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Kolumnen

Warum Science Fiction chronisch unterschätzt wird

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Spätestens seit der US-amerikanischen Sitcom „The Big Bang Theory“ kann ein breites Publikum sich unter einer „Convention“ oder „ComicCon“ etwas vorstellen: Tausende Comic-, Fantasy- und Science Fiction-Begeisterte treffen sich von Jahr zu Jahr für mehrere Tage, um ihre gemeinsame Leidenschaft zu zelebrieren – so zumindest der oberflächliche Blick von außen auf diese Veranstaltung.

Die Dortmunder Convention „DortCon“, die am 21./22. März stattgefunden hat, zeigte mir, dass eine Convention mehr ist als die Zusammenkunft Gleichgesinnter. DortCon, die im Vergleich zu den amerikanischen Formaten eine bescheidene Größe hat, bot ein Programm an, das nicht nur abwechslungsreich war. Sie war auch sehr informativ, weil sie wissenschaftliche Themen und Fragestellungen behandelte. Sie war aber auch geradezu kontrovers, weil politische Themen nicht gescheut wurden.

Ostalgie und grüne Elefanten

Karsten Kruschel, einer der Ehrengäste des DortCon, hat als Autor mehrerer Science Fiction-Bücher einen festen Platz in der Szene. Der in Ostdeutschland verwurzelte Schriftsteller hat bereits zu DDR-Zeiten Science Fiction-Bücher geschrieben. In einem Interview während der DortCon erzählte er, wie in der DDR Bücher zensiert wurden.

Er erzählte auch von den „grünen Elefanten“, die die DDR-Autoren absichtlich in ihre Bücher einbauten, damit die Zensurbehörde sie finden, beanstanden und schließlich in der Befriedigung, die an sie gestellte Arbeit erfüllt zu haben, nicht mehr weitergelesen oder andere kritische Stellen im Buch übersehen haben.

Trotz der Freiheiten, die die BRD bot, führte Kruschel auch an, dass Deutschland nach der Wiedervereinigung nicht das Land war, in dem Honig und Milch flossen. Mein Eindruck war, dass Kruschel damit ein leises Understatement anbringen wollte.

Das Publikum aber stimmte dem laut zu, was dazu führte, an die ideelle und materielle Schriftsteller-Förderung in der DDR zu erinnern, die in Deutschland eine Mangelware ist. Zum ersten Mal habe ich gespürt, Science Fiction (SF) hat in Deutschland eine Außenseiter-Stellung.

Transgender Transformation

Kontrovers war auch der Auftritt des Science Fiction-Autors Bernhard Kempen aus Berlin, der sich auf der Bühne zur „Barbara“ wandelte. Ihr Bühnenprogramm hieß entsprechend „Transgender Transformation“. Bernhard ist Autor einiger SF-Bücher und auch bekannt für Übersetzungen englischsprachiger Werke. Aber – er ist auch transsexuell.

Bernhard, der sein weibliches Selbst „Barbara“ von seiner SF-Arbeit immer getrennt hat, gelangte im Rahmen einer Dokumentation zur Einsicht, dass Bernhard und Barbara zusammengehören. Bernhardt strippte sich nach der Einführung zur „Barbara“, die von da an mit Anekdoten und Musikeinlagen dem Publikum erklärt, was Transgender mit SF zu tun hat. Der Respekt des Publikums war groß.

Science und Fiction: „Wir alle sind Sternenstaub“

SF kommt aber ohne Naturwissenschaft nicht aus. Tatsache! Man nimmt aber an, dass in der SF die Fiktion und Phantasterei über die Wissenschaft triumphiert. Auf DortCon konnte man eines Besseren belehrt werden.

Die Zoologin Bettina Wucher hat in ihrem Vortrag über die Tierwelt in Star Wars eindrucksvoll gezeigt, wie sehr sich die Autoren der Star Wars-Reihe an die irdische Tierwelt angelehnt haben und wie nahe sie wissenschaftlichen Erkenntnissen waren. Sie zeigte mit dem „Alien-Toolbox“ zudem auf, wie die Autoren eine Alien-Figur oder ein Alien-Tier entwerfen.

Ein anderer wissenschaftlicher Vortrag trug den Titel „Kosmochemie – Wir alle sind Sternenstaub“. Die Biochemikerin Dr. Rita Grünbein erklärte die biochemischen Grundlagen für die Entstehung des Lebens auf der Erde. Offensichtlich wusste die Referentin über die Kontroverse in der SF-Community sehr gut Bescheid, so dass sie Raum für Einwände und Ergänzungen aus dem Publikum zuließ.

Obwohl ein Profi vorne und großteils Amateure im Publikum saßen, merkte man am Beispiel dieses Vortrags, dass die Grenzen zwischen Experten und Nicht-Experten fließend sind.

Ein besonderes Highlight der DortCon war „Perlen der Science Fiction“. Hier haben vier Autoren herausragende Werke des Science Fiction-Genres vorgestellt. Dabei ging es nicht nur um den Inhalt, sondern ganz besonders um die historischen Hintergründe der Bücher. So wurde die künstlerische Bandbreite dieses besonderen Genres pointiert wie witzig dargestellt.

Was ist Science Fiction nun?

Wenn ich mir den Tag noch einmal vor Augen führe, dann scheint Science Fiction definitiv mehr als eine Phantasterei zu sein. Sie kann offensichtlich eine Plattform für Transgender und Ostalgie sein, aber auch für DDR-Kritik und kontroverse naturwissenschaftliche Theorien.

Sie steht für Humor und Selbstironie, aber auch für Leidenschaft, wenn man all die Teilnehmer sieht, die sich eindrucksvolle kostümiert haben. Nach meinen Erlebnissen komme ich persönlich auf drei Antworten auf die Frage, was Science Fiction ist:

Erstens: Science Fiction ist eine Kunstform. Karsten Kruschel, der eingangs Erwähnung fand, hat auf die Frage, was eine gute SF-Geschichte ausmacht, geantwortet, dass die Handlung und die Figuren wichtig sind. Ob die Handlungen dann auf einem Roller oder doch auf einem Raumschiff spielen, sei zunächst nachrangig. Science Fiction biete ihm an, so Kruschel weiter, seine Handlung und Figur in einen Kontext einzubetten.

Unfassbare Wissenschaft erlebbar machen

Zweitens: Science Fiction ist eine Projektionsfläche für wissenschaftliche Erkenntnisse. Wissenschaft ist in der Regel abstrakt. Man spricht von Bakterien, Molekülen oder Gravitationen. Im Grunde aber sind es Phänomene, die jenseits unserer Wahrnehmungen liegen. SF bettet diese – im wahrsten Sinne – unfassbaren Phänomene in einen Kontext ein und rückt die abstrakte Wissenschaft in den Erlebnisraum der Menschen. Wissenschaft wird auf diese Weise erlebbar.

Drittens: Science Fiction ist ein Lebensgefühl. Die Menschen teilen ein gemeinsames Interesse und bilden deswegen eine Wertegemeinschaft. Wo Menschen Werte teilen, da können Leidenschaften entstehen, die sich in Lebensgefühl ausdrücken. Wenn man die imposanten Kostüme aus den SF-Subgenres wie Steampunk oder Gothic-SF einmal erlebt hat, dann versteht man das.

Daraus ergibt sich für mich eine zentrale Frage: Welches Literaturgenre sonst schafft es, diese drei Merkmale miteinander zu vereinen und ihnen eine Gestalt zu geben? Ich auf jeden Fall denke, dass Science Fiction eine unterschätzte und daher förderungswürdige Kunstform ist, die mehr Beachtung und Anerkennung verdient.