Kolumnen
Der gläserne Muslim – ist das die Lösung?
Bilkay Öney wurde in der Presse mit der Forderung nach mehr Transparenz seitens der Gülen-Bewegung zitiert. Was meint Sie wohl damit? Andererseits: Warum zeigen sich die Muslime verunsichert? Ein Erklärungsversuch. (Foto: aa)
In welches Jahrhundert würden Sie sich versetzt fühlen, wenn Sie eine Meldung wie die folgende hören? Machen wir die Probe: „Meine Damen und Herren, hier nun die Nachrichten des Tages. Köln. In Köln hat die Polizei gestern eine Razzia in einer Wohnung im Stadtteil Kalk durchgeführt. Dabei wurden drei Personen festgenommen. Sie wurden beim Lesen religiöser Erbauungsliteratur auf frischer Tat ertappt. Es handelt sich dabei um einen Ingenieur, um einen Kaufmann und einen Steuerberater. Bei der Durchsuchung wurden auch Beweismittel wie drei Gebetsteppiche, zwei Gebetsketten sowie eine Koranexegese sichergestellt. Die Festgenommenen werden morgen dem Haftrichter vorgeführt.“
Zugegeben, es klingt für unsere Ohren fremd. Es klingt wie aus einem spannenden Film, nach Science Fiction nach Art von „Fahrenheit 451“, wo die Feuerwehr nicht für die Löschung von Bränden zuständig ist, sondern das Verbrennen von Büchern. Oder nach einem religionsfeindlichen Staat wie Albanien unter Enver Hoxha oder einem anderen der ehemaligen sozialistischen Staaten, die meinten, sie müssten ein gleichgeschaltetes Denken ihrer Bürger herstellen und deshalb die überlieferten Glaubensinhalte ihrer Bürger bzw. Untertanen bekämpfen; und welche die Grundrechte nur auf dem Papier kannten. So seltsam diese und ähnliche Meldungen in unseren Ohren auch klingen mögen, so weit entfernt sind sie nicht. Jedenfalls nicht für alle Bürger Deutschlands.
Studium religiöser Literatur als Festnahmegrund
Die türkische Zeitung „Zaman“ brachte vor einiger Zeit die Geschichte von Fehmi Karpuz, Kahraman Kerim und Ali Dincer, die nach dem Militärputsch von 1971 in Trabzon festgenommen worden waren, da sie beim Studium religiöser Literatur auf frischer Tat ertappt wurden. Will man Beispiele für antidemokratischen Druck seitens des Staates anführen, müsste man aber nicht auf Beispiele von vor 40 Jahren zurückgreifen. Auch die Zeit des 28.Februar-Putsches aus dem Jahr 1997 erzählt von einschlägigen Beispielen. Man kann aber auch ähnliche Fälle bis in die Frühzeit der türkischen Republik zurückverfolgen.
Warum nun diese Beispiele? Es ist mittlerweile ‚chic’ geworden, von den Muslimen, speziell der Gülen-Bewegung, „mehr Transparenz“ zu fordern. Jüngst wurde die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney mit dieser Forderung an die Adresse der Gülen-Bewegung zitiert.
Zunächst einmal ist es immer gut, Transparenz zu fordern. Erstens: Man ist immer auf der richtigen Seite mit dieser Forderung, beweist man sich doch als Freund der Offenheit und des offenen Geistes. Zweitens: Es hört sich gut an. Man beweist sich als wachsamer Bürger. Und drittens: Muslime sind irgendwie fremd, irgendwie unheimlich. Mit Forderungen nach Transparenz an die Adresse von Muslimen liegt man daher immer goldrichtig, zumindest kann man nichts falsch machen.
Und dann kommt noch das Argument, das wir auch aus diversen Debatten rund um Sicherheitsgesetze kennen: Wenn sie nichts zu verbergen haben, können sie der Forderung ruhig entsprechen.
Aber was genau heißt Transparenz? Sollen sie dem deutschen Recht unterworfen sein? Das sind sie jetzt schon. Sollen ihre Einrichtungen von deutschen Behörden kontrolliert werden? Auch hier gelten für sie jetzt schon die gleichen Gesetze wie für alle anderen Einrichtungen auch. Oder wünscht Öney sich mehr Veranstaltungen à la „Tag der offenen Tür“? Die gibt es auch zuhauf. Was meint sie dann? Es ist offensichtlich, dass die Forderungen nach Transparenz an die Adresse der Muslime von einem Grundmisstrauen gegenüber ihnen zeugen bzw. diesem schmeicheln sollen.
Man traut ihnen nicht. Wie kann man aber das Misstrauen von Menschen zerstreuen, wenn diese ohnehin nicht bereit sind, ihre liebgewonnenen Vorurteile zu hinterfragen? Wäre ihr Misstrauen beseitigt, wenn sie den gläsernen Muslim vor sich hätten? Wohl kaum.
Was muss eine Integrationsministerin können?
Sie werden dann wohl immer noch einzuwenden haben: Das Verhalten des Menschen kann doch gar nicht mit hundertprozentiger Sicherheit vorhergesagt werden! Wie können wir ihrer demokratischen Gesinnung sicher sein? Gut, nach dieser Logik können wir auch die Beweislast dahingehend umkehren, dass jeder erst mal als Terrorist gilt, bis er das Gegenteil bewiesen hat. Mit Rechtsstaat hat das dann zwar nichts mehr zu tun, aber wo die „German Angst“ regiert, scheint das nicht immer das Entscheidende zu sein.
Ohne eine gewisse Bereitschaft, die Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, sie an ihrem Handeln zu messen, wird aber Vertrauen auch dann nicht zu haben sein. Und außerdem: Jemand wie Bilkay Öney, die hauptsächlich mit Worten arbeitet, in der Gesellschaft und in sie hinein wirkt, sollte doch ein gewisses Verständnis des Menschen, seiner Entwicklung und seiner Wechselwirkungen mit der Gesellschaft mitbringen.
Menschen und Gruppen haben ihr Gedächtnis als die Summe ihrer Erfahrungen. Ist es denn so schwer zu verstehen, dass Menschen und Gruppen, die sie bilden, durch die eingangs geschilderten Erfahrungen verunsichert, ja sogar auch verängstigt sind? Gilt ihre Angst weniger als die oft nur als Alibi für Ressentiments bemühte Angst mancher Deutscher vor dem Islam? Gewiss, in Deutschland gibt es keine staatliche Repression gegenüber Muslimen. Wer würde aber die Existenz des großen Misstrauens ihnen gegenüber, die Ablehnung, ja sogar Islamophobie leugnen und bestreiten? Eine Integrationsministerin sollte in ihrem Handeln das Verständnis und den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken, nicht Teile von ihr ausgrenzen. Das kann sie nur, indem sie auf Menschen zugeht. Andernfalls wird das Misstrauen nie endgültig zu beseitigen sein.