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Gesellschaft

Soziale Medien als Werkzeuge der Ideologie

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Für manche westliche Intellektuelle dürfen Kommunikationsmedien nicht einfach Kommunikationsmedien bleiben, sondern müssen der „gesellschaftlichen Modernisierung“ dienen. Dabei kann diese Ideologie auch komplett nach hinten losgehen. (Foto: rtr)

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Twitter und Facebook Logo nebeneinander
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GASTBEITRAG Erinnern Sie sich noch an den „Arabischen Frühling“ 2011, als etliche Menschen in Nordafrika sozialen Medien wie Twitter für ihren Beitrag zum Erfolg der Umstürze dankten und ein Ägypter seine neugeborene Tochter gar „Facebook“ nannte? Schon 2009 zu Zeiten der Grünen Bewegung im Iran war Twitter als ein neues Instrument für politische Mobilisierung und dezentralisierte Information bekannt geworden. Am Ende diagnostizierten 2011 viele im Zuge eines tatsächlichen Sturzes von Diktatoren, es habe eine „Facebook-Revolution“ in Nordafrika gegeben.

Seither ist viel diskutiert und relativiert worden, denn selbstverständlich lassen sich die Umbrüche 2011 nicht auf die Effekte sozialer Medien reduzieren. Unabhängig davon ist die Euphorie über soziale Medien nach wie vor groß und sie kommt vor allem immer dann zum Tragen, wenn sich Protestgruppen mittels Facebook, YouTube oder Twitter Gehör in einer globalen Öffentlichkeit verschaffen wie im Iran 2009, in Syrien 2012 oder im Gezi-Park 2013. Interessanterweise werden Facebook & Co. weniger euphorisch mit politischem Wandel in Verbindung gebracht, wenn es um westliche Länder geht. Der viel zitierte Satz des Ägypters Wael Ghonim, „Wenn man eine Gesellschaft befreien will, muss man ihr nur Internet geben“, aus dem Jahre 2011 deutet bereits auf einen neuen Technik-Glauben hin, den man hinterfragen sollte.

Nicht alle Mediennutzer sind bloße Nachahmer

Mit Ghonims Argument fallen wir nämlich in die Zeiten der 1950er- und 1960er-Jahre zurück, als die Modernisierungstheoretiker noch davon ausgingen, dass man vermeintlich rückständigen Gesellschaften nur die nötigen technischen Medieninnovationen bereitstellen müsste und schon würden sie die alten Traditionen abschütteln. In seinem berühmten Buch „The passing of traditional society“ beschreibt der US-Soziologe Daniel Lerner 1958 den Vorsteher des damals noch kleinen türkischen Dorfes Balgat bei Ankara, der mit einer patriarchalen Art das einzige Radio im Dorf kontrollierte – und damit auch die Informationen aus der weiten Welt, die den Dorfbewohnern zugänglich werden. Lerner argumentierte, dass, wenn nur alle Zugang zu den massenmedialen Informationen hätten, in den Köpfen der Leute der Wunsch nach den in den Medien dargestellten Lebensweisen entstehen würde. Die Etablierung von Auslandsrundfunksendern durch die Super- und Regionalmächte im Kalten Krieg war demnach auch auf die so entstandene Überzeugung der Entscheidungsträger zurückzuführen, dass Medien starke Effekte auf die Empfänger haben müssten, obwohl diese These kommunikationswissenschaftlich so schon damals nicht mehr zu halten war.

Die US-Regierung unter George W. Bush bediente sich derselben Logik, als sie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 meinte, in der arabischen Welt „Köpfe und Herzen“ durch die Ausstrahlung von US-freundlichen Medienbotschaften gewinnen zu können. Sie installierten neue Rundfunk- und Fernsehsender wie Radio Sawa und al-Hurra TV, um der vermeintlichen Demokratieresistenz der Region und religiöser Radikalisierung etwas entgegenzusetzen – und wurden dafür von Experten und Publikum ausgelacht: Bomben auf Bagdad werfen und dazu Popmusik im Radio spielen, das war in hohem Maße unglaubwürdig. Anders, als Lerner es vermutete, ist das Publikum ja kein leeres Gefäß, in das man einfach eine Botschaft gießt, die dann aufgesaugt wird. Im Gegenteil, das Publikum setzt sich mit jeder Botschaft aktiv vor dem Hintergrund des eigenen Erfahrungshorizonts auseinander.

Und an dieser Stelle kommen die sozialen Medien als Kommunikationsmedien mit per se interaktivem Charakter ins Spiel. Insbesondere durch sie fokussieren wir heute uns nicht nur auf die Medien selbst und die Institutionen, die hinter ihnen stehen, sondern auch darauf, was die Menschen mit diesen Medien machen. Müssen wir also nicht die Möglichkeiten der sozialen Medien ganz anders beurteilen als die von reinen Sende-Organen wie Radio und Fernsehen? Ja und nein.

In anderen Ländern angestrebte Politisierung des Alltags in den eigenen weniger erwünscht

Ja, denn das Publikum ist hier nicht mehr nur Publikum, sondern es wandelt sich in eine Gesamtheit von prod-usern, es ist also zugleich Produzent und Empfänger von Inhalten. Und diese Aneignung des Mediums Internet erfolgt nicht nur vor einem individuellen, sondern natürlich auch vor einem spezifischen gesellschaftlichen Hintergrund. Tatsächlich haben soziale Medien nicht nur bei unterschiedlichen Alters- und Bildungsgruppen, sondern auch in jeder Gesellschaft einen unterschiedlichen Stellenwert. In Ländern, in denen es beispielsweise ein pluralistisches Angebot an Massenmedien gibt, spielt der politische Austausch über soziale Medien häufig eine untergeordnete Rolle, stattdessen werden lieber Bilder von süßen Katzen zu Unterhaltungszwecken gepostet.

Auch die Vorstellung von Privatheit und Öffentlichkeit sind unterschiedlich: Während in Deutschland recht streng getrennt wird zwischen Nachrichten an „Freunde“ und an eine breitere Öffentlichkeit, so wird man in Ägypten häufig sogar von unbekannten Taxifahrern in deren Facebook-Kreis eingeladen, in dem dann politische Bekenntnisse neben Bemerkungen zum Lieblingssong stehen. Mark Zuckerberg, Vorstandsvorsitzender von Facebook, sagte im Zusammenhang mit der 2013 gegründeten Initiative internet.org zur stärkeren Anbindung der Dritten Welt ans Internet: „Wir nutzen hier das Internet, um Nachrichten auszutauschen und mit unseren Freunden Kontakt zu halten, aber dort nutzen es die Menschen, um über ihre Regierungen zu entscheiden oder um zum ersten Mal Zugang zur Gesundheitsvorsorge zu bekommen“.

Regierungen nutzen soziale Medien längst, um Nutzer auszuspähen

Häufig wird bei dem Fokus auf die Selbst-Ermächtigung der Nutzer aber übersehen, dass auch diese Technologie mit der Ideologie der Modernisierung verbunden ist. Wenn Zuckerberg von „hier“ spricht, sind die USA und der Westen gemeint, mit „dort“ die Länder, die wie von Lerner als rückständig wahrgenommen werden und von denen man meint, dass sie in ihrer Entwicklung aufholen müssten. Die Logik ist dieselbe wie vor 50 Jahren: Gib den Menschen die richtigen Technologien und sie werden die Zwänge der alten Zeit abschütteln. Dabei ermöglicht die Technik des Internets auch eine völlig neue Form der Kontrolle und Überwachung. Staatliche Institutionen versuchen nicht nur, mit mehr oder minder überzeugenden Argumentationen erfolgreich bestimmte Inhalte zu sperren. In China wird dafür die zu schützende Harmonie der Gesellschaft als Rechtfertigung angeführt, in Iran oder Saudi-Arabien die Moral, in Deutschland der Jugendschutz, in der Türkei die Privatsphäre. Zudem ist die Überwachung des Verhaltens und der Aussagen von Nutzern durch Geheimdienste und Firmen leichter geworden.

Interessant ist dabei, wie im westlichen Diskurs die Kontrolle des Internets durch autoritäre Staaten problematisiert wird, die eigenen Kontrollmechanismen aber als notwendig und „gut“ dargestellt werden. Die massive Überwachung des Datenverkehrs durch den US-Geheimdienst NSA wird bisher selbst von der betroffenen deutschen Bundesregierung noch als wichtig für die nationale Sicherheit gerechtfertigt. Zwar haben die Aktivisten in Iran 2009 und im „Arabischen Frühling“ 2011 Facebook und Twitter noch überschwänglich gedankt, aber man muss sich doch immer wieder vor Augen führen, dass Technologie nie neutral ist. Auch wenn die Nutzer durch die sozialen Medien im Gegensatz zu einem früher lediglich als Empfänger verstandenen Publikum andere Handlungsmöglichkeiten haben, so sind die Effekte dieser Handlungen doch immer im Kontext des Erlaubten zu sehen. Wenn Zuckerberg davon spricht, dass „dort“ (außerhalb des Westens) Regierungen mit sozialen Medien gestürzt werden können, dann wird zugleich auch angenommen, dass das „hier“ (im Westen) nicht geschieht.

Die Ideologie der Modernisierung, die also auch in der Technologie der sozialen Medien gelesen steckt, bewirkt eine ähnliche mediale Aufrüstung von machtbewussten Regimes in Kooperation mit Firmen in West und Ost wie im Kalten Krieg. Sie wird nur von uns Nutzern weniger als solche bemerkt, weil es uns anders als vor 50 Jahren erlaubt ist, selbst ein wenig mitzuspielen.

Autoreninfo: Carola Richter ist Juniorprofessorin für Internationale Kommunikation an der Freien Universität Berlin. Sie beschäftigt sich vor allem mit Mediensystemen im Nahen Osten.