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Politik

Erdoğan irritiert über Überraschungskandidat İhsanoğlu

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Am Montag haben sich die Oppositionsparteien CHP und MHP auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten geeinigt: Ekmeleddin Ihsanoğlu. Die Entscheidung wird in der türkischen Öffentlichkeit heiß diskutiert.

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Die Kür des früheren langjährigen Präsidenten des Organisation für Islamische Zusammenarbeit, Ekmeleddin İhsanoğlu, zum gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten der Oppositionsparteien Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei; CHP) und Milliyetçi Hareket Partisi (Partei der Nationalen Bewegung; MHP), bewegt weiter die türkische Öffentlichkeit und wurde auch im Ausland mit großem Interesse verfolgt.

Der Überraschungseffekt war bei Anhängern und Gegnern der beiden Parteien in gleicher Weise groß. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan, der selbst Ambitionen auf das Amt des Präsidenten hat, scheint von der gemeinsamen Entscheidung der beiden Oppositionsparteien überrascht. Hier einige Stimmen aus Politik, Wirtschaft und nationalen wie internationalen Medien:

Ministerpräsident Erdoğan selbst gab sich im Bezug auf İhsanoğlu zurückhaltend. Auf dem Weg zu einem Besuch in Wien sagte er am Donnerstag: „In dieser Angelegenheit gibt es nichts zu sagen, die beste Antwort wird die Nation am 10. August selbst geben.“

Erdoğan noch zurückhaltend

Ertuğrul Günay, Kulturminister a.D.: „Herr Ihsanoğlu ist sehr gut ausgebildet und kennt sich in der Kultur und der Geschichte unseres Landes sehr gut aus. Abgesehen davon hat er auf internationalen Podien Führungsebenen besetzt und ist ein wichtiger Wissenschaftler. Er ist ein wirklicher Intellektueller. Ich gratuliere den Oppositionsparteien zu der überparteilichen und gelungenen Übereinkunft über den Kandidaten für die Präsidentschaftswahl. Hierzu kann ich sie nur beglückwünschen. Ich hoffe, dass dieser Kandidat durch die Öffentlichkeit auch die Akzeptanz in den Basen unterschiedlicher Parteien bekommt und in der zivilen Gesellschaft Aufmerksamkeit und Unterstützung erreicht. Die Kandidatur von Ihsanoğlu hat der Präsidentschaftswahl eine gewisse Qualität gebracht. Ihsanoğlu wird die Demokratie und die Brüderlichkeit in unserem Land verstärken. Durch seine Erfahrungen wird sich das Ansehen unseres Landes im Ausland verbessern. Ich wünsche ihm viel Erfolg.“

Belma Satır, Abgeordnete der Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP, Erzurum): „Egal, wie viel Stimmen die Parteien CHP und MHP bei den letzten Wahlen bekommen haben, sie haben eine bestimmte Wählerschaft. Aus diesem Grund ist es respektlos gegenüber den Wählern, keinen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen zu stellen. Das ist ein Zeichen des Misserfolges. Es ist auch seltsam, dass beide Parteien einen gemeinsamen Kandidaten nominieren. Sie werden gegenüber unserem Kandidaten keine Chance haben. Der Kandidat, den wir nominieren werden, wird schon  im ersten Durchgang erfolgreich sein.“

„Ihsanoğlu war eine gemeinsame Entscheidung“

Akif Hamzaçebi, CHP-Abgeordneter (Trabzon): „Nach vielen Gesprächen unseres Vorsitzenden, Herrn Kılıçdaroğlu, mit unterschiedlichen Menschen kam ein bestimmtes Profil für den Präsidentschaftskandidaten zustande. Herr Ihsanoğlu ist schließlich aus diesen Erkenntnissen heraus als möglicher Kandidat entstanden. Dies war eine gemeinsame Entscheidung. Wir haben den politischen Parteien und der Zivilgesellschaft nicht gesagt, „die und die Namen haben wir und die und die würden wir vorschlagen“. Gerade anders herum: Wir haben deren Empfindungen und Meinungen in unsere Entscheidung miteinbezogen. Das Amt des Staatspräsidenten ist ein Amt des Ausgleiches. Dass nun jetzt das Volk den Staatspräsidenten wählt, ändert auch die Stellung des Staatspräsidenten im Grundgesetz. Herr Ihsanoğlu ist ein Diplomat und ein Wissenschaftler. 2000 hat er die Verdienstmedaille bekommen. Er ist ein Kandidat, der zu allen Parteien denselben Abstand hat.“

Faruk Bal, MHP (Konya): „In der türkischen Republik wird zum ersten Mal der Staatspräsident vom Volk gewählt. Das Gesetz hierzu ist nicht ganz präzise und hat Fehler. Hier ist die Unterstützung der politischen Parteien für den Kandidaten für das Staatspräsidentenamt noch im Unklaren. Diese Lücke wird der oberste Wahlausschuss der Türkei (YSK) mit Vorgaben regeln. Wir als MHP werden Herrn Ihsanoğlu im gesetzlichen Rahmen in jeder Hinsicht unterstützen.“

Er hat eine Art, die verbindet und nicht trennt

Mustafa Güçlü Präsident des Unternehmerverbandes (ESIAD): „Herr Ihsanoğlu ist vor allem in der Wissenschaft und im internationalen Bereich sehr erfahren. Er hat eine Art, die verbindet und nicht trennt. Die Politik braucht so jemanden. Ich hoffe, dass seine Kandidatur diesen zusammenbringenden Prozess in der Politik unterstützt.“

Generalsekretär der CHP, Gürsel Tekin: „Dies ist eine große Zusammenkunft. Es ist nicht nur eine Zusammenkunft von zwei politischen Parteien, auch viele sonstige politische Parteien und zivile Organisationen außerhalb des Parlaments zeigen ihre Unterstützung an.

Wir haben keine Freunde mehr im Nahen Osten, außer Terrororganisationen. Herr İhsanoğlu kann eine entscheidende Rolle dabei spielen, dieses Problem zu überwinden.“

Mustafa Özkara, Präsident des Unternehmerverbandes für die Ägäis und der westliche Mittelmeerregion (ESIDEF): „Für die Wahl des Staatspräsidenten hatte die Opposition von Anfang an eine gemeinsame Linie verfolgt. Ich kenne Herrn Ihsanoğlu persönlich. Er war der Generalsekretär der Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC). Er hat internationale Erfahrung. Zum Islam und den Staaten im Nahen Osten hat er eine enge Beziehung. Herr Ihsanoğlu ist ein Konservativer. Er ist kein Mensch, der aus der CHP stammt. Aus diesem Grund kann es in der CHP zu Streitigkeiten kommen.“

Ümit Ülkü, Vorsitzende des Unternehmerbands (MÜSIAD) von Izmir: „Diesen Namen hätte ich nicht erwartet. Ich weiß nicht, was sie sich bei diesem Kandidaten überlegt haben. Ich glaube nicht, dass der Kandidat diese Arbeit erledigen kann. Für mich gäbe es andere, bessere Namen für die Kandidatur. Die auch die Türkei besser vertreten würden.“

Ahmet Aydın, AKP-Abgeordneter (Adıyaman): „Die Opposition hat keinen Kandidaten aus den eigenen Reihen gefunden. Sie sind in einem bemitleidenswerten Zustand. Diese Zusammenkunft der CHP mit der MHP ist deren Ende.“

Ender Yorgancılar, Vorsitzender der IHK für die Ägäis (EBSO): „Ich kenne Herrn Ihsanoğlu. Wir hatten ihn damals, als er noch Generalsekretär des OIC war, besucht. Er ist ein sehr korrekter Mensch.“

Stimmen aus den Medien

General-Anzeiger Bonn: İhsanoğlu soll für die türkische Opposition bei religiös-konservativen Wählern punkten und so dem Populisten Erdoğan das Leben schwer machen.

Der fromme Muslim İhsanoğlu wurde von der säkularistischen CHP und der nationalistischen MHP, den beiden größten Oppositionsparteien der Türkei, zum gemeinsamen Kandidaten ausgerufen. Seine Berufung wird von einigen Beobachtern als kluger Schachzug gelobt, ist aber auch ein unausgesprochenes Eingeständnis der Erdoğan-Gegner, dass wichtige Wahlen in der Türkei auf der rechten Seite entschieden werden. Ein linker Kandidat hätte keine Chance.

Die Deutsche Welle zitiert Mehmet Murat Pösteki vom Umfrageinstitut ORC: „Er hat keine Chance“, sagte Pösteki dem Sender mit Blick auf İhsanoğlu. Angesichts der relativen Unbekanntheit des Kandidaten hätte die Opposition ihren Bewerber schon im Frühjahr aufs Schild heben sollen statt so kurz vor der Wahl. Demoskop Gür verwies zudem auf die politische Unerfahrenheit von İhsanoğlu. Die erste Direktwahl des Staatspräsidenten im August werde de facto ein Präsidialsystem schaffen, weshalb ein gestandener Politiker der Richtige für das Amt sei. „Er ist ein guter Mann, aber kein Politiker“, sagte Gür über İhsanoğlu.

Al-Monitor: In seinem engeren Umfeld kennt man İhsanoğlu als eine Person von ausgeglichener, nachdenklicher und moderater Natur, und als Gentleman. Diese Eigenschaften zeichnen ein positives Profil, in einem starken Kontrast zum angriffigen und polarisierenden Charakter seines potenziellen Rivalen Erdoğan.

Auch internationale Medien kommentieren die Entscheidung

Mustafa Akyol, Hürriyet: Es ist nicht allzu überraschend, dass die Hardcore-Säkularisten in der Partei (CHP), die es nicht ertragen können, überhaupt irgendetwas zu sehen, was in irgendeiner Weise religiös ist, nicht allzu glücklich darüber sind. Eine davon, die militante Säkularistin Nur Serter, brachte dies sogar offen zum Ausdruck, indem sie sagte, sie würde sich „schämen“, dass ihre Partei „eine solche Figur“ unterstütze.

Was Leute wie Frau Serter nicht begreifen, ist, dass zumindest 80% aller Türken tief religiös sind oder die Religion zumindest sehr respektieren, und sie werden für immer eine kleine Opposition bleiben, es sei denn, sie realisieren dies und lernen, damit zu leben. Sie können damit beginnen, indem sie begreifen, dass ihr engstirniger und höchst autoritärer Säkularismus einer der Hauptgründe ist, warum Erdoğan weiterhin Wahlen gewinnt.

Mahmut Övür, Sabah: Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, Herrn İhsanoğlu bei einer Konferenz der Istanbuler Bahçeşehir Universität kennenzulernen. Er hat auf dieser Konferenz, die unter dem Motto „Global Leader Forum” veranstaltet wurde, eine kurze Rede gehalten.

Ich fragte mich schon damals, warum gerade Herr İhsanoğlu zu dieser Konferenz, an der auch etwa 15 ausländische Botschafter teilnahmen, eingeladen worden war. Und fand keine befriedigende Antwort auf meine Frage. Es kann gut sein, dass dort bereits die Aussaat für seine kommende Kandidatur stattgefunden hat. Herr İhsanoğlu hatte sich in der Schlussphase seiner neunjährigen Amtszeit als Vorsitzender der Islamischen Konferenz mit einigen kontroversen Handlungen für diese Kandidatur in Stellung gebracht. Er hat die Grausamkeiten von Syriens Diktator Assad nicht verurteilt und hat, ganz konform mit dem Westen, den Putsch in Ägypten nicht als Putsch klar benannt. So war er auch damit ganz auf Linie der amerikanischen Neocons.

Bloomberg: Die CHP blieb unterdessen in Atatürks Feuereifer gehüllt, um den Staat dazu zu benutzen, die Religion einzudämmen, ein verlorener Posten in einem Land, in dem die Mehrheit religiös konservativ ist und in erster Linie am Wohlstand interessiert. Erdoğans Vorgehen gegen die Pressefreiheit und grundlegende Bürgerrechte während der letzten zwei Jahre hat der CHP nun aber die Chance gegeben, die Stimmen jener Türken einzufangen, die zwar gläubig sind, aber gerne auch in einer modernen Wirtschaft leben und bürgerliche Freiheiten geachtet sehen wollen.