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Politik

Wie die Türkei der kurdischen Autonomie auf die Sprünge half

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Die türkische Außenpolitik hat kurdische Autonomiebestrebungen in Syrien und im Irak gestärkt. Im eigenen Land muss man lernen, sich mit einer selbstbewussteren kurdischen Minderheit zu arrangieren. Profitieren am Ende beide? (Foto: ap)

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Wie die Türkei der kurdischen Autonomie auf die Sprünge half
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Die Kurden befinden sich im historischen Prozess einer Nationsgründung. Jede Analyse sollte diese Tatsache erkennen und akzeptieren. Dennoch ist es nicht klar, wie dieser Prozess enden wird. Die aktuelle politisch-administrative Situation ist jedenfalls nicht mehr in der Lage, die Kurden (in der Türkei, im Irak, Iran und in Syrien) zufriedenzustellen. Daher ist es eine unvermeidliche Entwicklung im Nahen Osten, dass die Kurden ihre politische Autonomie ausbauen werden.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann man nicht sicher sein, wohin diese Dynamik – welche sich in Richtung Autonomie bewegt – führen wird. Allerdings würde sich kein Politologe wundern, wenn auf lange Sicht gesehen diese Entwicklung in die Unabhängigkeit führt. Das Scheitern der zentralen Autoritäten im Irak und in Syrien ist eine natürliche Ursache der zunehmenden Triebkräfte in Richtung kurdischer Autonomie. Gerade angesichts des Zustands des Zusammenbruchs im Irak und in Syrien sollte sich eigentlich kein anderer Staat in diesen Prozess einmischen – auch nicht die Türkei.

Die Türkei als ein Land, das lange Zeit nicht in der Lage war, sein eigenes „Kurden-Problem” in zufriedenstellender Weise zu lösen, ist nicht in der Lage, die laufenden Entwicklungen in Nordsyrien maßgeblich zu beeinflussen. Die Türkei kann Truppen schicken und andere Possen treiben, doch kann sie dadurch den Weg zur kurdischen Autonomie nicht stoppen. An dieser Stelle gilt ein einfaches Prinzip, das auch im Zusammenhang mit anderen Problematiken wie dem Klimawandel Sinn machen würde: Wenn es etwas gibt, das man nicht verhindern kann, sollte man sich daran anpassen und davon profitieren. Somit wäre es die realistischste Strategie für Ankara, sich mit dem Aufkommen der kurdischen Autonomie zu arrangieren und zu versuchen, diese Türkei-freundlich zu machen. In der Tat sind alle Alternativen schlimmer als die der kurdischen Autonomie.

Grenzsicherung an Kurden outsourcen?

Die türkisch-syrische Grenze verfällt in ein Chaos, an dem verschiedene Gruppen wie Al-Nusra und Al-Qaida beteiligt sind. Ankara kann diese Grenze nicht alleine sichern – aus einfachen Gründen: Sie ist 800 Kilometer lang, deren Grundsicherung Millionen von Dollar und erhebliches Arbeitspotenzial erfordert. Die aktuelle regionale Dynamik macht eine Sicherung auf diese Weise unmöglich. Folglich lautet die einzige Alternative: Eine effektive Kooperation mit anderen Beteiligten jenseits der Grenze. Anders gesagt, für ihre eigene Sicherheit sollte sich Ankara unter den kämpfenden Gruppen in Syrien Freunde aufgabeln. Doch ist die Partei der Demokratischen Union (PYD) die beste Option für Ankara und wünschenswert gegenüber Gruppen wie der Freien Syrischen Armee, der Nusra-Gruppe oder Al-Qaida? Logischerweise lautet die Antwort: „Ja”. Es ist wahrscheinlich, dass die anderen Gruppen sich für die Türkei auf lange Sicht als ernsthaft lästig erweisen werden.

Das Vorgehen der PYD mit Blick auf die Gestaltung der Autonomie hat die Position der PKK gegenüber der türkischen Regierung in den laufenden Friedensverhandlungen gestärkt. Pragmatisch gesehen hat die Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) nun etwas in der Hand, was die Regierung braucht. So sollte Ankara ihre typische „Entweder-Oder”-Strategie hier nicht prolongieren. In vielen vorgegangenen Fällen, wie Syrien und Ägypten, verfolgte Ankara einen strengen Kurs – die Akteure sollten entweder akzeptieren, was die Türkei verlangt, oder Ankara würde ihre Beziehungen zu allen Akteuren, welche man als „böse” betrachtet, abbrechen. Eine ähnliche Taktik in Nordsyrien könnte sich jedoch nachteilig auf die türkischen Interessen auswirken. Die Türkei sollte daher ein Dialog mit der PYD führen und nicht sich ihrem Ultimatum unterwerfen.

Türöffner für die Autonomie

Paradoxerweise hat der Kampf gegen das Assad-Regime, im Zuge dessen sich die Türkei als Vorreiter bei der Anerkennung der Opposition als legitime Vertreterin Syriens befindet, sich als für kurdische Autonomieinteressen positiv Prozess erwiesen. Alle Akteure hätten vor drei Jahren wissen müssen, dass der Zusammenbruch des Regimes in Damaskus ein politischer Türöffner für die kurdische Autonomie sein würde.

Hier ist eine Analogie zu erkennen: Viele Experten argumentieren, dass die US-Außenpolitik in der Region sehr positive Resultate für den Iran produziert hätte. Die US-Außenpolitik hat den Irak und damit den Erzfeind Irans geschwächt. Und nun sieht es ähnlich aus: Unabhängig davon, was die Absichten sind, produziert die türkische Außenpolitik kurdenfreundliche Ergebnisse. Das, was die Türkei im Irak und in Syrien gemacht hat, ist die Hauptursache für die kurdische Nationenbildung in der Region. Sicherlich werden die Kurden der Türkei für die Außenpolitik, welche ihr Streben nach politischer Autonomie so stark gefördert hat, danken.

Autoreninfo: Gökhan Bacık ist Nahost-Experte und Kolumnist bei „Today’s Zaman”.