Gesellschaft
„China Cables“ belegen Unterdrückung der Uiguren
Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber Uiguren wurden von China bis dato geleugnet. Jetzt veröffentlicht eine Gruppe investigativer Journalisten die „China Cables“, in der ein seltener Einblick in die Unterdrückungsmaschinerie von China gegeben wird.
Lange Zeit lehnte China Berichte über Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber Uiguren als „Fake News“ ab. Demnach waren hunderttausende Uiguren in Umerziehungslager gesteckt und misshandelt worden. Jetzt zeigen vertrauliche Papiere, wie perfide das Überwachungssystem in China ist und wie mit Inhaftierten umgegangen wird.
Gehirnwäsche statt Berufsbildung
Geheime Dokumente der Kommunistischen Partei enthüllen die systematische Verfolgung der Uiguren und Anleitungen zur massenhaften Internierung der muslimischen Minderheit in Nordwestchina. Die „China Cables“, die das Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) veröffentliche, geben einen seltenen Einblick in die Unterdrückungsmaschinerie. Sie zeigen, dass die in Peking als „Weiterbildungseinrichtungen“ bezeichneten Lager in Wirklichkeit streng bewachte Einrichtungen zur Umerziehung sind. Auch widerlegen sie wiederholte Aussagen der chinesischen Regierung, wonach der Aufenthalt darin freiwillig sei.
Uiguren in China
Schätzungsweise zehn Millionen Uiguren leben in China, die meisten in Xinjiang . Sie sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen wirtschaftlich, politisch und kulturell unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan China einverleibt. Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor.
Nach Schätzungen von Menschenrechtlern sind Hunderttausende bis eine Million Uiguren in solche Umerziehungslager gesteckt worden − in der Regel für mindestens ein Jahr, wie aus den geheimen Dokumenten hervorgeht. Die Unterlagen zeigen zudem, wie Uiguren gezielt überwacht und eine große Datenbank alle möglichen Informationen sammelt, um Verdächtige zu ermitteln. Im Ausland nutzt China seine Botschaften und Konsulate, um Uiguren zu bespitzeln. Wenn Verdächtigte wieder nach China einreisten, würden sie interniert.
75 Journalisten arbeiten an „China Cables“
Die Dokumente aus den Jahren 2017 und 2018 wurden dem Konsortium von Exil-Uiguren zugespielt. Weltweit haben mehr als 75 Journalisten von 17 Medien die Papiere ausgewertet, darunter NDR, WDR und „Süddeutsche Zeitung“. Mehrere sind vom damaligen Vize-Parteichef in Xinjiang, Zhu Hailun, unterzeichnet. Die „China Cables“ zeichnen mit Regierungsunterlagen, die die „New York Times“ vor gut einer Woche veröffentlichte, das Bild eines Überwachungsstaates in Xinjiang.
Zu den „China Cables“ gehören eine Anleitung zum Betrieb von Lagern, vier Bekanntmachungen zu der Überwachungsdatenbank sowie das Urteil gegen einen Uiguren. Auf Anfrage der „Süddeutschen Zeitung“ verwies Chinas Botschaft in Berlin auf Verlautbarungen, wonach es sich bei den Lagern um Maßnahmen zur „Terrorbekämpfung und Deradikalisierung sowie zur beruflichen Aus- und Weiterbildung“ handele.
Zweifel an Existenz der Internierungslager in Xinjiang „endgültig ausgeräumt“
In einer „Stellungnahme zur weiteren Verstärkung und Standardisierung von Erziehungs- und Ausbildungszentren für berufliche Fertigkeiten“ der Rechtskommission von Xinjiang von 2018 werden laut „Süddeutsche“ mehr als zwei Dutzend Regeln für den Betrieb der Lager aufgelistet. Nach Angaben des Konsortiums dargelegt, wie Internierte beim Toilettengang, Schlafen und Unterricht zu überwachen seien. Auch von „Züchtigung“ und „Methoden der zwangsweisen Indoktrination“ ist die Rede. Ein „Punktesystem“ gebe Strafen oder Belohnungen vor. Die „China Cables“ belegen auch, dass die Behörden in einer einzigen Woche im Juni 2017 insgesamt 15.638 Uiguren festgenommen und in Lager gesteckt hätten.
Sanktionen gegen China?
„Die China Cables räumen endgültig alle Zweifel an der Existenz der Internierungslager in Xinjiang aus“, sagte Gyde Jensen, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages in Berlin. Entgegen allen Behauptungen aus Peking belegten sie „systematische Gewalt und Verfolgung“. „Peking muss sich gegenüber der internationalen Gemeinschaft für diesen kulturellen Genozid verantworten“, sagte die FDP-Politikerin. „Im Fall solcher schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen ist der Zeitpunkt erreicht, an dem Europa und die Bundesrepublik konkrete Sanktionen erwägen sollten.“
Auch die Bundesregierung hat „mit größter Sorge“ auf neue Enthüllungen über die Verfolgung der muslimischen Uiguren in China reagiert. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts sagte am Montag, man sei seit geraumer Zeit mit der chinesischen Führung in „sehr ernstem Gespräch“ über das Thema und fordere eine Verbesserung der Menschenrechtssituation sowie den Zugang internationaler Experten zu der von den Uiguren bevölkerten Region. Sanktionen gegen China sind allerdings nicht geplant, ebenso wenig wie eine Einflussnahme auf deutsche Unternehmen, die in der Region investieren wollen.
Junge Uigurin traumatisiert: „Ich habe sie angefleht, mich zu töten“
Eine junge uigurische Frau, die ein Internierungslager überlebt hat, schilderte kürzlich gegenüber Journalisten in Washington ihre Erfahrungen. Sie sei dreimal verhaftet und in diese Lager gebracht worden, behauptet Mihrigül Tursun. „Anstatt diese Folter zu erleben, würde ich lieber sterben. Deshalb habe ich sie angefleht, mich zu töten“, so die 29-jährige. Sie soll vier Tage lang ohne Schlaf verhört worden sein. Man habe ihr auch die Haare abrasiert. Tursun ist nach eigenen Angaben in China geboren und aufgewachsen. Nach einiger Zeit ist sie nach Ägypten ausgewandert und hat dort geheiratet. 2015 kehrte sie zurück in ihre Heimat, um ihre Familie zu besuchen. Dort wurde sie allerdings sofort festgenommen. Eines ihrer Kinder kam in der Zeit ihrer Abwesenheit ums Leben. Sie wurde zwar nach drei Monaten wieder freigelassen, doch man nahm sie anschließend zwei weitere Male fest.
Überwachungskameras in den Toiletten
Teilweise habe sie in engen Zellen mit etwa 60 Frauen zusammen verweilen müssen. Weil zu wenig Platz in der Zelle gewesen sei, hätten die Frauen abwechselnd schlafen müssen. In den Toiletten seien Überwachungskameras installiert gewesen. Außerdem habe man sie gezwungen, Medikamente einzunehmen, bei denen sie nicht wusste, welche Wirkung sie hatten.
Sie sei außerdem Stromschlägen ausgesetzt worden. „Mein Körper zitterte gewaltig, während ich den Schmerz in meinen Adern spürte. Es kam weißer Schaum aus meinem Mund. An den Rest kann ich mich nicht mehr erinnern“, sagt die junge Frau. Nach ihrer Freilassung ging Tursun sofort zurück nach Ägypten und setzte sich mit der US-Botschaft in Kairo in Verbindung. Heute lebt Tursun mit ihrer Familie im US-Exil.
Auch eine junge Bloggerin machte diese Woche auf die Unterdrückung der Uiguren aufmerksam. Das Mädchen Feroza Aziz nutzte dafür die Plattform „TikTok“. In dem Video spricht sie eigentlich über MakeUp-Tipps. Ergebnis der versteckten Kritik: Ein Monat Sperre in China und mehrere Millionen Viewer.
Mit Material von dpa