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Gesellschaft

Protest um Cami-Cemevi-Projekt

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Skepsis und Proteste gegenüber dem Cami-Cemevi-Projekt ist zum Teil verständlich, da es erst einmal die Testphase bestehen muss und Fragen zu klären sind. Es gibt aber keinen Anlass, einen solchen Ansatz im Voraus schlecht zu reden. (Foto: cihan)

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Skepsis und Proteste gegenüber dem Cami-Cemevi-Projekt ist zum Teil verständlich, da es erst einmal die Testphase bestehen muss und Fragen zu klären sind.
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Ich war sehr aufgeregt, als ich zum ersten Mal vom Cami(Moschee)-Cemevi-Projekt hörte, in dem sich Aleviten und Sunniten eine Anlage für Gottesdienste teilen, in der sie in getrennten Räumlichkeiten beten, aber einen Hof und Garten teilen und denselben Ein- und Ausgang benutzen sollen. Die Idee wurde von Fethullah Gülen, dem geistigen Führer der Hizmet-Bewegung, konzipiert. Sein Mitstreiter in diesem Projekt ist die Cem-Stiftung und deren Vorsitzender Izzettin Doğan. Doğan sagte, dass das Angebot von Gülen gemacht wurde und er schlug zusätzlich eine Gemeinschaftsküche in der Anlage vor (aşevi), sodass kein Besucher die Anlage mit leerem Magen betreten müsse. Und so wurde das Projekt letztendlich zu einer Moschee-Cemevi-Gemeinschaftsküche.

Für das Projekt gab es am vergangenen Sonntag eine einmalige Eröffnungszeremonie in Tuzluçayır, einer Ortschaft in Ankara. Tuzluçayır hat einen hohen alevitischen Bevölkerungsanteil. Die Zeremonie traf auf gewalttätige Proteste, die von Polizisten durch zum Teil unverhältnismäßige Gewalt, etwa durch Gummigeschosse und andere Mittel, unterbunden wurden.

Das bahnbrechende Projekt löste jedoch über das gesamte Land hinweg eine lebhafte Debatte aus. Die Aleviten scheinen in dieser Angelegenheit in verschiedenen, getrennten Lagern zu stehen. Einige begrüßen das Projekt, indem sie sagen, die Anlage fördere das Verständnis und die Toleranz zwischen den Aleviten und Sunniten und leiste so einen Beitrag zur rechtlichen Anerkennung der Cemevi in der Türkei. Das andere Lager argwöhnt, dass das Projekt auf die Assimilierung der Aleviten abziele. Diese Form der Abneigung kam nicht nur von einzelnen Mitgliedern der alevitischen Gemeinschaft, sondern auch von einigen alevitischen Organisationen, die eine gemeinsame Protestnote gegen das Projekt veröffentlichten.

Nicht nur Extremisten sind für die derzeitige Stimmung verantwortlich

Um ehrlich zu sein, finde ich diese Situation sehr bedauernswert. Einige Konflikte in der Türkei scheinen so weit zu gehen, dass sogar Versuche, diese zu lösen, von einigen Kreisen der Gesellschaft nicht toleriert werden. Wenn ich mir ansehe, was in Tuzluçayır passiert ist, kann ich weder eine einfache Antwort darauf finden, noch kann ich einen eindeutigen Standpunkt anbieten. Es wäre viel zu einfach, all diese Zwischenfälle als Provokationen extremistischer Organisationen abzutun. Vermutlich leisten diese zweifellos ihren Beitrag zur Gewalt, allerdings erklärt das nicht alles.

Als ich die Bedenken las, die zum Ausdruck kamen, dachte ich, einige von ihnen haben möglicherweise auch eine Grundlage. Einige Aleviten fragen sich, was passieren wird, wenn besondere alevitische und sunnitische Zeremonien und heilige Tage sich decken. Ein alevitischer Funktionär fragte sich, ob die Gemeinschaftsküche auch während des Ramadan weiterhin Essen anbieten würde, wenn sunnitische Muslime fasten; auch, was passieren wird, wenn sich alevitische und sunnitische Zeremonien mit dem Ezan (Gebetsruf) decken – sollen die Zeremonien dann aufhören? Es gibt offenbar wirkliche Probleme und Fragen, die von den Organisatoren dieses Projektes beantwortet werden müssen. Jedoch gibt keine dieser oder ähnlicher Fragen irgendjemandem das Recht, Projekte dieser Art zu behindern oder zu sabotieren.

Einige „Bedenken“ zeigten mir, dass einige Aleviten in einer starren Haltung des „wir gegen den (sunnitischen) Staat“ verharren. Sie sagen zum Beispiel, dass in einem Land, das alevitische Gotteshäuser nicht anerkennt und sehen in der die Gülen-Bewegung selbst den Staat, dies kein aufrichtiges Projekt sein könne. Gerade diese Darstellung lässt allerdings das Faktum völlig außer Betracht, dass dieses Projekt ein großer Schritt hin zur Anerkennung der alevitischen Gotteshäuser ist.

Traumata sitzen noch tief

Ich kann verstehen, dass die Benennung der dritten Brücke über den Bosporus nach Yavuz Sultan Selim (einer Figur, die von Aleviten gefürchtet wird) durch die Regierung Unfähigkeit, einen positiven Schritt auf die Aleviten zu machen, ausdrückt und die Verweigerung der Aufarbeitung von Massakern an Aleviten sowie das Ignorieren alevitischer Beschwerden gegenüber dem Staat und auf gesellschaftlicher Ebene auch einen Widerstand gegen solche positiven Schritte auslösen können. Ich finde es ebenfalls fraglich, ob die ausgesuchte Ortschaft für die Errichtung einer solchen Anlage die richtige ist; die Organisatoren sollten vielleicht die örtlichen Empfindlichkeiten versuchen, besser zu verstehen.

Trotz allem kann ich jedoch nicht aufhören, mir über die Fülle der negativen und zerstörerischen Gefühle, die ich in einigen unserer alevitischen Mitbürger beobachtet habe, Sorgen zu machen, die unter so vielen Traumata durch beide Osmanische Zeitalter und die Republik gelitten haben.

Ich hoffe wirklich, dass die Gülen-Bewegung und die Cem-Stiftung einen Weg finden, um irgendwie die negative Vergangenheit zu überwinden und das nötige Unternehmen um den Projekt zum Erfolg zu verhelfen.