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Politik

Clinton, Erdoğan, Piëch und andere: Die unkontrollierte Macht von Dynastien in Politik und Wirtschaft

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Mächtige Dynastien und Familien haben in Politik und Wirtschaft oftmals Macht und Einfluss in einem Ausmaß angehäuft, das die Gefahr von Korruption erhöht. Eine Herausforderung für die Demokratie über nationale Grenzen hinweg. (Foto: dpa)

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Lange wurde darüber spekuliert – vergangene Woche machte sie es offiziell: Die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton will die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Die Frau des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton gilt aktuell als die aussichtsreichste Kandidatin der Demokraten für die Nachfolge von Barack Obama. Als Kontrahenten könnte die Republikanische Partei erneut einen Bush ins Rennen schicken: John „Jeb“ Bush – Sohn des ehemaligen US-Präsidenten George H. W. Bush und Bruder des ehemaligen Präsidenten George W. Bush. Der US-Wahlkampf im nächsten Jahr könnte zu einem Showdown der zwei mächtigsten Familien der vergangenen 30 Jahre werden. Nach fünf der letzten sieben Wahlen zog ein Bush oder ein Clinton als Gewinner ins Weiße Haus ein – der bzw. die nächste klopft bereits an der Tür.

Man mag sich wundern, wie sich in einem Land, das seine Unabhängigkeit von einer Erbmonarchie blutig erkämpft hat und in der die Leistungen eines Individuums das Zentrum der Gesellschaftsphilosophie darstellen, politische Dynastien derart haben etablieren können. In dieser Hinsicht sind die USA jedoch keineswegs eine Ausnahme. Obwohl die Abschaffung des Adels und die Entmachtung politischer Dynastien einen immanenten Bestandteil der modernen Welt darstellen, sind heutzutage politisch und wirtschaftlich mächtige Familien keine Seltenheit. Die Clintons und die Bushs sind also keine Ausnahmen.

Auch in Europa und Asien sind einige politische Dynastien überaus mächtig

Die Familien Hatoyama und Sato-Abe in Japan, die Gandhis in Indien und die Bhuttos in Pakistan sind weitere Dynastien, aus denen mehrere Staats- und Regierungschef hervorgingen. Auch in Europa sind politische Dynastien keine Fremderscheinung. So ist jeder zehnte Abgeordnete des britischen Parlaments verwandt mit einem ehemaligen Abgeordneten. Ségolène Royal, die ehemalige Frau des französischen Präsidenten François Hollande, war 2007 die Präsidentschaftskandidatin der Sozialistischen Partei.

Die Familie Le Pens führt über zwei Generationen hinweg Frankreichs rechtspopulistischen Front National an. Der belgische Premier Charles Michel ist der Sohn des ehemaligen belgischen Außenministers und EU-Kommissars Louis Michel. Mitglieder der Familien Papandreou und Karamanlis bekleideten regelmäßig hohe Posten in der griechischen Politik nach dem Zweiten Weltkrieg.

Auch in der modernen Wirtschaftswelt haben Familien einen einflussreichen Stellenwert und herrschen über regelrechte Imperien, deren Umsätze viele Staaten vor Neid erblassen lassen. Die britische Wochenzeitschrift The Economist richtet in der aktuellen Ausgabe ihren Fokus auf die fortwährende Macht von Familien in Politik und Wirtschaft. Mehr als 90% der Unternehmen weltweit würden geführt oder kontrolliert von Familien. Dies gilt insbesondere für klein- und mittelständische Unternehmen, aber auch für Großunternehmen. Die Boston Consulting Group schätzt, dass über einen Drittel der Konzerne in Deutschland, Frankreich und den USA, die mehr als eine Milliarde Euro Jahresumsatz machen, von Familien dominiert werden. Hierzu zählen Konzerne wie News Corp (Murdoch Familie), Volkswagen (Familien Piëch und Porsche), Rothschild Group (Familie Rothschild), Ford Motors (Familie Ford), Mars Schokoladen (Familie Mars) oder Samsung Electronics (Familie Lee Byung-chul) aus Südkorea.

Auch Konzernmehrheiten bleiben oft innerhalb der Familien

Familien haben einen größeren Einfluss auf Deutschlands Konzerne als gemeinhin angenommen. Der Einfluss der Familien Piëch und Porsche bei Volkswagen ist nicht zuletzt aufgrund ihrer öffentlich geführten Auseinandersetzung im VW-Aufsichtsrat bekannt. Jeder weiß auch um die existenzielle Bedeutung des deutschen Mittelstandes für die deutsche Wirtschaft. Doch dass bei elf der 30 größten deutschen börsennotierten Konzerne Familien so mächtig sind, dass sie auf den Hauptversammlungen so ziemlich alles durchsetzen könnten, ist eher unbekannt. Beim Pharma-Konzern Merck hat die gleichnamige Familie uneingeschränkten Einfluss. Gegen den Willen der Familie Quandt kann bei BMW keine Entscheidung durchgesetzt werden. Bei den Unternehmen Henkel, Beiersdorf und Continental sieht es nicht anders aus. Die Konzerne Adidas und Puma wurden von den Brüdern Adolf und Rudolf Dassler gegründet.

Solch eine Macht von Familien in Politik und Wirtschaft hätte die Begründer der modernen wirtschaftlichen und politischen Theorien mehr als überrascht. Politische Dynastien sollten mit der Einführung von allgemeinen und gleichen Wahlen verschwinden und Familienunternehmen gegenüber aktionärsgestützten Konzernen an Boden verloren.

Aber in der Praxis kam es anders, denn viele Vorteile von Familienstrukturen haben sich überraschend als nachhaltig und effektiv erwiesen. Namen politischer Dynastien scheinen bei Wählern einen willkommenen Wiedererkennungswert auszulösen und außerdem profitieren die Sprösslinge von dem einflussreichen politischen Netzwerk ihrer Verwandten. Familienunternehmen sind flexibler und können sich auf ihren nachhaltigen und langfristigen Erfolg fokussieren und sind nicht abhängig von den kurzfristigen Rendite-Erwartungen profithungriger Anteilseigner. Im Vergleich an der Börse schneiden familiendominierte Dax-Konzerne deutlich besser ab als der deutsche Leitindex. Laut einem Artikel der Welt haben die Aktien von VW, Henkel & Co jährlich ein Prozentpunkt mehr Gewinn gemacht.

Konzentration von Macht und Reichtum

Doch politische und wirtschaftliche Macht konzentriert in den Händen von Familien stellen gewaltige Probleme dar, denn sie fordern den Grundsatz der Gleichheit aller Menschen, auf dem moderne Demokratien fußen, fundamental heraus. Natürlich steht es jedem Individuum zu, die Früchte der harten Arbeit auch und insbesondere als Familie zu genießen. Der Schutz des Eigentums ist wichtig. Gleichwohl sollten und müssen Macht, Erfolg und Reichtum entsprechend der individuellen Leistungen, Talente und Fleiß verteilt werden und nicht per Geburt oder nach Familiennamen. Eine Gesellschaft mit exakt identischen Ausgangsbedingungen für alle Menschen zu erwarten ist utopisch.

Dennoch ist es beunruhigend, wenn nach Schätzungen der New York Times der Sohn eines Gouverneurs eine 6000-fach höhere Wahrscheinlichkeit hat, selber Gouverneur zu werden bzw. der Sohn eines Senators 8500-mal eher Senator werden könnte. Die Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen weniger wirft Fragen nach Legitimität auf.

Besonders perfide wird die Existenz derartiger Familienstrukturen, wenn Politik und Wirtschaft sich in einem exklusiven Nexus von Geld und Einfluss überschneiden. Die von Bill Clinton gegründete Clinton-Stiftung erhält jährlich Spenden in Millionenhöhe von all möglichen Personen, Unternehmen und Regierungen, von denen ein beachtlicher Teil sich gewiss einen gewissen Einfluss auf die potentiell künftige Präsidentin erhofft. In Erklärungsnot sind die Clintons jüngst aufgrund einer Spende von über zwei Millionen Dollar, welche in Zusammenhang mit dem Übernahme-Deal eines kanadischen Atomkonzerns durch das russische RosAtom stehen soll.

Dass Politiker ihre staatlichen Kompetenzen und Beziehungen für den Dienst ihrer Familie missbrauchen, ist keine Seltenheit. So sorgt die Familie des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der selber ursprünglich aus einer einfachen Seemannsfamilie stammt, für Aufsehen. Sein ältester Sohn Burak Erdoğan, der 2007 ein maritimes Transportunternehmen gründete, besitzt mittlerweile eine Flotte mit mehreren Frachtern und Schiffen, oder wie der türkische Präsident diese zu nennen bevorzugt, „Schiffchen“ („gemicik“). Für regelmäßige Furore sorgen auch Spenden an die TÜRGEV-Stiftung, in dessen Vorstand der jüngere Sohn des Präsidenten, Bilal Erdoğan, sitzt. So soll einem Mitglied der saudischen Königsfamilie die Baugenehmigung für ein Grundstück unmittelbar am Bosporus im Gegenzug für eine Spende in Höhe von 100 Millionen Dollar an die TÜRGEV-Stiftung erteilt worden sein. Regierungssprecher Bülent Arınç hatte den Eingang dieser Summe bestätigt. Der Schwiegersohn von Erdoğan, Berat Albayrak, ist CEO des milliardenschweren Çalık-Konzerns, welcher regelmäßig Staatsaufträge im Energie-, Telekommunikations- und Bausektor erhält.

Wer schützt uns vor Vetternwirtschaft?

Der Schlüssel für eine stabile Wirtschaft ist der gesunde Wettbewerb. In einem offenen System von freien Märkten, welche von einem Rechtsstaat und einer freien Presse kontrolliert werden, ist das Risiko der Vetternwirtschaft überschaubar, so The Economist. Die politische und wirtschaftliche Macht von Familien hat sich dem Wettbewerb und der Kontrolle zu unterstellen – genauso wie jede andere Form von Macht.