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Film/Kultur/Religion

Kazım Akboğa war doch nicht alles egal

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Kazım Akboğa ist tot. Sein viraler Hit „Is‘ mir egal“ und sein Werbevideo für die Berliner Verkehrsbetriebe BVG machten ihn zu einem Internetphänomen, das Millionen Leuten ein Lachen auf die Lippen zauberte. In Akboğa selbst sah es jedoch bedeutend düsterer aus: Der 34-Jährige litt unter Depressionen und hat sich nun das Leben genommen, wie seine Managerin May-Brit Stabel bekanntgab. Auf Facebook dankte sie im Namen der Familie für die Anteilnahme und vielen Beileidsbekundungen. Sie bat darum, mit Rücksicht auf die Familie „[v]on jeglichen Diskussionen zu Kommentaren oder den Umständen (…) Abstand zu nehmen“.

Im Interview mit DTJ offenbarte Kazım Akboğa bereits vor etwas mehr als einem Jahr auch seine ernste Seite und sprach über den Druck, dem er sich in unserer Gesellschaft und Arbeitswelt ausgesetzt fühlte. Wir veröffentlichen es hier erneut in Erinnerung an einen kreativen, sensiblen und nachdenklichen Künstler, der leider viel zu früh von uns gegangen ist.

Ruhe in Frieden, Kazım abi. Mekanın cennet olsun.


Kazım abi, stell dich doch einfach mal vor!

Ich bin Kazım Akboğa. Bin der „is‘ mir egal-Typ“. Ich bin 33 Jahre alt und seit zwei Jahren in Berlin. Aufgewachsen bin ich in Bayern.

Wie bist Du auf deine Videos gekommen?

Ich war Werbetexter vor alldem hier. Wir haben immer Nachtschichten geschoben, die ganze Zeit. Ich war in einer der größten Agenturen tätig. Ich hatte irgendwann die Schnauze voll und habe aufgehört. Ich habe einfach „is‘ mir egal“ gesagt und bin dann gegangen.

Warum?

Ja, ich war einfach überfordert. Wir waren früh bis spät in der Agentur. Ständig mussten wir Ideen produzieren und umsetzen. Die Werbebranche kann eine schwere Arbeit sein. Irgendwann hab ich dann gesagt: „Jungs, das ist mir alles zu blöd. Ich gehe nach hause“.

Wie ist dieser Song entstanden?

Das war eigentlich direkt nachdem ich mit meinem Job aufgehört habe. Direkt am nächsten Tag. Weißt du, durch diese Verzweiflung war der Song eine Art Befreiungsschlag. Klar habe ich wie jeder andere auch Existenzängste. Ich auch, auch wenn ich immer so tue als, wäre mir alles egal. Ich sag mal so: Wenn es mich nicht belastet hätte, dann hätte ich nicht diesen Song gemacht. Ich habe einfach diesen Druck gespürt, hatte das Gefühl, dass ich erdrückt werde. Dieses ganze materialistische System und diese harte Arbeit für nichts waren mir einfach egal geworden.

Was genau war denn dieser Druck? Meinst du damit, dass wir alle Opfer des Systems sind? Wir stehen morgens auf, rackern uns den Rücken krumm und am Ende haben wir wieder nichts in der Hand?

Klar gibt es auch Jobs, die man mag, bei denen man sich Tag und Nacht mit seiner Arbeit beschäftigt. Aber wenn du das Gefühl hast, dass man ausgebeutet wird und es einem keiner dankt… Es ist einfach ungerecht. Diese Ungerechtigkeit ist einfach unerträglich. Klar, es gehört zum Leben dazu, arbeiten zu gehen. Heutzutage sind ja immer Oberflächlichkeiten im Vordergrund. Diese ganzen materialistischen Dinge und so weiter. Auf diese Dinge scheiße ich. Du hast ja meine Wohnung gesehen. Eine kleine Wohnung, Klamotten und so weiter. Darauf achte ich nicht so besonders und lege keinen Wert darauf.

Ich habe auch das Gefühl, dass die Gesellschaft immer materialistischer wird, beispielsweise die Jugend von heute. Wir leben im Zeitalter des Internets und viele junge Menschen definieren ihren gesellschaftlichen Status und ihr Selbstwertgefühl anhand von Likes und Klicks. Wir vermitteln den Menschen beispielsweise durch die Werbe- und Filmindustrie vollkommen falsche Werte. Wir war es bei dir als du jünger warst?

Ich war nie ein Typ, der sich für Autos und so weiter interessiert hat. Solche Dinge haben mich auch in meiner Jugend nicht interessiert. Mir war immer vollkommen unwichtig, wie mich andere wahrnehmen. Klar, man entwickelt sich auch irgendwo weiter. Ich habe auch Zeiten gehabt, in denen ich mir sagte, man muss auch die Ziele verfolgen, die die Gesellschaft dir auferlegt. Solche Phasen hatte ich auch. Ich bin generell immer dagegen gewesen, sich knechten zu lassen. Aber ja, es geht halt manchmal nicht anders, ich habe ja gut reden, ich muss keine Familie versorgen oder so. Bewusste Entscheidungen habe ich eigentlich selten in meinem Leben getroffen, um mich selber zu entfalten. Das ist anscheinend immer mehr im Laufe der Zeit in mir gewachsen. Irgendwann ist das dann sozusagen in mir geplatzt. Ich habe oft in den Tag hineingelebt und habe einfach versucht, das Beste daraus zu machen.

Als du diesen Song gemacht hast, fanden ihn viele lustig; ich habe aber auch mit Menschen darüber geredet, die mir gesagt haben, dass sie sich mit diesem Song identifizieren. Sie sagten mir: Der Song ist an sich sinnlos, aber dennoch reflektiert er in gewisser Weise mein Inneres. Ich glaube, dass die Menschen sich oft innerlich selbst Mauern aufbauen und in ein Gefängnis einsperren. Wie erklärst du dir die dieses Phänomen?

Ich möchte natürlich niemandem seine Lebensweise vorwerfen. Ich bin nicht der Richter der Welt. Das ist meine Einstellung und du musst versuchen, das Beste in diesem System zu machen. Ich bin jetzt kein Staatsrebell. Was ich schreibe oder mache ist ja im Grunde passiv. Ich bin nicht unbedingt ein Mensch, der auf die Barrikaden geht und an Demos teilnimmt. Das, was ich tue, mache gedanklich für mich, für meine Selbstentfaltung. Es ist schön, dass sich viele damit identifizieren. Es wurde viel verallgemeinert, dass mir alles egal wäre etc. So war es eigentlich nicht gedacht. Es war halt gegen dieses materialistische System, dieses Oberflächliche. Nach dem Motto: „Ich habe das neue Handy“ – „Ich fahre einen fetten Benz“. Ich wollte das ankreiden! Natürlich war es auch lustig gemeint, sonst wären ja auch keine Passagen drin wie die mit Steven Seagal. Das fällt unter die Kategorie künstlerische Freiheit. Ich mag Surrealismus. Man kann lustig sein und gleichzeitig surreal.

Der Mensch ist halt vielfältig.

Ja, manchmal sind wir Prolet, manchmal sind wir nachdenklich, manchmal lesen wir Jean-Paul Sartre und manchmal hören wir uns einen Haftbefehl-Track an, weil uns der Stil und die Musik gefallen. Das ist alles legitim. Man muss sich nicht für eine Route entscheiden. Als Künstler fühle ich mich wie ein Filter, der diese ganzen Dinge wahrnimmt und am Ende gebe ich das alles auf meine Art und Weise wieder. Es ist nicht so bewusst wie die Leute denken. „Ok ich überleg mir jetzt was und hoffe dass es ein Hit wird.“ Da kommt etwas und wenn es funktioniert, dann funktioniert es. Und wenn es nicht funktioniert, dann funktioniert es eben nicht. So ist es eher. Das ist halt meine Form, meine Emotionen zu gestalten. Da ich auch privat ein humorvoller Mensch bin. Wenn viele sich damit identifizieren oder ich einen Zeitgeist getroffen habe, dann, weil ich auch in dieser Welt lebe und die gleichen Einflüsse habe, wie du und alle anderen. Die Dinge müssen nicht immer einen tieferen Sinn haben. Wer sagt, dass die Dinge, die wir tun, unbedingt einen Sinn haben müssen? Das ist Quatsch! Das ist Spielen. Das ist für mich Kunst und Kreativität.

Wie ist es mit dem Erfolg? Du hast ja mit der BVG ein Werbevideo gedreht. Das ist eingeschlagen wie eine Bombe.

Ich bin jetzt grad etwas verkopft geworden. Jetzt bin ich so: Ok, ich muss was finden. Leider, muss ich sagen. Ok, ist auch irgendwo cool, aber ist halt etwas anders geworden.

Ich verstehe, allein auf dem Weg hierhin haben dich gefühlt fünf Leute um ein Selfie gebeten. Aber eventuell kann auch das als eine Inspiration für neue Ideen nützlich sein?

Ja klar, ist es auch manchmal.

Du hast mal auf deinem Facebook-Profil geschrieben, dass du deine Existenzängste heute besser im Griff hast. Angst ist ja bekanntlich kein guter Ratgeber.

Sie sind nicht so viel weniger geworden. Man darf meine Aussagen natürlich nicht immer so absolut sehen. Auch ich bin ein Mensch und befinde mich permanent in einer Entwicklungsphase. Es kann auch sein, dass ich mich ändere oder mit den Songs in zwei Jahren gar nichts mehr anfangen kann. Es kann alles passieren. Es ist ja nicht so, dass ich jetzt etwas gemacht habe und dann mein Leben lang ein gleichgültiger Mensch bin. Als Mensch verändert man sich halt im Laufe seines Lebens. Ich denke ich habe diese Ängste akzeptiert – einfach akzeptiert. Ich habe sie auch als Motor für das Schaffen erkannt. Du wirst manchmal sehr kreativ, wenn du diese Ängste hast, dann hilft das ja auch irgendwie weiter. Es eine Therapie für einen selbst, weiß du was ich meine?

Und Inspirationen?

Ich gehe in die verschiedensten Kunstausstellungen und lese Bücher. Ich höre aber auch gern Gangster-Rap. Ich bin halt offen für alles und versuche das in der Waage zu halten. Ich denke, dass Rap als Kunstform sehr unterschätzt wird, weil die Inhalte nicht immer das reflektieren, was sie reflektieren sollen. Es ist deshalb manchmal oberflächlich. Aber die alten Hip-Hop-Tracks von früher, die ich auch in meiner Jugend gehört habe, sind nicht so. Die waren besser. Ich gucke sehr gerne Filme und mag es, mich einfach zurückzulehnen und die Kunst des Films zu beobachten, die Schauspielerei und Kameraführung beispielsweise.

Kazım abi, wenn ich dich jetzt so sehe und mit dir rede, wünschte ich mir, ich hätte dieses Gespräch auf Video aufgenommen und später Online gestellt. Denn du bist ganz anders als in deinen Videos. Das wird die Leser und Leserinnen vielleicht schockieren. Vielleicht werden das nicht viele glauben, aber Du sprichst perfekt Deutsch, kannst sehr gut Englisch und Türkisch, du kannst sogar verständlich Spanisch sprechen und befasst dich mit tiefgründigen Werken wie denen von Jean-Paul Sartre. Man hat ein vollkommen falsches Bild von dir. Du bist ein ganz anderer Mensch.

Es sind halt Kunstfiguren, die ich verkörpere. Deswegen mache ich jetzt öfters auch Interviews und versuche dabei normal zu sein, so wie ich bin. Ich versuche das jetzt mehr in den Vordergrund zu rücken. Aber es hat ja auch irgendwo seine Berechtigung. Man muss sich ja hin und wieder verstellen, das ist ja irgendwo auch Kunst. Das ist auch eine Art Spielplatz für mich. Wenn ich aber irgendwann genervt bin, weil mich die Leute falsch wahrnehmen, dann mach ich irgendwann ein Video, in dem ich meine seriöse Seite zeige. Ich bin manchmal auch selbst darüber schockiert, wie schockiert andere darüber sind. Ich meine, das ist doch überall so, dass die Leute sich verstellen, das sehen wir doch jeden Tag im Fernsehen. Keine Ahnung, aber vielleicht mach ich das so gut oder so authentisch, dass die Leute wirklich glauben, ich bin das in Wirklichkeit. Ich wollte das bis zum heutigen Tag auch nicht glauben. Ich sagte mir: „Hey, ich rede in diesem Slang, die Leute müssen das doch checken. Ich benutze doch intellektuelle Begriffe, checken die das echt nicht? Ich meine, sagen die sich nicht, wenn jemand so ein Vokabular hat, kann der doch nicht dämlich sein?!“ (lacht)

Vielleicht solltest du mal ein komplettes Video machen, in dem du deine ernste Seite zeigst.

Das Ding ist ja, dass ich ein Typ bin, der versucht, das doch irgendwo zu kalkulieren. Ich meine, ich muss ja auch irgendwo geheimnisvoll bleiben. Wenn ich jetzt alles preisgebe, hat es ja für mich und die Leute, die mir folgen, keinen Reiz mehr. Und da bin ich grad so in der Schwebe. Ich versuche das so handzuhaben, dass ich in schriftlichen Gesprächen seriös bleibe. Und bei Dingen, bei denen ich mal Faxen machen kann, mache ich halt Faxen. Wenn ich bei DSDS bin, bringt es halt nichts, wenn ich den Intellektuellen bringe. Das schneiden die sowieso raus, das ist langweilig für die.

Hast du ein Vorbild?

Nicht unbedingt. Ich habe nie richtig verstanden, warum man einen Menschen so glorifiziert. Diese Selfies, Autogramme und so weiter… Ich war nie so ein Mensch. Man kann jetzt sagen: „Ok, er macht coole Sachen und ich respektiere das, aber deswegen werde ich ihm nicht gleich hinterherrennen.“ Von der Arbeit her finde ich Jan Böhmermann ganz cool. Ich denke, man muss seinen eigenen Stil finden. Man muss keine Erwartungshaltungen erfüllen in Bezug auf seine Arbeit. Ich denke, man sollte auf die Dinge intuitiv reagieren und halt das machen, was man machen möchte. Es führt oft zu guten oder anderen Ergebnissen.

Kazım abi, ein anderes Thema: Was können wir gegen Rassismus tun?

Natürlich bin ich jetzt nicht der Experte und bin nicht sehr engagiert gegen Rassismus. Diese rechte Haltung ist natürlich etwas, das falsch ist und bekämpft werden muss. Das sage ich jetzt nicht, weil ich Ausländer bin und dadurch betroffen, sondern weil ich diese rechte Haltung generell nicht verstehe. Beispielsweise warum man Länder in Grenzen aufteilt oder dieser Stolz, dieser falsche Stolz, dies zu sein oder jenes. Solche Dinge kann ich nicht nachvollziehen. Falscher Stolz ist der Keim des Rassismus. Wenn man alle gleich sieht, dann entsteht so etwas erst gar nicht. Dann kommt es erst gar nicht so weit, dass man sich dem Anderen überlegen fühlt oder sonstwas.

Wenn du allen Menschen in Deutschland etwas sagen könntest, was wäre das?

Is‘ mir egal. (lacht) Nein, Spaß beiseite. Seid nicht oberflächlich, habt keine Vorurteile. Pauschalisiert nicht. Gebt den Menschen Freiheit und Liebe. Bewertet die Menschen nach ihren inneren Werten und akzeptiert sie so, wie sie sind. Seid offen für alles und lasst die Menschen leben, so wie sie leben möchten!

Kazım abi, Danke.

Sehr gerne. War ein nettes und seriöses Gespräch. (lacht)


Das Interview führte Emre Çakır am 15. Dezember 2015 in Berlin.