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Kolumnen

Übersetzung macht kleingeistigen Nationalismus nicht weltmännisch

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Durch die Veröffentlichung seines Pamphlets mit dem Titel „Deutschland schafft sich ab“ in französischer Sprache schafft es Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin noch einmal international in die Schlagzeilen. Die Widerlegung bleibt unbeachtet. (Foto: rtr)

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Übersetzung macht kleingeistigen Nationalismus nicht weltmännisch
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Die monokulturalistischen Thesen eines Mannes ohne weltmännischen Horizont werden international: Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ ist nun auf Französisch erschienen. Obwohl der Inhalt des Buches längst von fachlicher Seite vielfach widerlegt wurde, behauptet der Autor in einem Interview zur Buchvorstellung auf BBC World, seine Thesen wären alle belegt und wahr.

Der Interviewer hat die Debatte in Deutschland offensichtlich nicht verfolgt oder erinnert sich an Churchills Bonmot von wegen dieser glaube nur den Statistiken, die er selbst gefälscht hätte, und lässt diese Behauptung unwidersprochen im Orbit der Nachrichten stehen. Sarrazin bekommt Gelegenheit, in schlechtem Englisch seine Behauptungen zu wiederholen – wobei er erwartungsgemäß viele Aspekte der 2009 begonnenen Debatte einfach ignoriert.

Auf diese Weise erreicht Sarrazins Polemik, nicht jedoch die Debatte, nun Frankreich. Was das Buch angesichts der dort ebenso in den Fokus geratenen Migranten und Muslime anrichten kann, kann man sich mit gesundem Menschenverstand ausmalen. Eine vergleichbare Debatte wie in Deutschland ist vielleicht nicht zu erwarten, aber in bestimmten Kreisen dürften die Thesen verfangen. Gerade in Wirtschaftskrisenzeiten ist es populär, Ängste auf Minderheiten zu projizieren. Auf diese Weise konnten nicht nur der rassistische „Front National“, dessen Parteivorsitzende Marine Le Pen im letzten Jahr im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen immerhin 17,9% verbuchen konnte, und die durch Provokationen aufgefallenen „Identitären“ Aufmerksamkeit erringen – auch Politiker der etablierten Parteien profilierten sich hier auf unappetitliche Weise.

Warum Bade nicht die gleiche Aufmerksamkeit erfahren wird

Medien – im konkreten Fall BBC World – werden ihrer Verantwortung oft nicht gerecht, wenn sie wiederholt vor allem der Polemik Raum einräumen, während die Debatten selbst ausgeblendet bleiben.

Dabei ist erst kürzlich ein abrundender Debattenbeitrag erschienen, der viele schiefen Darstellungen der letzten Jahre gekonnt geraderückt: das Buch „Kritik und Gewalt“ von Migrationsforscher Klaus Bade. Dort wird nicht nur mit Sarrazins geistiger Brandstiftung in Buchform aufgeräumt, sondern auch mit jenen, die sich um diese herum im Lichte der Kronzeugenschaft sonnen. Und vor allem auch mit den Falschmeldungen und Fehldeutungen in der sog. Integrationsdebatte, die Bade als seit Jahrzehnten entgleist beschreibt.

Ob Bades Buch auch in anderen Sprachen erscheinen wird? Das wäre zu wünschen, aber wie so oft wird wohl wieder nur der mediale Aufreger reproduziert werden, nicht jedoch dessen Widerlegung. Dies ist aus dem antisemitischen Diskurs ebenso bekannt wie aus anderen diskriminierenden Diskursen. Die Aufklärung hat damit einen schweren Stand. Sie setzt erst dann ein, wenn das Interesse nachlässt und damit die Aufmerksamkeitskurve für das Thema schon wieder eine fallende Tendenz zeigt. Aufklärung setzt auf rationales Denken und Sachlichkeit und erreicht deshalb oft nicht die Emotionen, die zuvor geschürt wurden.

Wenn Medien dann entsprechende Aufreger reproduzieren, dann mag das ein vielversprechendes Mittel zur Steigerung von Quote und Auflage sein, unserem Vorankommen als Gesellschaft dient es hingegen nicht. Im Gegenteil, sarrazineske Debatten sind nicht konstruktiv, sondern destruktiv, sie spalten Gesellschaften und weisen komplexe Problematiken einzelnen Gruppen und ihren angeblichen Charaktereigenschaften zu. Dies wird von politischer Seite oft begrüßt und befeuert, weil es vom eigenen Versagen ablenkt. Medien hätten hier als vierte Gewalt die Aufgabe, solche Machstrukturen zu hinterfragen, und nicht, ihnen zuzuarbeiten.