verteidigern, Telefonnutzung und der Erwerb von Büchern von außerhalb wurde eingeschränkt. Über dem Innenhof (des Gefängnisses) war ein Stück Himmel zu sehen. Auch das sollte uns verwehrt werden, es war wohl zu viel an Freiheit. Dieses freie Stück wurde wie einst West- und Ostdeutschland voneinander getrennt wurden, mit Zäunen zugezogen, damit wir ja nicht die Flugzeuge, die über uns fliegen berühren und die Wolken umarmen können. Unter diesen Umständen verbrachte ich ganze 241 Tage und Nächte und habe nun endlich die Gelegenheit mich zu verteidigen.

“Diese Anklageschrift hängt sogar hinter der Justiz des 19. Jahrhunderts”

Der berühmte Verfassungsrechtler Albert Venn Dicey schreibt in seinem 1885 veröffentlichten Standardwerk  “Introduction to The Study of The Law of The Constitution”, dass gegen keinen ein Gerichtsprozess geführt werden darf, es sei denn er hat ein Gesetz gebrochen. Sie wissen besser als ich, dass dies die Grundlage von Rechtstaatlichkeit ist. Folglich können weder Regierungen, noch Mitglieder der Justiz Menschen bestrafen, weil ihnen ihre Handlungen oder Meinungen persönlich missfallen. Die im 21. Jahrhundert erstellte und ihnen vorliegende Anklageschrift liegt jedoch weit fern von dem Rechtsverständnis des 19. Jahrhunderts. Der verehrte Staatsanwalt Çağlak wirft mir vor, dass meine Meinungsäußerungen einen Straftat darstellen und begeht damit selbst die größte Straftat, in dem er diese Behauptung aufstellt. Aber der verehrte Staatsanwalt übersieht etwas: Meinungen und Ideen sind kugelsicher und passen in keine Gefängniszelle. Sie sind stets flüchtig.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Die Vorwürfe gegen meine Person können in drei Abschnitte eingeteilt werden. Als Erstes geht es um ein Interview mit einer Zeitung und um meinen Äußerungen, die ich während einer Fernsehsendung zum Ausdruck gebracht habe. In beiden Fällen  geht es um meine Kritik an dem Staatspräsidenten. Als Zweites geht es um meine Posts in den sozialen Medien und schließlich um mein Guthaben von 31.400 Lira auf einem Konto bei der Bank Asya.

Zuerst will ich unterstreichen, dass meine Äußerungen über den Staatspräsidenten weder Beleidigungen beinhalten, noch Gewalt verherrlichen, oder zur Gewalt aufrufen. Zu der Zeit meiner Kritik wurden weder Ermittlungen gegen mich eingeleitet, noch wurden sie widerlegt. Daher müssen sie auf Grundlage der Artikel 25 und 28 der Verfassung bewertet werden. Es geht hier also um Meinungs- und Pressefreiheit. Zudem bedeutet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Freiheit nicht nur die Meinungen zur Sprache zu bringen, die von Gesellschaft und Staat als richtig oder unschädlich betrachtet werden, sondern auch, dass frei zu Äußern, was von Staat oder Teilen der Gesellschaft als negativ oder falsch bewertet werden.

“Die Pressefreiheit ist das Hauptmerkmal, welches die Demokratie und die Autokratie trennt”

Wie es auch schon Rıza Türmen, ehemaliger Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte formuliert hat: die Pressefreiheit gehört zu den Grundpfeilern, die ein demokratisches Regime von autoritär-totalitären Regimen trennt. Die Meinungsfreiheit stellt den Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft dar. Die Hauptaufgabe der freien Presse ist es, das Informationsrecht des Volkes in die Tat umzusetzen und die Fehler der Regierung der Öffentlichkeit aufzuzeigen, um den Bürgern die Teilnahme an Entscheidungsprozessen zu erleichtern.   

In autoritär-totalitären Regimen wird die Presse wiederum unter Kontrolle gehalten und für die eigenen Zwecke benutzt. Deshalb werden die Entscheidungen bezüglich Journalisten, einen negativen oder positiven Einfluss auf die Diskussion über die Staatsform in der Türkei mit sich bringen.

Wir haben in der Geschichte Beispiele Totalitäre Regime gesehen haben und können heute in unterschiedlichen Regionen dieser Welt andere Totalitäre Regime weiter beobachten. Sie bezwecken lediglich, dass das Volk die Tatsachen über die Regierung nicht erfährt, ihre Treue und Bindung zum Führer durch Bewunderung sowie durch das Stillegen von oppositionellen Stimmen erfolgt. In solchen Regimen wird Kritik mit Vaterlandsverrat gleichgesetzt.

Laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte kann das Eingreifen in die Pressefreiheit in sehr großen Ausnahmefällen und zwangsläufigen Situationen hinnehmbar sein. Das Feld der Pressefreiheit ist groß. Ein Eingriff darin kann lediglich dan hingenommen werden, wenn Hasstiraden ausgesprochen werden und es einen Aufruf zur Gewalt gibt. Ohnehin ist aus meiner Sicht genau das die Basis dieser Thematik. In keiner Rede, keinem Text, keinem Posting oder keiner Nachricht habe ich Hasstiraden verwendet oder zur Gewalt aufgerufen. Im Gegenteil: in vielen Nachrichten, die ich mit der Öffentlichkeit geteilt habe, habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gewalt nie ein Mittel sein kann. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Zühtü Aslan, hat sich an der Debatte bezüglich Meinungsfreiheit folgendermaßen beteiligt: “Die Meinungsfreiheit ist die Freiheit des Anderen. Die Meinungsfreiheit ist ein Wert, dass wir bei der Definition unser selbst und anderer, bei dem Verstehen sowie Nachvollziehen des Anderen und bei der Definition unserer Beziehungen zu anderen brauchen. Wir müssen diesen Wert zu schätzen wissen.”

Sehr geehrtes Komitee, legen wir mal die Interpretationen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beiseite: Meinungen, die keine Gewaltaufrufe, Denunziationen oder Hasstiraden beinhalten, als Straftat einzustufen, ist eine große Unhöflichkeit gegenüber den demokratischen Erfahrungen der Türkei. Schließlich hat Herr Staatsanwalt Çağlak während der Auflistung der Entscheidungen bezüglich der Einschränkung von Meinungsfreiheit, in dem Vorschriften-Kapitel der Anklageschrift, ohne es bemerkt zu haben, die Anschuldigungen mir gegenüber selbst wertlos gemacht. Die Interpretationen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass Gedanken und Meinungen “unbequem, schockierend, übertrieben und sogar aggressiv sein können” und dass Aussagen, die zur Gewalt aufrufen verboten werden können, hat Çağlak persönlich in die Anklageschrift eingebaut.

Welche meiner Gedanken, meiner Aussagen, meiner Reden oder Postings haben denn Merkmale, die zur Gewalt aufrufen?

“Ich fühle mich wie Sisyphos”

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Manchmal fühle ich mich wie die mytologische Figur Sisyphos. In den mytologischen Erzählungen heißt es, dass Sisyphos damit bestraft wurde, in der Hölle einen großen Felsstein einen steilen Hang hinaufzurollen. Immer kurz bevor er das Ende des Hangs erreichte, entglitt Sisyphos der Stein, sodass wieder von vorn anfangen musste. Kamus hat diesen Mythos mit seiner “absurden” Metapher erzählt. Auch ich antworte schon seit Monaten auf die Anschuldigungen mir gegenüber, aber jedesmal wird auf die Fortsetzung meiner Haft entschieden. Ich erzähle es noch einmal, ich erfahre nochmal dasselbe Ergebnis. Als wäre ich in einer Endlosschleife…    

Eines der Begründungen für die Fortsetzung meiner Haft wiederholt sich immer wieder. Dabei ist es die Vermutung, dass ich fliehen könne. Bevor ich festgenommen wurde, haben Twitter-Accounts, die in den sozialen Netzwerken eine gewisse Popularität erreicht haben und denen eine regierungsnähe vorgeworfen wird, mehrmals über meine bevorstehende Verhaftung geschrieben. Obwohl ich Visen für mehrere Länder habe, bin ich nicht ins Ausland gereist. Nachdem ich vom Haftbefehl gegen mich erfahren habe, bin ich ins Polizeipräsidium gegangen und habe mich gestellt. Dennoch wird mir vorgeworfen, dass ich fliehe könne. … Um diese Behauptungen zu bekräftigen wurde gesagt, dass bei ähnlichen Prozessen einige Namen ins Ausland geflüchtet sind. Eines der universellen Grundprinzipien ist es, dass niemand für die Straftat eines anderen bestraft werden kann. Warum werde ich dann aufgrund der Taten von Menschen, mit denen ich nichts zu tun habe, bestraft? Meine Haft ist nun nicht mehr lediglich eine Präventionsmaßnahme, sondern sie hat sich zu einer einer offenen Bestrafung entwickelt.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Eine andere Anschuldigung in der Anklageschrift ist mein Kontostand von 31.400 Türkische Lira bei der Bank Asya. Schließlich kann ein Journalist, der als Reporter tätig ist, nur so viel Geld auf seinem Konto haben. Weil die Zeitung Zaman mit der Bank Asya gearbeitet hatte, wurde mein Gehaltskonto bei dieser Bank eröffnet. Als die Zeitung Zaman vorher mit der Vakıfbank gearbeitet hatte, war auch mein Konto bei der Vakıfbank. Ich habe mein Geld nicht mit irgendeiner Anweisung auf das Konto von Bank Asya angelegt. 2013 hatte ich 20.000 Türkische Lira, 2015 stieg das auf 31.000 Türkische Lira. Aber auch dieses Geld lag nicht lange auf meinem Konto, weil ich mir ein Auto kaufte. Von den jeweiligen Institutionen kann die Belege beschaffen. Wenn ich mein Geld an die Bank Asya mit irgendeiner Anweisung oder im Rahmen einer Solidaritätskampagne angelegt hätte, dürfte ich mein Geld bis zum letzten Moment dort nicht abheben. Schließlich kann ich auch die Anschuldigungen gegenüber meinem Guthaben, das in einer staatlich beaufsichtigten und gesetzlich legitimen Bank liegt nicht nachvollziehen.

Sie bestrafen die Figur, die der Staatsanwalt in seinen Träumen sieht

Sehr geehrter Ausschuss,

Falls Sie mich am Ende dieses Prozesses bestrafen oder Freitagabend wieder ins Gefängnis zurückschicken, werden Sie eigentlich nicht mich, sondern die Figur, die Herr Staatsanwalt Çağlak in seinen Träumen erfunden hat, bestrafen. Ich möchte aber deutlich machen, dass ich jede Entscheidung respektieren werde. Auch wenn alle Staatsanwälte der Welt zusammenkommen – geschweige denn dieser Herr Staatsanwalt – und dieselbe Anschuldigung vornehmen: ich bin kein Terrorist. Ich bin Emre Soncan. Ich bin Journalist. Deshalb werde ich das reine Gewissen unschuldig zu sein auch dann tragen, wenn ich erneut hinter Gittern muss.

Herrn Çağlak habe ich nie gesehen. Schließlich hat er mich nicht einmal verhört. Deshalb kenne ich ihn nicht. Aber hinter dieser Anklageschrift sehe ich ein Unglück. Dahinter sehe ich die Seele einer Person, die in ihrem Leben nicht einmal ein Gänseblümchen gepflückt hat; nie, die durch den Regen durchnässten Haare einer hübschen Frau, welche unter Schein der Straßenlaternen prahlen, liebend gestreichelt hat. Ich sehe jemanden, der in seinem Leben keinen Platz für das Lächeln oder die Tränen eines Babys gefunden hat; jemanden, der bei der Fahrt von Üsküdar nach Beşiktaş den Möwen keine Sesamringe zugeworfen hat; jemanden, der nicht mal als Kind versucht hat die Sonnenstrahlen einzufangen; jemanden, der ständig von seinem eigenen Schatten wegzulaufen versucht.

“Ich betrachte die Gülen Bewegung nicht als eine Terror-Organisation”

Euer Ehren und sehr verehrte Mitglieder des Gerichts,

Abschließend möchte ich Bezug nehmen auf meine Beiträge in den sozialen Medien. Verehrter Staatsanwalt hat einen meiner Tweets hoch motiviert und euphorisiert nach dem Motto: “Jetzt habe ich dich erwischt Emre Soncan” ganz oben in meiner Akte angebracht. In diesem Tweet schrieb ich folgenden Inhalt: “Ich weiß nicht, ob ich wegen diesen Tweets verhaftet werde, aber ich bezweifle die Plausibilität der Aussage, hinter diesem niederträchtigen Putsch stünde die Gülen-Bewegung”. Wahrscheinlich hat der Staatsanwalt in aller Freude vergessen, meine Tweets vor und nach diesem Posting hier ebenfalls anzuführen. Dabei schrieb ich sowohl in meinen vorigen Tweets, als auch in denen danach ausdrücklich, dass ich mich gegen diesen Putsch stelle und mit der legitim gewählten Regierung solidarisiere. Das tat ich bereits in der Nacht des Putsches, zu einem Zeitpunkt, als noch völlig unklar war, mit welchem Ergebnis diese Unternehmung zu Ende gehen würde. Während sowohl Regierungsmitglieder, als auch Vertreter der Opposition den Verlauf des Putsches abwarteten, positionierte ich mich schon vorher im Sinne der Demokratie. Mein Anwalt wird diese Tweets dem hohen Gericht vorlegen. Wenn wir auf den Inhalt meines besagten Tweets schauen, dann liegt darin meine Annahme, dass hinter diesem Putsch, der 248 unserer Mitbürger das Leben kostete, ausländische Geheimdienste stecken könnten, die, während die geographischen Verhältnisse und Grenzen im nahen Osten umverteilt werden, ein gesteigertes Interesse an einer entsprechenden Positionierung Ankaras haben und die Türkei in einen neuen Block hinein preschen wollen. So denke ich.

In Anbetracht meiner Jahrelangen Erfahrung, meinen Beobachtungen und meinen Analysen der Quellen schon bereits vor meiner Verhaftung, als auch während meiner Zeit in Haft, komme ich auf ein solches Paradigma und auf das Ergebnis, dass die Gülen Bewegung keinesfalls eine Terrororganisation sein kann. Ich weiß, dass meine Aussagen in dieser außergewöhnlichen Phase, ein Urteil über mich negativ beeinflussen könnten. Aber ein freier und unabhängiger Journalist kann das, woran er fest glaubt, nicht für sich behalten. Es ist seine Aufgabe dies zu verkünden, koste es was es wolle. Meine anderen Tweets und meine Gespräche und Texte beinhalten ebenfalls keinen Aufruf zu Hass und Gewalt. Alles habe ich im Rahmen der durch unsere Verfassung gewährleisteten Meinungsfreiheit geäußert. In keinem meiner Tweets und Gespräche gibt es eine strafbare Absicht. Keines meiner Aussagen oder Tweets beinhalten die nationale Sicherheit und die Öffentlichkeit gefährdende oder negativ beeinflussende Aspekte. Laut Paragraph 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Recht auf freie Meinungsäußerung, des Weiteren die Informationsfreiheit, die Pressefreiheit und die Rundfunkfreiheit gewährleistet. In dieser Etappe hat man, um einen Anschein der Geheimnistuerei zu erzeugen, angegeben, es seien Akten gefunden worden, die als streng Geheim gekennzeichnet wären. Ich habe die besagten Akten vom Generalsekretariat des Staatspräsidenten eingefordert und Einsicht genommen. Für die Neugierigen; bei den Akten handelt es sich um meine frei zugänglich archivierten Schriftverkehre.

“Vor Ihnen steht kein Terrorist, sondern ein Journalist”

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Auf unserer Heimat liegt ein breiter Nebelschleier. Wenn sich eines Tages dieser Nebel löst, wird meine Verteidigung und Ihr Urteil in den Weiten der Unendlichkeit erhallen. Wir durchqueren so turbulente Zeiten, dass wir alle – aber vor allem die Politiker, Denker, Journalisten und Juristen – alle gemeinsam uns dafür einsetzen müssen, dass sich das Bewusstsein unseres Volkes endlich aus dieser Zwangsjacke befreit und zu der Vernunft zurückkehrt. Das ist, was dringend nötig ist. Sokrates hatte durch seinen Tod die Ehre des Lebens beschützt. Genau so verteidige ich seit 241 Tagen grundloser Haft die Ehre des freien und unabhängigen Journalismus. Wenn heute draußen eine bessere Türkei existiert, weil wir Journalisten hier in Haft sind, bin ich gerne dazu bereit mein Leben hinter Gittern zu verbringen. Aber es sei nicht vergessen; in Ländern, in denen der Journalismus verhaftet wird, herrscht niemals die Freiheit.

Vor Ihnen steht kein Terrorist. Vor Ihnen steht jemand, der niemals auch nur in die Nähe von Terror, Gewalt und Hass gekommen ist. Vor Ihnen steht durch und durch ein Journalist. Von nun an liegt die Entscheidung bei Ihnen. Mein Gewissen ist rein. Eines Tages wird mich die Geschichte freisprechen. Denn ich habe niemals den Rahmen des Journalismus verlassen. Eines Tages wird mich die Geschichte freisprechen. Denn ich habe die Würde meines Berufes niemals mit den Füßen getreten. Und ja, eines Tages wird mich die Geschichte freisprechen, denn ich habe meine freien Gedanken nicht auf dem Sklavenmarkt zum Verkauf angeboten. Euer Ehren, ich beende meine Worte mit dem Ausdruck meines Vertrauens in die gerechte Waagschale Ihres Gewissens und fordere meinen Freispruch.