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Panorama

Wie Mafia-Pate Alaattin Çakıcı für den türkischen Staat kämpft

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Wer hätte gedacht, dass im Jahr 2021 die Mafia die Staatspolitik der Türkei mitbestimmt? Während der eine Mafia-Leader mit seinen Leaks die innenpolitische Lage destabilisiert, verteidigt ein anderer die „Ehre“ der Nation. Wie es soweit kommen konnte und welche Rolle Alaattin Çakıcı dabei spielt.

Er wird gefeiert wie ein Pop-Star. Er hat Sinn für Humor, bringt frischen Wind in die politischen Diskussionen und nutzt die Sprache der Massen. Außerdem hat er Mut zur Wahrheit – sogar dann, wenn er sich selbst belasten muss. Die Rede ist von Sedat Peker, dem türkischen Mafia-Paten in Dubai.

Über Stationen in Montenegro, Nord-Mazedonien, Kosovo und Marokko kam Peker im Frühling 2021 im Arabischen Golf an. In zahlreichen YouTube-Videos – und anschließend via Twitter – legte Peker dutzende Beweise für Korruption und Drogenhandel in höchsten Regierungskreisen offen.

Je mehr Peker der Bevölkerung die Augen öffnete, desto stärker geriet die türkische Regierung in Bedrängnis. Im Gegenzug intensivierte die Türkei die globale Fahndung nach Peker. Mittlerweile kappten ihm die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) seine Internetverbindung. Beobachter glauben, dass die Annäherung zwischen der Türkei und dem VAE-Kronprinzen damit zusammenhängen könnte.

Pekers Sturz ist Aufstieg Çakıcıs

Indes ist der Grund für sein Exil ein anderer. Die türkische Regierung hat mittlerweile einen anderen Mafia-Paten für die „Drecksarbeit“ auserkoren: Alaattin Çakıcı. Der 68-Jährige aus Fındıklı ist ein verurteilter Straftäter aus dem Bereich der organisierten Kriminalität und eine bekannte Führungsfigur der gewaltbereiten rechtsextremen Grauen Wölfe („Ülkücü“).

Seine Eltern stammen ursprünglich aus dem Kaukasus. Aufgrund einer Blutfehde zog es die Familie Çakıcı samt zwei Töchtern und drei Söhnen, darunter auch Alaattin, nach Istanbul. Das hindert ihn nicht daran, das türkisch-völkische Gedankengut zu idealisieren.

Çakıcı für die MHP auf der Straße

Çakıcı wurde bereits als Kind und Jugendlicher straffällig. In Istanbul wurde er als junge Mann wegen Anstiftung zum Mord an einem Blumenhändler verurteilt. Etwa zur gleichen Zeit zog es seine Familie hin zur nationalistischen Partei MHP. In den 1970er-Jahren richtete sich ihre Politik gegen die Sozialisten und mündete in einem Bürgerkrieg.

Çakıcı beteiligte sich an den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten. Einer seiner Onkel wurde getötet, auf seine Schwester gab es einen Brandanschlag und schließlich wurde sein Vater 1980 bei einem Überfall ermordet. Im selben Jahr putschte das türkische Militär 1980. Zehntausende wurden festgenommen, darunter auch Çakıcı.

Çakıcı etablierte Korruptionssystem

Obwohl er wegen fehlender Beweise nach zwei Jahren freikam, knüpfte er hinter Gittern wichtige Kontakte. Aus der Haft entlassen, beging er weitere Verbrechen und verdiente sich in der Unterwelt einen Ruf durch Schutzgelderpressung und dem Eintreiben von Spielschulden. Zudem entwickelte Çakıcı eine Korruptionsmaschinerie mit.

Alaattin Çakıcı in seiner Jugend bei den Ülkücü. Quelle: ekşi sözlük

Dabei handelt es sich um Scheingeschäfte, wobei sich die Beteiligten Steuern für nicht-getätigte Exporte ins Ausland zurückerstatten ließen. Çakıcı raubte also den Staat aus, für den er heute seinen Worten nach bereit ist, zu sterben.

Çakıcı ließ seine Ex töten

Im Dunste dieser Ereignisse heiratete er 1991 Nuriye Uğur Kılıç, die Tochter des bekannten Mafia-Paten Dündar Kılıç. Doch die Ehe hielt nicht lang. Aufgrund von Untreue zerbrach die Beziehung nach nur drei Jahren. 1995 wurde Çakıcı angeklagt.

Alaattin Çakıcı mit seiner Ex-Frau, die er ermorden ließ. Quelle: ekşi sözlük

Er soll den Auftrag gegeben haben, seine Ex-Frau zu töten. Daraufhin floh Çakıcı außer Landes und tauchte in Frankreich unter, wo er 1998 inhaftiert wurde. Bei seiner Verhaftung hatte Çakıcı drei Pässe bei sich, darunter einen Diplomatenpass. Frankreich lieferte ihn dennoch an die Türkei aus. Erst 2002 kam er auf Bewährung frei.

Haft, Flucht, Haft – Amnestie wegen Covid-19

Nur zwei Jahre später wurde Çakıcı, diesmal in Österreich, verhaftet und wieder an die Türkei ausgeliefert. Diesmal wurde er für den Femizid [Mord durch einen Mann oder Männer an Frauen aufgrund ihres Geschlechts, Anm. d. Red.] an seiner Ex-Frau zu 19 Jahren Haft verurteilt.

Damit nicht genug: In Haft griff er zwei Gefängniswärter an, sie erlitten schwere Knochenbrüche. Doch im April 2020 änderte sich plötzlich alles für den Mafia-Paten. Die türkische Regierung erließ wegen der Covid-19-Pandemie ein Gesetz, das 90.000 Gefängnisinsassen die Freiheit schenkte. Während viele türkische Oppositionelle, Andersdenkende und Gülen-Anhänger:innen nicht von der Amnestie profitierten, wurde der Mörder Çakıcı entlassen.

Çakıcı beweist Einfluss Devlet Bahçelis auf die Regierung

Das sorgte in der Türkei für Aufruhr. Schließlich wurden im Land trotz der Pandemie neue Gefängnisse errichtet. Hinzu kommt: Der türkische Staat verhaftet unter der Führung des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seinem Koalitionspartner Devlet Bahçeli weiterhin willkürlich Frauen und ältere Menschen – ungeachtet der Tatsache, dass diese Menschen zum Teil tödlich erkrankt sind.

Kritische Stimmen bemängeln, die Regierung nutze Covid-19 als Vorwand, um kriminelle Kader aus der Haft zu entlassen. Insbesondere die Nähe zwischen Çakıcı und Bahçeli irritiert. Denn bereits 2018 besuchte der MHP-Chef Çakıcı medienwirksam in der Haft. Die Freilassung unterstreicht den Einfluss der Mafia auf die MHP und damit indirekt auf die Regierung.

Alaattin Çakıcı nennt Devlet Bahçeli seinen „großen Bruder“. Quelle: ekşi sözlük

Sedat Peker verdrängt – Mafia in Staat implementiert

Zurück zu Peker: Der aufgrund seiner Veröffentlichungen über die korrupten Verhältnisse in der türkischen Politik weltweit berühmt gewordene Mafia-Boss saß bis zu Çakıcıs Freilassung fest im Sattel. Er umgarnte Minister, wurde mit Preisen ausgezeichnet und galt als Verteidiger der AKP auf den Straßen.

Doch mit Çakıcıs Amnestie begann das Ende seines Imperiums. Nun lebt der gewitzte Baron in Dubai und ist bis auf Weiteres von der Außenwelt abgeschirmt. Seine Veröffentlichungen wurden seitens der Emirate unterbunden.

Çakıcı schreibt Briefe per Hand und twittert sie als Foto

Çakıcı ist indes Teil des Establishments in der Türkei geworden. Mit einem handschriftlich verfassten Brief bedankte er sich bei Bahçeli und Präsident Erdoğan. Darin hieß es: „Im Namen aller freigekommenen Häftlinge möchte ich dem MHP-Vorsitzenden und der letzten lebenden Legende aller Türken der Welt, dem Turkmenen-Anführer Devlet Bahçeli, und dem anderen Architekten dieses Gesetzes, Präsident Tayyip Erdoğan, der seit vier Jahren für den Fortbestand unseres Staates dem westlichen Imperialismus die Stirn bietet, meinen Dank aussprechen und tiefsten Respekt zollen.“

In anderen Briefen sprach Çakıcı Drohungen gegen Oppositionspolitiker aus. Dazu laufen bereits Ermittlungen. Nun legte Çakıcı mit einem neuen Brief nach.

Alaattin Çakıcı ist noch ein Mann der alten Schule und schreibt Briefe per Hand. Via Twitter @alaattincakici

Darin fordert er die Regierung auf, drei der von der CHP verwalteten Kommunen zu überprüfen und gibt Hinweise auf eine mögliche Korruption. Belege lieferte Çakıcı nicht.

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