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Gesellschaft

Şırnak: Prozess gegen türkische Soldaten

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In den 80er- und 90er-Jahren „verschwanden“ unzählige Menschen in der Türkei, nachdem sie von Sicherheitskräften festgenommen worden waren. Mehrere Jahrzehnte später beginnen nun Prozesse gegen die mutmaßlichen Mörder in Uniform. (Foto: iha)

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Ein türkischer Soldat zwischen Zivilisten in Şırnak - iha
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Nach dem Putsch von 1980 wurde in der Türkei – insbesondere in den hauptsächlich von Kurden bewohnten südostanatolischen Provinzen – ein beispielloses System der Gesetzlosigkeit geschaffen. Staatliche Organe ermordeten oder verschleppten unzählige Oppositionelle und Menschen, die sich in irgendeiner Form verdächtig machten. Das „Verschwinden lassen“ kostete etliche unschuldige Menschen das Leben. Die meisten Täter wurden nie gefasst bzw. nie gesucht. Doch mehrere Jahrzehnte später beginnen nun Prozesse gegen die mutmaßlichen Mörder in Uniform.

Der Hohe Strafgerichtshof in Şırnak hat am Dienstag unmittelbar nach dem Beginn der Gerichtsverhandlung gegen mehrere türkische Offiziere, darunter auch einen General, den Prozess aus Sicherheitsgründen an Ankara übertragen. Den Männern wird vorgeworfen, Anfang der 90er-Jahre an dem „Verschwinden lassen“ von sechs Dorfbewohnern beteiligt gewesen zu sein.

Nach der Darstellung der Staatsanwaltschaft Diyarbakır wurden im Sommer 1993 sechs Dorfbewohner – Hükmet Şimşek, Hamdo Şimşek, Mehmet Salih Demirhan, Mihyedin Özdemir, Halit Özdemir and Şemdin Cülaz – aus dem Dorf Görümlü nahe der Grenze zum Nordirak von türkischen Soldaten festgenommen. Nach ihrer Festnahme hätten die Angehörigen vergeblich versucht, Kontakt mit den Verschleppten zu erhalten.

Türkische Soldaten könnten Rache an Zivilisten genommen haben

Am Tag vor der Festnahme der sechs Dorfbewohner war es in der Gegend zu einem Angriff auf türkische Truppen gekommen, bei dem sechs Soldaten getötet wurden. Es besteht die Vermutung, dass die türkischen Soldaten die kurdischen Dorfbewohner erst verschleppten und anschließend aus Rache für den Angriff der Terrororganisation PKK töteten.

Die Anklage stützt sich auch auf die Aussagen des Soldaten Necdet Okucu, der während des Vorfalls seinen Wehrdienst in dem betroffenen Stützpunkt leistete. Okucu sagte, er erinnere sich daran, dass es in der Gegend um Kesiktepe Kämpfe gegeben habe, wobei mindestens zwei türkische Soldaten getötet worden seien. Daraufhin hätten die Soldaten sechs bis sieben Dorfbewohner in die örtliche Kommandobasis gebracht, so der Soldat.

Im Vorfeld des Prozesses hatte die Staatsanwaltschaft Diyarbakır Grabungen nahe dem in Görümlü liegenden Hauptquartier eines Gendarmerie-Bataillons angeordnet, um die sterblichen Überreste der Dorfbewohner zu lokalisieren. Zuvor hatte ein Zeuge ausgesagt, er habe die Leichen dort gesehen.

Suche nach sterblichen Überresten

Der Zeuge, der eigenen Angaben zufolge 1993 ebenfalls seinen Wehrdienst in der Basis leistete, sagte aus, den Dorfbewohnern seien Bleigewichte an die Füße gebunden worden, bevor man sie getötet und anschließend nahe des Gendarmerie-Hauptquartieres begraben hätte. Die Angehörigen hoffen nun darauf, dass der Prozess in Ankara bald fortgesetzt wird.

Um das Schicksal von mehreren „Verschwundenen“ zu klären, wird in Südostanatolien momentan an mehreren Orten nach den sterblichen Überresten von verschleppten Personen gegraben. Über die vergangenen zwei Jahre wurden bei Grabungen an sieben verschiedenen Stellen in Südostanatolien einem Bericht der türkischen Zeitung Today’s Zaman insgesamt 938 Knochen gefunden. Forensiker kamen jedoch zu dem Schluss, dass der Großteil der Knochen von Tieren stammte.

Nach Jahrzehnten des Schweigens können die Angehörigen nun jedoch auf erste Schritte zur Aufarbeitung der Verbrechen hoffen.