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Politik

Sogar Washington braucht Freunde

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Die Erkenntnis des Jahres: Geheimdienste spionieren nicht nur auf der Leinwand. Der US-Geheimdienst soll die Telefongespräche von 35 Spitzenpolitikern mitgehört haben. Nun stellt sich die Frage, wer überhaupt noch sicher ist… (Foto: dpa)

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Wenn es wirklich stimmen sollte, dass Washington die Handy-Gespräche zahlreicher ausländischer Politiker mitgehört hat, wäre dies aus Sicht der deutschen Öffentlichkeit ein Skandal von enormem Ausmaß.

Darüber hinaus muss man sich die Dimensionen vergegenwärtigen: Wenn es einer fremden Macht gelingt, das Telefon eines namhaften Regierungsmitglieds zu manipulieren, wie einfach müsste es dann – gesetzt, es bestünde ein entsprechendes Interesse – sein, dies mit Ihrem oder meinem zu tun?

Die Reaktion der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zeigt, dass die Abhöraffäre kein Thema ist, von dem aus man in Kürze wieder zur Tagesordnung übergehen wird.

Ihre anfängliche Reaktion – wahrscheinlich wartete sie erst mal auf eine Bestätigung – war noch sehr gedämpft. In einem Land, in dem politische Stabilität auf der Tagesordnung steht (und deshalb darüber nachgedacht wird, eine weitere Große Koalition zu bilden, in der rechte und linke Mitte ihre Kräfte bündeln werden, um diese zu garantieren), spricht ihre ungewohnt scharfe Formulierung Bände: Die deutsche Kanzlerin ist, um es gelinde auszudrücken, verärgert.

Noch wissen wir nicht, ob diese Tatsachen tatsächlich aktuell sind oder ob es wahr ist, dass die Behauptungen bis zum Jahr 2006 (jüngsten Meldungen zufolge sogar bis 2002) zurückgehen. Lassen Sie mich für den Zweck dieser Kolumne annehmen, dass etwas Gewichtiges schiefgelaufen ist.

Es ist nicht der erste Vorfall in diesem Jahr, der im Zusammenhang mit Abhöraktivitäten des US-Geheimdienstes NSA steht. Es gab Gerüchte, die später teils bestätigt wurden und teils geleugnet wurden, dass sogar eine hochrangige türkische Delegation bei einem Besuch im Vereinigten Königreich anvisiert worden sein soll.

Entsprechend sollte man Schadenfreude unterlassen, ruhig bleiben und verstehen, dass es offensichtlich überall passieren könnte.

Webseiten zeigen, wie man erfolgreich Telefongespräche abhören kann

Meine eigene technische Erfahrung über das Abhören von Handys aus tausend Meilen Entfernung sind sehr beschränkt, aber eine Online-Recherche enthüllte unzählige Webseiten, die „Ratschläge” zu diesem Thema anbieten – somit bin ich mir ziemlich sicher, dass die Weltmacht USA das erforderliche Know-How hat, um eine Wanze von ihrem Hauptsitz aus – oder, wie jüngst geschlagzeilt wurde, von ihrem Botschaftsgelände – installieren können.

Diese Information an sich ist natürlich nichts neues. Was allerdings für Schlagzeilen und Irritationen sorgt, ist die auf gewichtige Anhaltspunkte gestützte Annahme, dass mindestens eine Supermacht zeitgleich nicht nur die Feinde abhört, sondern auch die engsten Unterstützer!

Ohne damit ausdrücken zu wollen, dass ich stattdessen das Benutzen von durchgesickerten Geheimdokumenten für angemessen oder legal halten würde, aber um Klarheit zu schaffen, lassen Sie mich noch einmal auf eines hinweisen: Nach den Aussagen Julian Assanges und Edward Snowdens ist der Welt viel bewusster geworden, was Diplomaten und gewählte Amtsträger hinter geschlossenen Türen besprechen und wie sie zu anderen Ländern stehen.

Die Weltöffentlichkeit ist skeptischer gegenüber den Äußerungen von Politikern oder Diplomaten, wonach ihre Länder beste Freunde mit diesem oder einer anderen, fremden Nation wären, da man sich nicht sicher sein, dass womöglich gehandelt wird, als träfe das komplette Gegenteil zu. Und der Begriff „Amtsverschwiegenheit“ gehört umso mehr auf den Prüfstand, als Außenstehende offenbar sehr einfach alles kopieren, nutzen oder schlichtweg belauschen können, was Sie sagen oder schreiben…

„Auch Washington braucht Freunde”

Es gibt jedenfalls einen großen Unterschied zwischen dem Überwachen einzelner verdächtiger Personen, die in terrorbezogene Aktivitäten verwickelt sind, und dem Überwachen privater Konservationen der Bürger. Es muss klare Richtlinien geben über das, was geduldet werden kann und was nicht. Länder, die für die Ausdrucksfreiheit und individuelle Privatsphäre werben, sollten nicht gesetzwidrig jedes Handy, einschließlich der im Ausland demokratisch gewählten Politiker, belauschen. So etwas könnte man von Ländern mit lückenhafter Demokratie erwarten, aber diese Vorwürfe sollten sich nicht mit Blick auf Washington als wahr erweisen.

Berlin und auch Paris (das wiederum nun auch selbst im Verdacht steht, den USA bei internationalen Spionageaktivitäten geholfen zu haben) möchten Antworten über das, was wirklich passiert ist und ob die Vorwürfe stimmen. Und darüber, wie man die Wiederholung eines solchen Szenarios vermeiden kann. Merkel drückte sich in Brüssel deutlich aus, dass (sogar) „Washington Freunde braucht” (ARD, 25.10.2013).

Was man zwischen den Zeilen lesen kann: Ein sehr starker Sturm nähert sich den sonst sehr ruhigen transatlantischen Beziehungen.