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Politik

Türkische Truppen vor Libyen-Einsatz: Erdoğan argumentiert mit Atatürk

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Die internationalen Beziehungen der Türkei sind vielfältig und nicht immer einfach zu durchschauen. Das hat bereits die Haltung der Türkei gegenüber Syrien bewiesen. Jetzt will Ankara die Regierung in Libyen unterstützen. Auf der anderen Seite steht aber wieder einmal der wichtige Partner Russland. Was genau hat die Türkei im nordafrikanischen Land vor?

Libyen ist ein Land, das nach dem gewaltsamen Sturz des Ministerpräsidenten Muammar al-Gaddafi in ein Chaos gestürzt ist. Obwohl Gaddafis Tod acht Jahre her ist, hat sich in dem Land wenig bis nichts beruhigt. Der sich anschließende Bürgerkrieg hat zwei Regierungen hervorgebracht, die miteinander konkurrieren. Gegenüber stehen sich die von den Vereinten Nationen anerkannte Einheitsregierung von Fajis al-Sarradsch und der mächtige General Chalifa Haftar. Beide beanspruchen die Macht im Land für sich. Seit April versucht die selbst ernannte Libysche Nationalarmee (LNA) von Haftar die Hauptstadt Tripolis einzunehmen.

Laut Schätzungen der UN gab es seit Beginn des Bürgerkriegs Tausende Tote. Viele mussten ihre Heimat verlassen. Internationale Aufrufe für einen sofortigen Stopp der Kämpfe finden kein Gehör. Durch den Einmarschversuch Haftars könnte alles noch dramatischer werden.

Türkei schaltet sich in Libyen ein

Auch die Türkei schaltet sich jetzt in die Auseinandersetzung ein und will Al-Sarradsch unterstützen. „Basierend auf dem Memorandum zur Sicherheits- und Militärzusammenarbeit ist das Erste, was wir tun werden, sobald das Parlament wieder tagt, eine Resolution für die Entsendung von Soldaten vorzulegen“, sagte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan während einer Rede vor Provinzvorstehern am Donnerstag. Am 8. oder 9. Januar solle diese dann verabschiedet werden.

So werde man die legitime Führung in Libyen, die die Türkei „eingeladen“ habe, um zu helfen, viel wirksamer unterstützen können. Die Libyer bezeichnete der Präsident als „Brudervolk“ und verwies sowohl auf die osmanische Geschichte als auch auf die Geschichte der türkischen Republik und spielte damit auf Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk an, der selbst in Libyen stationiert war. Die türkische Opposition hingegen hatte bereits deutlich gemacht, die Truppenentsendung nach Libyen nicht mittragen zu wollen.

Welche Truppen werden entsandt?

Eine insgesamt schwierige Angelegenheit, weil auf der anderen Seite nicht nur Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen, um Haftar zu unterstützen, sondern auch Russland.

Es wurde zunächst nicht klar, um welche Art von Truppen es sich handeln soll. Die Türkei und die Einheitsregierung in Libyen hatten zuvor ein umfassendes Abkommen zur Sicherheits- und Militärkooperation geschlossen. Das erlaubt es der Türkei laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, militärische Ausbilder und Berater zu schicken.


HANDOUT – 15.12.2019, Türkei, Istanbul: Recep Tayyip Erdoğan (r), Präsident der Türkei, empfängt Fajis al-Sarradsch, Regierungschef von Libyen, während eines Treffens in Istanbul. Foto: -/Turkish President Press Office/dpa – ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++


Ankara habe auch die Genehmigung für gemeinsame Militärübungen und dürfe auf Anfrage Waffen und Militärfahrzeuge nach Libyen senden, hieß es weiter. Weiterhin verpflichte sich die Türkei, beim Aufbau einer Schutztruppe zu helfen, die polizeiliche und militärische Aufgaben übernehmen soll.

Was die Türkei in Libyen will

1. Wirtschaftlicher Aspekt

Doch warum riskiert das Land um Staatspräsident Erdoğan überhaupt, sich in die libysche Krise einzuschalten? Ein Blick auf die gemeinsame Geschichte beider Länder zeigt, dass die wirtschaftlichen Aspekte eine größere Rolle spielen könnten als die von Erdoğan ins Feld geführte „Brüderlichkeit“. Vor der Zeit Gaddafis war Libyen einer der wichtigsten Länder im Nahen Osten und in Nordafrika, vor allem in Bezug auf seinen wirtschaftlichen Nutzen. Wie der Nahost-Experte Oytun Orhan in einem Interview mit der Deutschen Welle beschreibt, hat die Türkei durch den Bürgerkrieg im Land hohe wirtschaftliche Verluste hinnehmen müssen. Schließlich seien viele türkische Firmen in Libyen aktiv gewesen.

Laut Zahlen der „Türkischen Vereinigung der Bauunternehmer“ waren vor Beginn des Bürgerkrieges 139 Firmen aktiv. Durch den Krieg hätten sehr viele Firmen keine ihnen zustehenden Zahlungen mehr erhalten. Der Wert der dort hinterlassenen Maschinen und Equipments belaufe sich zudem auf etwa 919,5 Millionen Dollar.

2. Politischer Machtkampf

Ein anderer Grund für die türkische Intervention in Libyen ist der Machtkampf im östlichen Mittelmeerraum. So hatte die Türkei in den vergangenen Monaten in diesem weiträumigen Gebiet mit der Suche und Bohrung nach Erdöl begonnen. Die Europäische Union hatte diese Aktion als illegal bezeichnet. Somit ist die Region zu einem Konfliktfeld in der internationalen Politik geworden. Orhan glaubt, dass die Türkei in diesem Machtkampf neue Partner braucht und Libyen als Partner beizubehalten versucht.

Die Türkei streitet sich zudem seit Jahren mit einigen Mittelmeer-Anrainerstaaten um Erdgasvorkommen unter dem Meeresgebiet zwischen Griechenland, Zypern und Ägypten. Deshalb befürworten einige türkische Experten den Eingriff und erklären ihn mit wirtschafts- und sicherheitspolitischen Aspekten.

Ein neues Abkommen der Türkei mit Libyen definiert eine gemeinsame Wirtschaftszone, die sich von der Türkei bis nach Nordafrika erstreckt. Das würde bedeuten, dass der größte Teil des östlichen Mittelmeeres unter türkische Kontrolle gelangt. Genau das scheint der Kernpunkt der Thematik zu sein.

3. Historische Gesichtspunkte

Libyen gehörte früher zum Staatsgebiet des Osmanischen Reiches. Die AKP und Erdoğan berufen sich in ihrer Außenpolitik immer wieder auf die Osmanen und sehen frühere Reichsgebiete als natürliche Einflussbereiche der jetzigen Türkei. Konkret äußert sich dieser „neo-osmanischer“ Ansatz insbesondere auf dem Balkan, etwa mit Moscheebauten oder der Restaurierung historischer Sehenswürdigkeiten. Libyen ist nun eine weitere Gelegenheit, diesen Anspruch mit Inhalt zu füllen.

Fakt ist, dass Libyen im kommenden Jahr Gegenstand vieler internationaler Beziehungen und Diskussionen sein wird. Die Türkei versucht, sich frühzeitig ihre Position als wichtiger Ansprechpartner sowohl für Libyen selbst als auch für andere Staaten zu sichern. Wie heute bekannt wurde, wollen Erdoğan und die deutsche Bundeskanzlerin in einem Telefonat die Lage in dem nordafrikanischen Land erörtern.