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Politik

Trotz Problemen: Türkisches Modell der Flüchtlingshilfe „vorbildlich“

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Mehrere UNO-Diplomaten, darunter solche des UNHCR, haben sich in höchsten Tönen positiv über die türkische Flüchtlingspolitik geäußert. Die Türkei möchte nun aber auch mehr finanzielle Beteiligung vonseiten der internationalen Gemeinschaft.

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Flüchtlinge in der Türkei
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Die Art und Weise, in der die Türkei die humanitäre Hilfe für zwei Millionen syrischer Flüchtlinge im Land bewältigt, stelle ein Modell für das Management von Flüchtlingspolitik und Einwanderung dar, erklärte ein UN-Diplomat nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Anadolu. Die Regierung in Ankara sieht sich jedoch langsam, aber sicher als an der Grenze ihrer Kapazitäten angekommen und hat die internationale Gemeinschaft dazu aufgefordert, stärker zur Finanzierung von Bildungseinrichtungen und sonstiger Infrastruktur für Flüchtlinge beizusteuern.

Karim Atassi vom UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) sprach am Donnerstag im Rahmen einer Veranstaltung in Istanbul von einem „türkischen Modell“ bezüglich des Zugangs des Landes zum Krisenmanagement angesichts der Flüchtlingsproblematik.

Während einer Konferenz über internationales Einwanderungsmanagement und Flüchtlingsschutz erklärte Atassi, die türkische Flüchtlingshilfe beruhe auf zwei Säulen: einer konstanten Verbesserung in der Qualität des Asyls und der Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge.

Die Verbesserungen wurden nicht nur bedingt durch die Rückendeckung seitens der türkischen Regierung möglich, sondern auch, weil diese auf „solidem Grund“ errichtet worden sei. Dazu zählen auch unter anderem die Gastfreundlichkeit des türkischen Volkes, seine Freigiebigkeit und seine Solidarität mit den Nachbarn.

Die Türkei ist in besonderem Maße vom Flüchtlingsstrom aus Syrien betroffen, seit 2011 im Nachbarland ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Von 20.000 Flüchtlingen zu Beginn der Kampfhandlungen stieg die Zahl binnen sechs Monaten auf fast zwei Millionen.

UNHCR: Vorbildliches Vorgehen auch bei steigenden Flüchtlingszahlen

Gerade jüngst waren weitere verstärkte Fluchtbewegungen in Richtung Türkei zu bemerken, als es zu einer weiteren militärischen Eskalation zwischen kurdischen Kämpfern und der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS; vorm. ISIS) in der Nähe der türkischen Grenze kam und tausende weitere Menschen Syrien verlassen mussten. Die türkische Regierung reagierte darauf mit einer Politik der offenen Grenzen, nachdem sie Grenzen zunächst geschlossen gehalten hatte.

Besonders bemerkenswert sei es, so Atassi, dass es der Türkei gelang, inmitten der Syrienkrise ein Gesetz über Fremde und internationalen Schutz zu verabschieden. „Die UNHCR hat es noch nie erlebt, dass ein Land mitten in einer Krise ein Gesetz verabschiedet, das das Management von Asyl und Einwanderung zum Inhalt hätte. Es gibt kein anderes Land dieser Art. Die Türkei ist das erste“, so Atassi.

Die „Zahlen“ wären die zweite Säule des türkischen Modells, fuhr Atassi fort. Ankara sei in der Lage gewesen, die Qualität seiner Zufluchtsstätten zu verbessern, obwohl die Zahl der Menschen, die aus Syrien in die Türkei gekommen waren, zugenommen hatte.

Augen vor Problemen nicht verschließen

„Wann immer wir mit den Vertretern anderer Länder zusammensitzen, um die Situation zu erörtern, erzählen wir, wie die Türkei es macht“, betonte der Diplomat. „Wenn mehr Flüchtlinge auf das Territorium des eigenen Landes kommen, vermindert dies nicht zwingend die Qualität der Zufluchtsstätte. Das ist das türkische Modell. Es funktioniert.“

Auch Kamal Malhotra, der Repräsentant des UN-Entwicklungsprogramms für die Türkei, hat Ankaras Bemühungen gewürdigt, den Bedürfnissen der Einwanderer gerecht zu werden.

„Ich muss unterstreichen, dass das UN-System und die internationale Gemeinschaft in höchster Weise die türkischen Bemühungen begrüßen, im Einklang mit internationalen Normen die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern und Einwanderern zu schaffen“, erklärte Malhotra.

Allerdings muss auch ergänzt werden, dass es wegen des nicht abnehmenden Flüchtlingsstroms zunehmend zu Problemen kommt. Während in den Grenzstädten die Mietpreise steigen, kam es in den letzten Monaten in einigen Orten auch zu Auseinandersetzungen zwischen der ansässigen Stadtbevölkerung und manchen Flüchtlingen.

In Großstädten wie Istanbul, das zu einem Anziehungspunkt für die syrischen Flüchtlinge wird, nehmen die Probleme zu, insbesondere die bettelnden Flüchtlinge sind den Behörden ein Dorn im Auge. Auch in den Sozialen Medien macht sich langsam aber sicher Unruhe breit.

Hacıbektasoğlu: „Die Türkei wird nie jemandem ihre Türen verschließen“

Der UN-Repräsentant Malhotra machte deutlich, dass die Türkei seit 2011 bereits sechs Milliarden US-Dollar mit Blick auf die Versorgung syrischer Flüchtlinge aufgewendet hat. „Diese Zahl steigt von Tag zu Tag weiter“, so Malhotra, der den Krisenzustand für nicht wünschenswert und hinnehmbar halte.

Der stellvertretende Generaldirektor für Einwanderungsmanagement, Osman Hacıbektasoğlu, betonte, die Türkei habe nie vor jemandem die Türe verschlossen. „Ob es Syrer oder Iraker sind, die Türkei hat ihre Türen für diese Menschen geöffnet. Wir können gar keine andere Position als diese einnehmen. Wir sind stolz auf das türkische Volk“, erklärte Hacıbektasoğlu.

Infolge der Niederschlagung von Protesten durch die syrische Regierung im März 2011 war es in Syrien zu einem blutigen Bürgerkrieg gekommen, an dem sich zunehmend auch militärische Formationen aus dem Ausland beteiligten. Bis heute kostete der Bürgerkrieg Schätzungen zufolge mehr als 211.000 Menschen das Leben.

Çavuşoğlu: „Nur 40 Prozent der syrischen Flüchtlingskinder bekommen Schulbildung“

Gleichzeitig fordert die türkische Regierung aber auch die internationale Gemeinschaft auf, nicht nur salbungsvolle Worte zu verlieren, sondern der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingsbewegungen auch finanziell unter die Arme zu greifen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu war Gastgeber eines Ad-Hoc-Treffens der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE), die sich mit dem ungebrochenen Flüchtlingsaufkommen in der Türkei befassen sollte.

Während eines Abendessens mit PACE-Mitgliedern, darunter Präsidentin Anne Brasseur, machte Çavuşoğlu auf das Ungleichgewicht zwischen türkischen Eigenmitteln und jenen der internationalen Gemeinschaft bei der Flüchtlingsversorgung aufmerksam. „Die Türkei hat bislang sechs Milliarden US-Dollar für Flüchtlinge ausgegeben. Die internationale Gemeinschaft nur 300 Millionen. Diese Last muss geteilt werden“, erklärte Çavuşoğlu.

Der Außenminister machte auch darauf aufmerksam, dass etwa 500 000 Flüchtlinge in das Alter gekommen wären, in dem sie Schulbildung erhalten müssten. „Aber nur 40 Prozent können eine bekommen“, so Çavuşoğlu. „Sie haben kein Zuhause mehr, in das sie gehen könnten. Etwa zwei Millionen weiterer Flüchtlinge leben in Ländern wie Jordanien, Ägypten, Saudi Arabien oder Libanon unter schlechteren Bedingungen als hier in der Türkei.“

Türkei fordert stärkere Beteiligung der internationalen Gemeinschaft

Çavuşoğlu kritisierte, dass es trotz einer Koalition von mehr als 60 Ländern zur Lösung der Probleme in der Region auch nach mehr als zehn Monaten wiederholter Treffen immer noch keine umfassende Strategie gäbe.

Brasseur würdigte ebenfalls den „warmen Empfang“, den Flüchtlinge in der Türkei fänden, und räumte ein, dass auch Europa von den Leistungen der Türkei für die Flüchtlinge profitiere und deshalb mehr an Hilfe leisten sollte.

Derzeit wird mit etwa 3000 weiteren Flüchtlingen gerechnet, die im Südosten der Türkei über die Grenze strömen, schwerpunktmäßig aus der syrischen Provinz Tel Abyad, wo die kurdischen „Volksbefreiungskräfte“ (YPG) mithilfe der US-geführten Anti-IS-Koalition versuchen, die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zurückzudrängen. Vor allem in Akçakale in der südöstlichen Provinz Şanlıurfa kam es dabei zu dramatischen Szenen. In einigen Fällen sollen Kämpfer des IS Flüchtlinge gewaltsam am Grenzübertritt gehindert haben.