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Gesellschaft

Erdoğans gefährliches Spiel mit politischen Gegnern – und religiösen Minderheiten?

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Präsident Erdoğan hat Glückwünsche anlässlich des Chanukkafestes an die jüdische Gemeinde gerichtet. Dieser ist aber derzeit wenig zum Feiern zumute. In den letzten Wochen und Monaten sollen sich Übergriffe und Drohungen gehäuft haben.

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Eine jüdische Hochzeit in Istanbul.
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In der Türkei leben seit Jahrhunderten verschiedene Ethnien und religiöse Minderheiten zusammen. Das Osmanische Reich zeichnete sich über Jahrhunderte hinweg durch eine tolerante Politik gegenüber den Minderheiten aus. Bedingt durch den Niedergang und nationalistischen Bestrebungen in den einzelnen Provinzen gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts Schwierigkeiten, die sich auch auf die Türkische Republik erstreckten.

Die Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, AKP) bemühte sich in den vergangenen Jahren um eine Öffnung gegenüber den Minderheiten. Auch zivilgesellschaftliche Bewegungen wie die Hizmet-Bewegung, die einen großen Wert auf das Miteinander und den Dialog mit den Minderheiten legt, sorgten mit ihrem Engagement für eine friedliche Atmosphäre im Land.

Das derzeit vergiftete Klima zwischen der AKP und der Hizmet-Bewegung könnte nun einer der Minderheiten zum Verhängnis werden: der jüdischen Gemeinde in der Türkei.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan deutete im Zusammenhang mit der jüngsten Festnahmewelle und der angeblichen Verschwörertätigkeit von Fethullah Gülen und der Hizmet-Bewegung an, dass dahinter ein „Land im Süden“ stecke – gemeint könne nur Israel sein, meint Christiane Schlötzer von der Süddeutschen Zeitung. Damit schaffe er neue Feindbilder.

Festtagswünsche für Chanukka

Nach innen gerichtet sind diese jedoch nicht. Am Dienstag übermittelte der türkische Präsident aus Anlass des Beginns der Festtagswoche der jüdischen Gemeinschaft in der Türkei seine Festtagswünsche für Chanukka. In einer schriftlichen Erklärung wünschte Erdoğan den türkischen Juden Ruhe, Frieden, Glück und Gesundheit für die Festtage.

„Ich richte meine herzlichsten Chanukka-Grüße an unsere jüdischen Bürger“, hieß es in der Mitteilung. „Wir sehen, dass die Vielfalt in unseren sozialen, kulturellen und menschlichen Strukturen der größte Reichtum ist, der die Türkei zu dem gemacht hat, was sie heute ist, dass sie unsere Einheit und Gemeinsamkeit, unsere Solidarität und unseren Dialog wiederbelebt hat.“

Erdoğan betonte, die Türkei würde sorgsam ihr reiches kulturelles und historisches Erbe bewahren, während er unterstrich, dass die türkischen Juden „die fundamentalen Elemente der Türkei“ seien.

Im alltäglichen Leben ist für viele türkische Juden von diesem Idealbild jedoch wenig zu bemerken. In der in Istanbul erscheinenden jüdischen Zeitung „Şalom“ schreibt der bekannte, aus der Gemeinde stammende Geschäftsmann Mois Gabay, dass zahlreiche türkische Juden nach verstärkten Drohungen und Übergriffen das Land verließen.

Er vergleicht die Situation sogar mit jener der Armenier und des aus ihrer Gemeinde stammenden und im Jahre 2007 ermordeten Schriftstellers Hrant Dink. „Wir erleben tagtäglich Drohungen, Übergriffe, Belästigungen“, schildert Gabay. „Muss erst ein ‚Hrant Dink unter uns‘ erschossen werden, damit die Regierung, die Opposition, unsere Zivilgesellschaft, unsere Nachbarn und die Juristen es sehen?“

Studenten aus der jüdischen Gemeinde zieht es ins Ausland

Gabay, der selbst in der Tourismusindustrie tätig ist, fügte hinzu, dass eine immer größere Anzahl türkischer Juden plane, mit ihren Familien ins Ausland zu ziehen, weil sie in der Türkei selbst Unsicherheit und Druck erlebten.

„Etwa 37 Prozent der Mittelschulabsolventen aus der jüdischen Gemeinde in der Türkei entscheidet sich für den Weg ins Ausland, um höhere Schulen zu besuchen… ihre Zahl hat sich im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren verdoppelt“, schrieb Gabay weiter.

Aber nicht nur Studenten, auch Geschäftsleute hätten vermehrt damit begonnen, über ein Leben im Ausland nachzudenken. „In der Vorwoche sprach ich zu unterschiedlichen Gelegenheiten mit zwei meiner Freunde, und immer wieder kam das Gespräch auf mögliche andere Länder, in die man gehen könnte. Dies deutet darauf hin, dass in meiner Generation mehr über eine Auswanderung nachdenken“, hieß es weiter in dem Beitrag.

Gabays Kolumne erschien unter dem Eindruck wenige Tage zuvor bekannt gewordener Schmierereien auf der Neve Shalom Synagoge in Istanbuls Bezirk Beyoğlu. Bereits in den Jahren 1986, 1992 und 2003 waren Anschläge mit Sprengkörpern auf das Gotteshaus erfolgt. Vor zwei Wochen wurde ein Schild mit der Aufschrift „Zum Abriss freigegeben“ am Eingang der Synagoge deponiert. Einige Tage später versuchten Mitglieder der ultranationalistischen Alperen Ocakları, mit einem Protestmarsch zur Synagoge vorzudringen.

„Muss es erst einen jüdischen Hrant Dink geben?“

In einem kürzlich gegebenen Interview mit der Zeitung „Radikal“ hatte Mois Gabay gesagt, die Gesetzesänderungen und die Verankerung von Hassverbrechen im türkischen Strafgesetzbuch würden nicht ausreichen, um die jüdische Gemeinde in der Türkei zu schützen.

„Die Gesetze wurden geändert, ja. Hassrede ist jetzt ein Verbrechen. Aber wann hat es je eine Anklage wegen eines Hassverbrechens gegen unsere Gemeinde gegeben? Die Regierung ist dafür sicher nicht allein verantwortlich. Die Opposition, die Zivilgesellschaft, die Gewerkschaften und die demokratische Öffentlichkeit sollten auch ein Schutzschild für uns sein und solche Vorfälle registrieren. Warten sie darauf, bis auch ein Hrant unter uns erschossen wird?“, fragt Gabay und weist darauf hin, dass die Zahl der täglichen Drohungen immer höher geworden wäre, seit die sozialen Medien sich auch in der Türkei verbreitet hätten.

Am 21. November hatte Dursun Ali Şahin, der Gouverneur der nordwesttürkischen Provinz Edirne, einen Aufschrei in der Öffentlichkeit ausgelöst, nachdem er vorgeschlagen hatte, die Türkei könnte – als Reaktion auf das jüngste Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte an der Al-Aqsa-Moschee – die Große Synagoge (Büyük Sinagog) in ein Museum umwandeln. Şahin entschuldigte sich später beim türkischen Oberrabbiner für diese Formulierung und betonte, sein Vorschlag habe „nichts mit der jüdischen Gemeinde des Landes zu tun“.