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Kolumnen

Von der Demokratie zur Diktatur

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Wenn es um die Beseitigung der Diktatur und den Übergang zur Demokratie geht, weiß jeder, wie das geht. Aber niemand denkt an die Demokratie-Verdrossenen, die lieber jemanden wollen, der sagt, wo es lang geht. Hier einige nützliche Tipps. (Foto: reuters)

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Wie gehen Regimewechsel vonstatten? Wie man von der Diktatur zur Demokratie kommt, hat der amerikanische Politikwissenschaftler Gene Sharp darzulegen versucht.

In seinem kleinen Werk mit dem Titel „Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leitfaden für die Befreiung“ versucht er, Antworten zu geben. Verfasst vor über 30 Jahren, soll das kleine Werk in über 30 Sprachen übersetzt worden sein.

Ursprünglich für die Demokratiebewegung in Myanmar (Birma) geschrieben, soll dieses Werk auch eine Rolle bei den Befreiungsbewegungen in Serbien, Georgien, Kirgisien, Belarus und zuletzt bei den Aufständen des Arabischen Frühling gespielt haben.

Vergegenwärtigt man sich die Berichte von Freedom House, wird auch verständlich, warum das Werk eine solche Verbreitung fand: Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in unfreien oder nur teilweise freien Ländern.

Wie verdient man sich eine Diktatur?

Es gibt aber auch die andere Seite der Medaille. So wie es Diktatur-Unzufriedene gibt, so gibt es auch Demokratie-Verdrossene. Aber diese Menschen haben keine Anleitung, keinen Leitfaden, wie sie vorzugehen haben.

Stellen wir also die Frage noch mal: Wie verdient man sich die Diktatur? Wie geht ein Regimewechsel von einer halbwegs funktionierenden Demokratie zur Diktatur vonstatten?

Es sei hier noch hinzugefügt: Hierbei handelt es sich weder um eine rein gedankliche, noch um eine sportliche Übung. Ein konkreter Anlass ist gegeben: In der Türkei hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan seit dem 17. Dezember eine Menge in dieser Richtung unternommen.

Um die Aufmerksamkeit von den Korruptionsermittlungen abzulenken, hat er zunächst tausende Polizisten versetzt, dann in die Judikative eingegriffen und Staatsanwälten die Fälle weggenommen.

Erste Gelegenheit für die Demokratieverdrossenen

Danach hat Ankara mit einem Gesetz über den Obersten Rat der Richter und Staatsanwälte die Besetzung dieses Rats nach Parteienstärke durchgesetzt und die Judikative praktisch der Exekutive unterstellt.

Mit dem neuen Internetgesetz versucht er auch, Enthüllungen zwielichtiger Machenschaften auf dem Wege des Internets zu unterbinden. Kritische Zeitungen und Journalisten sowie ihnen nahestehende Wirtschaftsunternehmen sind offenem Druck ausgesetzt.

Erdoğan sieht die Kommunalwahlen im März als Gelegenheit, sich nachträglich die Bestätigung dieser Schritte durch das Volk zu holen. Er erklärt vorsichtshalber diese Wahlen zur letzten Etappe im so genannten „Befreiungskampf des Landes gegen innere und äußere Verschwörer“.

Wie wird sich das türkische Wahlvolk entscheiden? Obwohl es sich im März um Kommunalwahlen handelt: Werden sie diese Schritte mit ihren Stimmen für die AKP-Kandidaten bestätigen? Oder werden sie sagen: Nein, wir wollen eine solche Türkei nicht?

Votum gegen Demokratie mit Spannung erwartet

Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Und es ist keineswegs sicher, dass sich das Wahlvolk gegen diese Schritte wendet.

Bekanntlich entstehen auch Diktaturen mithilfe zumindest eines Teils des Volkes; für diesen Teil des Volkes kann Gene Sharp keine Hilfe anbieten, weil er völlig in die entgegengesetzte Richtung geht. Was also tun?

Ich hätte da aber vielleicht ein paar Tipps, die beim Wechsel von der Demokratie zur Diktatur hilfreich sein könnten.

Unseren türkischen Wahlmitbürgerinnen und -mitbürgern, die etwas in die Tiefe gehen wollen, könnte ich auch das kleine Büchlein von George Orwell namens „Farm der Tiere“ empfehlen. Da gibt es noch zusätzlich nützliche Verhaltens-Hinweise.

Auf dem Schild steht: "Ohne freie Presse existiert keine Demokratie"

Habe Mut, dich deines eigenen Unverstandes zu bedienen!

1. Eine Grundvoraussetzung beim Übergang zur Diktatur dürfte sein, den eigenen Verstand abzuschalten und sich der Verblendung seitens der Machthaber kritiklos auszuliefern. Was ist darunter zu verstehen? Was ist Verblendung?

„Verblendung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Mündigkeit. Mündigkeit ist das Vermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Mündigkeit, weil es erarbeitet ist, obwohl man alles auch viel bequemer haben könnte.“

Also:

„Ignorare aude! Habe Mut, dich deines eigenen Unverstandes zu bedienen und dich dem Kollektivgeist zu ergeben!“

Kritik abschalten – Kopf freihalten!

2. Eine weitere nützliche Voraussetzung dürfte es sein, sich den Einschmeichelungen seitens der Machthaber kritiklos zu ergeben. Den Wachrufern narzisstischer Gefühle sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene ist unbedingter Glaube und Folge zu leisten.

Machthaber könnten sich genötigt sehen, obwohl sie vom Wahlvolk im Einzelnen nicht viel halten, die kollektive Identität, das nationale Interesse sowie die nationale Größe zu beschwören.

Dahinter bestimmte Interessen zu vermuten dürfte nur unnötiges Kopfschmerzen verursachen. Also: Besser gleich das Denken einstellen!

Wenn diese Haltung nicht hilfreich wäre, hätte dann das deutsche Volk Hitler Folge geleistet? Hitler am meisten unterstützt, als es um den Frankreich-Feldzug ging, um die Beseitigung der Schmach von Versailles?

Warum Kontrolle Mist ist

3. Auch ist es wichtig, in sich das Misstrauen abzuschalten und den Politikern unbedingten Glauben zu schenken. Unnötige Beschränkungen der Machthaber machen das Regieren komplizierter und kosten einfach Zeit. Dabei ist Zeit doch Geld.

Teilung ist immer schlecht, auch die Gewaltenteilung gehört dazu. Zudem sind solche Maßnahmen ein Misstrauensbeweis und sorgen für unnötige Kränkungen der Machthaber.

Nicht umsonst hat sich da der Slogan unzählige Male bewährt und bewahrheitet: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist Mist!