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Politik

Ist die AKP noch eine demokratisierende Kraft?

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Nach 13 Jahren an der Macht scheint die „Erdoğanisierung“ der AKP ihren Reformeifer zu stoppen und autoritären Tendenzen Raum gewinnen zu lassen. Sie wagt zwar immer noch Demokratisierungsschritte – aber erst, sobald sie dazu gedrängt wird. (Foto: zaman)

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Premierminister Erdogan spricht auf einem Parteikongress der AKP.
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Bis vor kurzem war die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) noch bekannt als eine „demokratisierende Kraft“ für die Türkei und als Vorbild für die gesamte Region. Durch diese Qualitäten schaffte sie es, sich als regierende Partei den Weg zur bestimmenden Macht im Lande zu bahnen, isolierte ihre kemalistische Gegner und baute eine internationale Koalition auf, die ihre Macht auch gegenüber den alten Eliten, die sie immer noch zum Schweigen zu bringen versuchte, zu festigen half.

Der AKP wurde sowohl zu Hause als auch im Ausland für ihre demokratischen Reformen, ihre moderate Haltung und ihre friedliche und verbindliche Außenpolitik applaudiert. Somit genoss die Partei hohe Glaubwürdigkeit und wurde von regionalen und überregionalen Akteuren als ein zuverlässiger Partner angesehen.

Nun scheint es, als hätten sich die Dinge wesentlich verändert. Für viele hat insbesondere die Antwort der Regierung auf die Gezi-Proteste ein undemokratisches Gesicht der AKP offenbart. Die Protestierenden als Teil eines fremdgesteuerten Versuches zu bezeichnen, die Regierung zu kippen, und unverhältnismäßige Polizeigewalt zu nutzen, um die Demonstranten in den Straßen zu zerstreuen, bestürzte sowohl zahlreiche Menschen in der Türkei als auch außerhalb.

Auf Verschwörungstheorien zurückzugreifen, um die Entstehung einer oppositionellen sozialen Bewegung zu erklären, und diese als „çapulcular“ (Plünderer) zu beschimpfen und sie als mutmaßliche Terrorverdächtige zu behandeln, erscheint nicht als angemessene Reaktion einer Regierung, die eine Demokratie ernst nimmt.

Über mehr Pluralität und Rechtsstaatlichkeit zu sprechen, zivilgesellschaftliche Mechanismen zu nutzen, Meinungsfreiheit und Toleranz zu fordern wurden als Versuch des Untergrabens der demokratischen gewählten Regierung wahrgenommen.

Demokratie muss weiter reichen als nur bis zur Wahlurne

Stattdessen wurde auf das Wahlergebnis gepocht und damit ein Demokratieverständnis offenbart, das diese als uneingeschränkte Herrschaft der Mehrheit begreift. Diejenigen, die damit argumentierten, dass eine Demokratie mehr als nur der Gang zur Wahlurne sein sollte, wurden beschuldigt, etwas gegen eine „demokratische gewählte“ Regierung auszuhecken.

Dass die AKP, die in der Vergangenheit selbst ernsthafte demokratische Prozesse initiiert hatte, plötzlich die Demokratie auf die Wahlurne reduzierte, war, denke ich, ein weiterer Wendepunkt, der viele dazu brachte, das Verhältnis der Partei zur Idee, den Idealen und den Institutionen der Demokratie zu hinterfragen.

Dazu passt auch die Äußerung des Premierministers Recep Tayyip Erdoğan vom letzten Jahr, als dieser die „Trennung der Gewalten“ als ineffizientes Mittel zur Regierung eines Landes verurteilte. Die AK-Partei verlor immer mehr die Unterstützung unter Liberalen und demokratischen Kreisen zu Hause und im Ausland, die zunehmend besorgt über die Ausrichtung der Partei waren.

Inzwischen versteckt die regierende Partei nicht mehr ihr Ziel, eine „religiöse Generation“ mithilfe des Staatsapparats großzuziehen. Dies ist als Ziel ihres „konservativen“ Flügels anzusehen. Aber die Identität der Partei setzt sich aus zwei Flügeln zusammen: den Konservativen und den Liberalen.

Es scheint so, als solle nun die konservative Identität der AK-Partei auf Kosten der liberalen Ausrichtung betont werden. Als die Partei ihre Macht verfestigte, verlor sie immer mehr ihre liberale und demokratisierende Rolle innerhalb der türkischen Politik. Sie scheint im Gegensatz dazu sogar entschlossen zu sein, ihren Erfolg zu Lasten ihrer demokratisierungsaffinen Teile zu verteidigen, auch wenn das bedeutet, notfalls auch auf autoritäre Mittel der Politik zurückzugreifen. Ihr Auftritt während der Gezi-Park-Proteste spricht jedenfalls für letztere Annahme.

Es wird weiter Reformen geben, nur werden diese kaum von der AKP selbst ausgehen

Bedeutet das Demokratiepaket, das Premier Erdoğan letzte Woche vorstellte, etwa, dass die AK-Partei sich dazu entschlossen hat, ihr angekratztes demokratisches Image sowohl zu Hause als auch im Ausland wieder zu stärken?

Es bedeutet jedenfalls, dass die Situation der türkischen Demokratie die Menschen im Lande immer noch beschäftigt und dass die regierende Partei nicht desinteressiert den wachsenden Forderungen der Gesellschaft nach einer Demokratisierung, die weiter reicht als der Weg zur Wahlurne, zusehen kann.

Aufgeschlossenheit gegenüber den Forderungen so vieler Menschen nach mehr Demokratie wird das effektivste Gegenmittel zu autoritären Tendenzen sein. So wie das Reformpaket wird sie der türkischen Demokratie auf begrenzte Weise dienen. Die regierende Partei mag nicht länger von sich aus eine demokratisierende Kraft bleiben, aber sie wird sich immerhin noch ihrer autoritären Neigung bewusst werden und diese phasenweise korrigieren.

İhsan Dağı ist ein renommierter Politikwissenschaftler und Kolumnist bei der türkischen Tageszeitung „Zaman“.