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Gesellschaft

Adieu, mein liebes Deutschland! Du Heimat meiner Kindheit!

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Sozialisation ist individuell. Prägend ist insbesondere die Kindheit. Auch der „besorgte Deutschtürke*“ hatte eine, eine, in der er sich nicht erklären musste. Heute sieht die Sache anders aus. Deutschland, seine Heimat, ist nicht mehr wiederzuerkennen. (Foto: rtr)

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Schön war es mit Dir, sehr schön. All diese Jahre hast Du mir eine Heimat geboten, die ich lieben, ein Volk, dem ich mich zugehörig fühlen, eine Identität, auf die ich stolz sein konnte. Selten habe ich mich als Kind ausgeschlossen gefühlt, selten fremd; sehr selten. Ja, vieles an Dir war mir neu, aber kaum etwas wirklich lange fremd. Ich lernte Dich schnell kennen, wie jedes Kind, das seine Umwelt mit den Jahren immer besser kennenlernt.

Im katholischen Kindergarten zum Beispiel lernte ich, dass man beim Mittagessen nicht einfach so anfing zu essen, sondern erst seinen beiden Sitznachbarn die Hände reichte und mit allen am Tisch eine Kette bildete. Dann waren erst einmal alle Kinder ruhig, bis auf die Erzieherin. Die bedankte sich für das Essen. Und am Ende sagte man dann zusammen und ganz laut: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – Amen!“. Dabei führte man seine rechte Hand auf Stirn, Brust und Schultern.

Als ich das am Wochenende meinen Eltern beibringen wollte, waren die ziemlich überrascht und ein bisschen verwirrt. Sie sprachen dann mit meiner Kindergärtnerin; erklärten ihr und auch mir, dass ich das nicht mitmachen müsste. Aber ich machte trotzdem immer mit. Es war so schön, das gemeinsam mit allen anderen Kindern zu machen.

Komisch fand ich es, im Kindergarten nicht all das essen zu dürfen, was meine Freunde aßen. Meine Eltern erklärten mir, dass es nicht reichte, die Würstchen aus der fertigen Suppe wieder herauszufischen. Das Fleisch im Kindergarten und alles, was es berührt hatte, waren für mich einfach verboten! Erst Jahre später konnte ich verstehen, warum. Aber all das war weder für die Leute im Kindergarten, noch für mich ein Problem. Meine Eltern gaben mir jeden Montagmorgen mein ganz eigenes Paket mit Würstchen und sonstigem Fleisch mit. Ich gab es dann der Köchin im Kindergarten und sie bewahrte es im Kühlschrank auf. In diesem Kühlschrank hatte ich ein ganz eigenes Fach! Das war so cool! Manchmal war mein Essen viel leckerer als das der anderen Kinder. Manchmal tauschte ich mein Essen dann auch mit den anderen Kindern, ganz heimlich! Die Kindergärtnerin durfte es ja nicht mitkriegen. Ich hatte dann zwar immer ein schlechtes Gewissen, das falsche Fleisch gegessen zu haben und weil ich dachte, dass die anderen Kinder auch nicht von meinem Essen essen durften. Das war natürlich Quatsch, aber das lernten wir erst viel später.

Die katholischen Kirchen fand ich immer schöner

In der Grundschule dann ging ich mit meinen Freunden in den Religionsunterricht; mal in den katholischen, mal in den evangelischen. Meine Lehrerin erklärte mir, dass ich da nicht reingehen brauchte und dass ich stattdessen auch früher nach Hause gehen durfte. Aber nach der Schule ging ich immer mit meinen besten Freunden zum Hort in unserem alten Kindergarten. Dort gab es immer erst etwas zu essen, danach machten wir alle zusammen unsere Hausaufgaben und wenn wir damit fertig waren, durften wir mit Legos spielen oder draußen auf dem Spielplatz. Ich fand es doof, ganz alleine nach der Schule zum Hort laufen zu müssen. Außerdem war es dann auch im Hort ganz langweilig ohne die anderen Kinder. Also blieb auch ich einfach in der Schule und lernte etwas über die Religion meiner Freunde. Manchmal gingen wir in die Kirche, zum Gottesdienst. Ich fand das immer ganz toll! Ich fand die katholische Kirche immer viel schöner als die evangelische und in der katholischen duftete es auch immer so gut! Also versuchte ich immer, mit den katholischen Kindern zur Messe zu gehen. Manchmal musste ich auch in die evangelische Kirche. Dort fand ich es zwar nicht ganz so toll, es war aber immer noch viel besser, als ganz alleine im Hort zu sein.

Noch heute gehe ich, wenn ich die Zeit finde, in den Kölner Dom oder eine andere große Kirche. Ich setze mich dann in eine der vielen Reihen in diesem riesigen Saal, mache meine Augen zu und horche dem Gottesdienst. Wenn gerade kein Gottesdienst läuft, bete ich für mich allein. Ganz im Stillen. Ich fühle mich dann immer so behütet, so sicher, so wohl. Ganz genau so, wie ich mich als Kind immer in der Kirche gefühlt habe. Ganz genau so, wie in meinem lieben Deutschland, der Heimat meiner Kindheit.

Der Pfarrer erlaubte mir manchmal, auch ein Stück von dem Brot zu nehmen, das am Ende der Messe verteilt wurde. Genauso wie meine Freunde! Wir reihten uns alle auf und warteten. Dann malte der Pfarrer der Reihe nach ein Kreuz auf die Stirn eines jeden Kindes, nur bei mir nicht. Als ich dran war, streichelte er mir nur über den Kopf und blinzelte mir dabei zu. Er hatte immer ein solch breites Grinsen im Gesicht, dass ich mich zurückhalten musste, nicht zu laut zu kichern, wenn ich zurücklächelte. Danach bekam jeder ein Stück von dem Brot. Sie nannten es Brot, aber ich fand, dass es viel mehr wie Esspapier aussah. Es schmeckte auch gar nicht wie Brot. Trotzdem war ich immer glücklich, wenn der Pfarrer auch mir ein Stück gab.

Unser Pfarrer kannte mich aus dem Kindergarten und dem Hort. Er war ein sehr großer und lustiger Mann! Ich mochte ihn sehr. Er wohnte direkt neben unserem Kindergarten und kam manchmal zum Mittagessen in unsere Gruppe. Alle Kinder freuten sich immer, wenn er kam um mit uns zu essen, weil er uns dann immer so lustige Geschichten erzählte. Nach dem Kindergarten klopften wir manchmal an seiner Tür und rannten schnell weg. Er erwischte uns immer, spätestens beim dritten oder vierten Mal. Dann bekamen wir alle ein paar Bonbons, wenn wir ihm versprachen, es nicht wieder zu tun. Aber am nächsten Tag klopften wir schon wieder an seiner Tür! Wir wussten ganz genau, dass er uns wieder Bonbons geben würde!

Ein trauriger Abschied

Als er irgendwann umziehen musste, wurde ich sehr traurig. Er versprach uns zwar, dass er uns oft besuchen würde, aber er kam nie. Wir fragten unsere Betreuerin im Hort immer und immer wieder, wann er uns denn besuchen würde, aber sie wusste es auch nicht. Irgendwann erzählte sie uns, dass er uns nicht besuchen konnte, weil er krank war. Einige Wochen später erzählte sie uns dann, dass er nicht mehr lebte und jetzt an einem besseren Ort war, im Himmel. Ich weiß noch ganz genau, wie ich tagelang geweint habe. Er war so ein toller Pfarrer und jetzt musste ich so lange warten, bis ich selbst irgendwann alt war und starb, um ihn wiederzusehen.

Dann kam ein anderer Pfarrer in unsere Kirche. Der war nicht so nett und auch nicht lustig. Er hat nie verstanden, warum ich mit auf die Jugendfahrten kommen wollte, und auch nicht, warum ich immer in die Nachmittagsgruppe kam. Dabei war ich schon seit Jahren immer wieder dort, schon viel länger als er! Der neue Pfarrer guckte immer streng und grimmig. Er musste immer laut husten, bevor er anfing zu reden, und manchmal auch zwischen den Sätzen. Jedes Mal zuckte ich zusammen. Wenn er mich anstarrte, lächelte ich ihn immer an. Aber er lächelte nie zurück. Er lächelte auch den anderen Kindern nie zu. Ich habe ihn nie lächeln sehen.

Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, in die Kirche zu gehen. Ich wartete immer vor den großen Türen, bis meine Freunde wieder rauskamen. Manchmal brachten sie mir selbstgemachte Kerzen mit. Früher hatten wir solche Kerzen immer zusammen gebastelt, in der Nachmittagsgruppe mit den größeren Kindern und unserem alten Pfarrer. Ich nahm die Kerzen von meinen Freunden immer an, weil ich wusste, dass sie sonst traurig werden würden. Auf dem Weg nach Hause schmiss ich sie aber weg, denn sonst wurde ich selbst immer traurig, wenn ich daran erinnert wurde, wie schön doch alles früher war.

An Wochenenden schickten meine Eltern mich immer in die Moschee. Beim Koranunterricht lernte ich erst die arabischen Buchstaben. Dann lernte ich, wie man den Koran lesen musste – von rechts nach links! Ganz komisch! Ich brauchte sehr lange, bis ich irgendwann eine ganze Zeile auf einmal lesen konnte. Dann zwei Zeilen direkt nacheinander! Es war zwar sehr schwierig, aber ich lernte es gerne. Ich mochte den Hodscha in unserer Moschee sehr und er sagte mir immer, dass ich einer seiner Lieblingsschüler war. Er sagte, dass er mich sehr mochte, weil ich so neugierig war. Weil ich immer alles wissen wollte und nicht ruhig war, wenn man es mir nicht erklärte. Er wurde sehr glücklich, als ich ihm irgendwann erzählte, dass meine Grundschullehrerin mich auf das Gymnasium empfohlen hatte. Vor allen Kindern hob er mich auf einen Tisch und sagte laut: „Schaut euch diesen Jungen an! Euer Freund wird auf ein Gymnasium gehen, dann wird er studieren und dann wird er vielleicht auch mal Hodscha! Oder vielleicht wird er sogar Professor! Nimmt euch immer ein Beispiel an ihm!“.

Irgendwann musste leider auch der Hodscha gehen. Er musste zurück in die Türkei, weil er nur zwei Jahre in Deutschland bleiben durfte. Der neue Hodscha war nicht so nett. Er wollte immer, dass wir ruhig sind, ganz ruhig. Bis auf diejenigen, die gerade an der Reihe waren mit dem Vorlesen. Und dann musste man laut vor den ganzen Kindern lesen. Wenn man einen Fehler machte, kicherten die anderen Kinder, und der Hodscha schimpfte ganz laut mit einem. Das fand ich immer ganz schlimm. Ich war sowieso immer so schlecht im Vorlesen, auch in der Schule. Ich war immer so aufgeregt, dass ich einen Fehler machen würde, und machte dann erst recht Fehler.

Die Ohrfeige des Hodschas

Eines Tages bekamen wir die Hausaufgabe, einige Gebete auswendig zu lernen. Wir mussten sie bis zum nächsten Wochenende alle können. Ich versuchte, sie zu lernen, aber ich schaffte nur eins. Am nächsten Wochenende rannte ich ganz schnell zum Hodscha, bevor die anderen Kinder im Raum waren. Ich erklärte ihm, dass ich es nicht geschafft hatte, alle Gebete zu lernen. Er war sauer und fragte, warum ich sie nicht gelernt hatte. Ich sagte ihm, dass es so kompliziert war, weil ich nicht wusste, was das alles bedeutete. Es war ja alles auf Arabisch. Ich sagte: „Hat das alles überhaupt eine Bedeutung!?“. Da wurde er erst recht sauer. Er holte mit seiner rechten Hand aus, um mir eine Ohrfeige zu verpassen. Ich starrte ihn nur an und zuckte zusammen. Dann senkte er seine Hand wieder und murmelte in seinen Bart: „Allah Allah, Ya Sabir!“. Das sagte auch meine Mutter immer, wenn ich zu Hause etwas kaputt gemacht hatte. Aber ich verstand nicht, warum der Hodscha jetzt so sauer war. Ich hatte doch gar nichts kaputt gemacht! Aber in mir ging in diesem Moment etwas kaputt.

Danach bin ich nie wieder zum Koranunterricht gegangen. Ein paar Wochen lang habe ich meiner Mutter schon am Freitagabend gesagt, dass ich mich krank fühlte und am Wochenende nicht in die Moschee wollte. Dann habe ich irgendwann immer gesagt, dass ich sehr viele Hausaufgaben für die Schule erledigen musste. Irgendwann hat selbst meine Mutter mich nicht mehr gefragt, ob ich in die Moschee wollte. Nur noch zu Bayram bin ich dann immer mit meinem Vater in die Moschee. Als er den neuen Hodscha kennenlernen wollte, hatte ich Angst, dass der Hodscha ihn fragen würde, warum ich nicht mehr zum Koranunterricht kam. Aber er fragte meinen Vater nicht. Ich glaube, er erkannte mich noch nicht einmal wieder. Er schüttelte meinem Vater nur die Hand und drehte sich wieder um.

Ich vermisste den alten Hodscha sehr. Ich erzählte ihm oft davon, wenn ich mit meinen Freunden in die Kirche ging oder in den Religionsunterricht und was wir dort machten. Er freute sich immer sehr darüber. „Aferin!“, sagte er, „Auch die Kirche ist ein Haus Gottes und auch dort kannst du beten! Lade doch auch mal deine Freunde in unsere Moschee ein!“.

Aber das wollte ich nicht. Ich sagte ihm nicht, warum ich es nicht wollte, weil ich wusste, dass ich ihn damit traurig machen würde. Unsere Moschee war nämlich von außen ganz hässlich. Innen war sie wunderschön! Auf dem Boden waren Teppiche mit tollen Mustern und an den Wänden ganz viele kleine Steine in blau und weiß und lila. Die Fenster waren ganz anders als unsere Fenster zu Hause. Sie waren ähnlich wie die Fenster in der Kirche, aber viel kleiner. Auch sie waren schön bunt und wenn die Sonne hindurchschien, sahen sie noch viel schöner aus. Aber von außen sah unsere Moschee richtig hässlich aus. Man musste außerdem an komischen Läden vorbeigehen, um zu unserer Moschee zu kommen. Ich wusste zwar nicht, was das für Läden waren, aber meine Eltern hatten mir erklärt, dass ich da bloß nie reingehen durfte. Über dem Eingang des einen Ladens stand „Sexshop“ und auf den Fenstern des anderen „Table Dance“. Als ich irgendwann lernte, was das für Läden waren, war ich noch verwirrter darüber als zuvor, dass unsere Moschee in dieser Gegend war.

Man musste durch ganz enge Straßen, wo eigentlich nur ein Auto durchpasste. Aber trotzdem fuhren die Autos immer in beide Richtungen. Dann musste man immer ganz lange warten und die anderen Autos durchlassen, bis man an unserer Moschee ankam. Ich wollte mit meinen Freunden nicht hier hin. Ich hatte ihnen noch nicht einmal erzählt, dass ich am Wochenende immer hier hinkam. Ich dachte, dass sie es komisch finden würden.

Und plötzlich musste ich Dinge erklären, die ich selbst nicht kannte

Auf dem Gymnasium durfte ich nicht mehr in den christlichen Religionsunterricht. Für alle nichtchristlichen Kinder gab es einen anderen Unterricht. Wir waren etwa fünf Moslems und eine Buddhistin. Ein paar Jahre lang hatten wir einen Lehrer, der uns immer Geschichten vorlas. Ich bin dabei immer eingeschlafen; das durften wir auch. Dann, in der siebten Klasse, haben wir einen neuen Lehrer bekommen. Der neue Lehrer hat uns jede Woche ein paar Seiten aus dem Koran kopiert und ausgedruckt. Diese mussten wir alle laut vorlesen, der Reihe nach, auch die Buddhistin. Etwa so wie beim neuen Hodscha im Koranunterricht, nur auf Deutsch. Da standen ganz viele schlimme Sachen drin, wie dass man Steine auf andere Menschen werfen oder Frauen schlagen sollte. Sowas hatten unsere Hodschas uns nie beigebracht. Aber der neue Lehrer sagte immer und immer wieder: „Seht ihr jetzt, was das für eine schlimme Religion ist? Seht ihr, wie unmenschlich das ist?“.

Adieu, mein liebes Deutschland! Du Heimat meiner Kindheit!

„Heimat ist dort, wo man sich nicht erklären muss!“, lautet ein schönes deutsches Sprichwort.

Als Kind musste ich nie etwas erklären, niemandem auf dieser Welt. Als Kind ließ ich mir alles erklären; von meinen Kindergärtnern, von meinen Lehrern, von meinen Pfarrern, von meinen Hodschas.

Aber je älter ich wurde, desto mehr verlangte man plötzlich von mir, dass ich Dinge erklärte. Dieser neue Lehrer verlangte von mir und meinen Mitschülern, dass wir ihm erklärten, warum wir Moslems so waren, wie wir waren. Wir waren Siebtklässler und wussten es selbst noch nicht so ganz. Aber wir wussten, dass wir im Internet andere Übersetzungen der gleichen Stellen aus dem Koran finden mussten, in denen alles ganz anders drinstand. Diese zeigten wir dann dem Lehrer. Und dann fanden wir Stellen aus der Bibel, in denen auch ganz schlimme Sachen standen, und zeigten sie ihm. In diesem Unterricht wurden wir alle immer sehr laut und diskutierten. Er gegen uns alle! Die Buddhistin war immer auf unserer Seite.

Wir wussten alle nicht, was genau dort passierte. Aber wir lernten schnell, dass wir uns erklären mussten.

Ayşes Eltern und der Schwimmunterricht

Nach den Terroranschlägen in New York wurde alles noch viel schlimmer. Mitschüler fragten mich, was die Wörter „Al-Qaida“ und „Dschihad“ bedeuteten. Ich musste sie selbst im Internet suchen und erklärte es ihnen dann. Ich wusste nicht warum, aber ich musste ihnen alles erklären. Das hat mir überhaupt nicht gefallen. Ein Mitschüler von uns hieß Osama. Wenn es mir schon so schlecht damit ging, wie musste sich Osama dann fühlen? Einmal wollte eine Lehrerin von mir wissen, warum Ayşes Eltern ihr nicht erlaubten, in den Schwimmunterricht zu gehen. Ayşe war in meiner Klasse. Die Lehrerin hat nicht sie gefragt, sondern mich. Ich kannte Ayşes Eltern noch nicht einmal! Woher sollte ich wissen, warum sie etwas gegen den Schwimmunterricht hatten?

Im Fernsehen sah ich immer öfter Hodschas, die nicht aussahen wie meine Hodschas. Sie sagten immer Sachen, die meine Hodschas nie gesagt hätten. Sie waren so grimmig wie mein zweiter Hodscha, aber selbst der hatte mir nie gesagt, dass meine christlichen Freunde keine guten Menschen wären oder dass man ungläubige Menschen umbringen dürfte. Ich konnte nie verstehen, was das für Hodschas waren und warum sie so etwas erzählten.

Im Kino waren die bösen Menschen immer Moslems. Sie hatten immer Bomben dabei und wollten immer Kinder umbringen. Ich konnte nie verstehen, was das für Moslems waren und warum sie so etwas taten.

Mir erzählten immer alle, dass Moslems schlimm seien, aber ich sei ja anders. Ich lernte, dass ich ein „liberaler Moslem“ sei. Ich musste im Internet nachschlagen, was „liberal“ bedeutete. Ich konnte nie verstehen, was „liberale Moslems“ waren und warum sie anders waren als „normale Moslems“.

Ich konnte nie verstehen, warum Menschen, die mit mir aufgewachsen waren, plötzlich wissen wollten, warum nur mein Vater arbeitete und meine Mutter nicht. Als wir Kinder waren, kamen sie immer zu mir nach Hause, wenn ihre Eltern beide auf der Arbeit waren. Dann machte meine Mutter uns etwas zu essen. Meine Mutter war immer zu Hause und das fand ich toll. Ich dachte immer, dass meine Freunde das auch toll fanden.

Fremd in der eigenen Heimat

Ich konnte nie verstehen, warum alle immer von mir wissen wollten, ob ich eine Muslimin heiraten wollte. Ich wusste es selbst noch gar nicht! Ich hatte mir noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht, bis sie mich fragten.

Ich konnte nie verstehen, von was für einem Islam die Zeitungen schrieben, die ich las. Ich hörte dann auf, Zeitungen zu lesen.

Ich konnte nie verstehen, warum jemand die Moscheen anzündete, die ich im Fernsehen brennen sah. Ich hörte dann auf, fernzusehen.

Ich konnte nie verstehen, warum immer alle von mir erwarteten, ihnen all das zu erklären. Ich hörte dann auf, Dinge zu erklären.

Adieu, mein liebes Deutschland! Du Heimat meiner Kindheit!

„Heimat ist dort, wo man sich nicht erklären muss!“

Als Kind musste ich nie etwas erklären, niemandem auf der Welt.

Als Erwachsener kann ich mir selbst noch nicht einmal meine eigene Heimat erklären. Als Erwachsener fühle ich mich Dir fremd.

* Mehr über den „besorgten Deutschtürke“ erfahren Sie hier.