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Politik

„Der Türkische Frühling fand bereits am 3.November 2002 statt“

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Als Reaktion auf die jüngsten landesweiten Demonstrationen hielt Premierminister Erdoğan in Ankara und Istanbul außerordentliche Kundgebungen ab. Interesse und Beteiligung waren beachtlich. Die Rede ist von etwa 1 Million Teilnehmer.(Foto: cihan)

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„Der Türkische Frühling fand bereits am 3.November 2002 statt“
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Es ist Wochenende. Eine immense Euphorie ist zu spüren. Dichter Verkehr und von Menschen überfüllte Straßen markieren diesen Sonntag. Ringsum hängen türkische Fahnen und Parteiflaggen der AKP von den Balkonen. Selbst aus anderen Regionen nehmen zahlreiche Besucher teil, die mithilfe von hunderten von der Partei organisierten Bussen angereist sind.

Auf dem Kazlıçeşme-Platz in Istanbul-Zeytinburnu haben sich Berichten zu folge mehr als 1 Million AKP-Anhänger versammelt. In den Eingängen die zum Platz führen werden scharfe Sicherheitskontrollen durchgeführt. Ein Häuserblock ist mit zwei imposanten Bildern bedeckt. Auf dem einen ist Staatsgründer Atatürk zu sehen; daneben das Bild von Erdoğan. Der Kazlıçeşme-Platz war auch in den letzten Jahren schon für überdimensionale Kundgebungen genutzt worden und ist einer der Orte in der Metropole Istanbul, der offiziell für große Massenveranstaltungen zugelassen ist.

Für die AKP ist dieser Ort von symbolischer Bedeutung: Hier versammelten sich einst Massen für eine bessere Demokratie – im Zusammenhang mit der einst von der Militärjunta entworfenen Verfassung, die durch ein Referendum in eine zivilrechtliche überarbeitet werden sollte. Auf einem Banner ist ein Hinweis auf den Balyoz-Putschversuch durch die türkischen Streitkräfte während Erdoğans Amtszeit zu lesen: „Was nicht mit dem Hammer (Balyoz) zu verwirklichen ist, kann auch nicht mit Geschirr realisiert werden!” Die Aktivisten vom Gezi-Park hatten nämlich eine landesweite Protestaktion mit dem Trommeln auf Töpfen mit Kellen organisiert.

Um 18.00 Uhr Ortszeit beginnt der Auftritt des Ministerpräsidenten Erdoğan auf der Bühne. Er scheint unbeeindruckt von den Aktionen der Gezi-Park-Aktivisten zu sein. Fast alle nationalen TV- und Radiosender unterbrechen ihre Übertragung und sind auf die Ansprache Erdoğans fixiert. Großer Jubel und Enthusiasmus bricht unter den Teilnehmern aus. Erdogan: „Wollt ihr die nationale Willenskundgebung anstreben; wollt ihr Demokratie; wollt ihr die Wahlurne?” Aus Hunderttausenden Kehlen hallt dem Premierminister ein „Ja“ entgegen.

„So lange Gott es erlaubt, werden wir fortfahren“

„Dieses Volk erweist der Regierung seine Treue. Unabhängig von politischen Ansichten, der ethnischen Herkunft, der Konfession oder Disposition haben sich alle hier versammelt, um ihre demokratischen Rechte auszuüben” so der 59-Jährige, der nun seit mehr als 10 Jahren das Amt des Premierministers ausübt.

Die Kundgebung wurde als Antwort auf die Protestaktionen der letzten Wochen mit dem Slogan „Lasst uns Schluss machen mit dem Spiel und Geschichte schreiben!” organisiert. Der Ministerpräsident ist der Ansicht, dass der wirtschaftliche Aufstieg der Türkei durch gegnerische Mächte aufgehalten und hierfür extremistische Demonstranten zur Durchführung entsprechender Aktionen eingesetzt werden sollen.
„Diese Versammlung zeigt den wahren Willen des Volkes”, bemerkt Erdoğan und fährt fort: „Genau wie Menderes und Özal haben wir uns im Leichenhemd auf diesen Weg begeben; seid unbesorgt, denn wir haben sehr schwierige Zeiten, wie Parteiverbotsverfahren, Putschversuche und Terrorismus überwunden. Solange Gott es erlaubt, werden wir fortfahren.”

Auf einem weiteren Plakat steht „Wir werden unseren Premierminister nicht den Händen der Feinde überlassen!”

Erdoğan setzt seine Rede fort: „Die Taksim-Demonstranten bezeichnen mich als Diktator. Ich habe sieben Vertreter der Taksim-Plattform empfangen und mir ihre Sorgen und Beschwerden angehört. Ich frage mich, ob je ein Diktator in dieser Form existiert hat.”
Ein Parteimitglied unterstreicht, dass sich nicht einmal vor den nationalen Wahlen derart große Massen mobilisieren ließen. Auch wenn Recep Tayyip Erdoğan die Kundgebungen in Ankara und Istanbul als Wahlkampf für die in sieben Monaten bestehenden Wahlen bezeichnet, sind auf allen Seiten der Kundgebung Banner mit der Aufschrift „Respekt für den nationalen Willen!” zu sehen. „Diese Versammlung hat keinen ideologischen Charakter”, sagt der Redner und setzt fort: “Das Volk wünscht sich weiterhin Stabilität, denn nach fast 30 Jahren Kampf gegen den Terrorismus sind wieder Ruhe und Frieden in das Land eingekehrt. Dazu hat Erdoğan viel beigetragen.”

Raue Kritik an EU und internationaler Presse

Von der Drohung der EU, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auszusetzen, zeigte sich der Premierminister unbeeindruckt: „ Wir benötigen keine Ermahnungen seitens der EU. Dazu ist die EU nicht berechtigt. Die Türkei ist ein Rechtsstaat und keine zweitklassige Demokratie. Der Beitritt ist unser Recht und wir müssen sicher keine Erwartungen an Gerechtigkeit und Fairness erfüllen. Auch anderswo ist niemand berechtigt, auf illegale Weise zu demonstrieren und Vandalismus zu betreiben. Selbst in den ältesten Demokratien der Welt wird bei Bedarf von Sicherheitskräften Tränengas eingesetzt. Das ist überall gleich.”
Bei der Kundgebung kritisierte Erdogan auch die internationale Presse. „Ihr als auswärtige Presse, seht her auf diese große, brüderliche und demokratische Versammlung! Diese widerspiegelt die Einheit der Türkei und nicht eure doppelbödige und bigotte Berichterstattung, die versucht, unser Land falsch darzustellen. Ihr habt die Demonstrationen als „Türkischen Frühling” getitelt. Das ist eine verfehlte Interpretation. Den Türkischen Frühling gab es nämlich schon, und zwar am 3. November 2002, an dem das Volk sich an der Wahlurne für uns entschieden hat.”