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Politik

Friedensprozess in der Türkei: „Scheitern ist keine Option“

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Der Friedensprozess in der Türkei bekommt ein neues Gesicht. Zahlreiche Künstler und Intellektuelle haben sich bereit erklärt, in der Bevölkerung für Akzeptanz und Unterstützung zu Gunsten der Aussöhnung in den Kurdengebieten zu werben. (Foto: iha)

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Friedensprozess in der Türkei: „Scheitern ist keine Option“
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Zahlreiche Prominenz war im historischen Dolmabahçe-Palast in Istanbul zusammengekommen, als der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan dort vor wenigen Tagen erstmals mit dem „Rat der Weisen“ zusammenkam, der helfen soll, das Vertrauen und die Akzeptanz der Bevölkerung für den Friedensprozess in den Kurdengebieten zu stärken.

Zu dem Treffen waren 62 Weise erschienen, überwiegend Journalisten, Schriftsteller, Akademiker, Künstler und Schauspieler. Erdoğan betrachtet den „Rat der Weisen“, der sich bereit erklärt hatte, in diesem Prozess aktiv mitzuwirken, als eine für das türkische Volk repräsentative Auswahl, die ihr Ansehen in der Bevölkerung zur Lösung des Terrorproblems in der Türkei in Erfolg versprechender Weise nützen könnten. Die Initiative ist vorerst auf die Dauer von zwei Monaten anberaumt. Dabei sollte der „Rat der Weisen“ ohne irgendwelche Vorgaben und in eigener Initiative handeln können.

Erdoğan sprach von den Fesseln des Terrors, die der Türkei seit mehr als 30 Jahren angelegt worden wären und die seine Partei seit ihrer Gründung zu brechen bemüht wäre. Trotz vieler Missstände sei seine Partei auch nicht von diesem Kurs abzubringen. In diesem Zusammenhang verwies Erdoğan unter anderem auf Fälle der Folter im Gefängnis von Diyarbakır und betonte: „Menschen, die den Weg des Terrors eingeschlagen haben, sind gleichermaßen für schuldig zu erklären wie Menschen, die erst die Basis hierfür schaffen.“

Des Weiteren betonte Erdoğan: „Dieser Friedensprozess soll dazu dienen, mit großer Sorgfalt verletzte Gefühle in der Gesellschaft wieder zu heilen, die Brüderlichkeit aufrechtzuerhalten, sowie die Waffen beiseite zu legen und den Akteuren des politischen Handlungsprozesses das Wort zu überlassen.

„Kein Vorwand mehr für Blutvergießen“

Dieser Weg sei nicht der Ausdruck von Nachgiebigkeit oder eines Verhandelns mit dem Terror und er sei auch kein Zeichen von Schwäche. Es sei vielmehr ein Ablauf, der dem Terror, der längst hätte vernichtet werden sollen, ein endgültiges Ende setzen soll. Das letzte Hindernis auf dem Weg zu einem Zusammenleben in Brüderlichkeit und einer starken Türkei sei zweifellos der Terror. „Mit der Ausschaltung der Terrorangriffe bezwecken wir nichts anderes als die Stärkung unseres Landes und Volkes“, betont der Ministerpräsident. „Für ein weiteres Blutvergießen gibt es jetzt keinen Vorwand mehr. Es ist an der Zeit, den Anforderungen des Gebotes der Brüderlichkeit zu genügen. Auch ist die Zeit gekommen, nicht das Leid, sondern die Freude über den gemeinsam errungenen Erfolg in den Vordergrund zu stellen. Nicht die Spaltung und die wechselseitige Abrechnung, sondern das Versöhnen und die Freude sind das Gebot der Stunde. Wir wollen, dass unsere hier anwesenden Freunde ihre Herzen für diesen Prozess einsetzen, sowie sie es für ihre Werke machen. “ In der Sitzung, die viereinhalb Stunden andauerte, meldeten sich 22 Teilnehmer zu Wort. Außer Fadime Özkan, die sich zu der Zeit im Ausland aufhielt, war der „Rat der Weisen“ vollzählig.

Ministerpräsident Erdoğan gab in seiner Rede des Weiteren zu bedenken: „Wir sind in der Vergangenheit hinsichtlich unseres Anliegens, den Terror auszuschalten, häufig allein gelassen worden. Während wir die Säulen des Terrors zerschlagen wollten, nutzten einige die angespannte Lage, um politisches Kleingeld zu wechseln. Es gab und gibt Menschen in diesem Land, die aus der Ermordung von jungen Leuten die Erhöhung von Zeitungsauflagen und Einschaltquoten verknüpfen wollten.“

Erdoğan schildert, wie steinig der Weg hin zum Friedensprozess war: „Es wurden Fallen aufgestellt und Graben ausgehoben. Viele haben versucht, uns von unserem Kurs abzubringen. Wir wurden mit Steinen beworfen, bedroht und angegriffen. Vom Verbotsantrag gegen unsere Partei bis hin zum Anschlag auf den Staatsrat, von undemokratischen Interventionsversuchen bis hin zu Sabotage und Provokationen mussten wir viele Barrikaden überwinden, jedoch haben wir niemals aufgegeben und unsere Hoffnung nie verloren.“

Die bleierne Zeit ist vorbei

Der Terror sei eine Marionette, so Erdoğan. Wer ihn nur als bewaffneten Angriff oder Einschüchterungsapparat sehe, der irre sich. Der Terror sei ein komplexes System mit ökonomischen, diplomatischen, sozialen, politischen und psychologischen Facetten. Er sei ein Mittel, um ein Land oder ein Volk in eine finstere Richtung zu weisen. Auch diene er dem Zweck, die Regierung funktionsunfähig zu machen, die Wahlen zu manipulieren und böswilligen Analysten den Weg zu ebnen. Bedauerlicherweise habe der Terror in den letzten 29 Jahren zum Teil diese Ziele erreicht.

Auch Komplizen der Terroristen tragen Schuld, so Erdoğan. Gleiches gelte für diejenigen, die zu den Waffen greifen und separatistisches Gedankengut verbreiten. Aber auch diejenigen verdienten Verachtung, die diese heikle Situation erst erzeugt hätten. Insbesondere die inhumanen Behandlungen von Inhaftierten im Gefängnis von Diyarbakir oder andere Fälle der Folter hätten erst zu der Gründung der Terrorzelle geführt. Neben dem blutrünstigen Terrornetz trügen auch die Kollaborateure eine große Verantwortung. Allein in den letzten Monaten hätten einige Politiker und Intellektuelle eine so fürchterliche faschistische Gesinnung offenbart, dass dieses zum Teil sogar eine noch schlimmere Verwüstung geschaffen hat als die Zerstörung durch den Terror in den letzten drei Dekaden.

Erdoğan mahnte eindringlich: „Scheitern ist keine Option. Das Problem bedroht nicht nur unseren inneren Frieden, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Solidarität, wir riskieren zudem unsere regionale Stärke, unsere Agenda 2023 und unsere Stabilität, die wir erkämpft haben. Diejenigen, die den Status quo ante als eine Lösung sehen, verstehen nicht, dass ihre Denkweise überholt ist. Diejenigen, die sich dem Friedensprozess widersetzen, möchten nur, dass das Blutvergießen andauert und die Türkei geschwächt wird. Diese Situation werden wir weder unserem Land noch unserem Volk zumuten.“

Der stellvertretende Parteivorsitzende der regierenden AKP, Hüseyin Çelik, zitierte wichtige Nachrichten von seinem Twitter-Konto. Anschließend kamen 22 Teilnehmer des „Rates der Weisen“ zu Wort. Der Rat will seine Aufgaben innerhalb von zwei Monaten abschließen.

„Tatar Ramazan“ und „Melek Anne“ sollen Beistand leisten

Ministerpräsident Erdoğan maß in seiner Rede den Schauspielern eine besondere Bedeutung zu. Er verwies auf die Charaktere, die diese verkörperten und nannte dabei die berühmte Schauspielerin Hülya Koçyigit. „Wir sehen eine „Melek Anne“ (die Engel-Mutter) in einer neuen Rolle, nachdem sie uns in ihrer Filmrolle zu erkennen gegeben hatte, dass alle Mütter Engel sind. Sie wird den engelähnlichen Müttern von Anatolien und Thrakien ihre Tränen trocknen.“

Auch der Schauspieler Kadir İnanır solle im Zuge dieses Prozesses eine ähnliche Rolle wie der einst von ihm verkörperte „Ramazan, der Tatar“ ausfüllen. Erdoğan zitierte dessen Äußerung aus dem Film: „Kunst ist, sein einziges Brot zu teilen.“ So soll sich auch İnanir als „Zivilist“ an die Tafeln des türkischen Volkes gesellen und der Brüderlichkeit im türkischen Volk Nachdruck verleihen.

Nicht zuletzt auch von dem legendären Sänger Orhan Gencebay erwarte Erdoğan, dass er, wie in seinem Lied: „Leid und Sehnsucht soll mir… mein Leben soll dir gehören“, eine Vision zeigt, um das Leid vergehen und die Sehnsucht im Volk nach Frieden weiter wachsen zu lassen.

Vorbereitungsarbeiten um zwei Monate verlängert

Im Anschluss an die Sitzung gaben die Teilnehmer des „Rates der Weisen“ auch Erklärungen gegenüber anwesenden Journalisten ab. Wir dokumentieren nachfolgend einige der Aussagen.

İzzettin Doğan, Vorsitzender der Cem-Stiftung: „Die Dauer der Arbeiten des Rates wurde von einem auf zwei Monaten erhöht. Es liegt im eigenen Ermessen der Gruppen, die den sieben Regionen der Türkei zugeordnet sind, welche Anstrengungen sie unternehmen. Wir werden uns bemühen, eine „Friedenskultur“ zu entfalten.“

Prof. Dr. Doğu Ergil: „In welcher Weise der Friedensprozess vorangetrieben werden soll, hat die Regierung den Kommissionen überlassen. Die Erwartungen, die in uns gesteckt werden, richten sich auf Anstrengungen unsererseits, dem Volk Impulse zu geben. Auch ist es unsere Aufgabe, dem Frieden eine sichtbare Form zu verleihen. Dies ist eine Form von Zivilcourage.“

Can Paker, Vorsitzender der TESEV-Stiftung: „Der Prozess hat erst begonnen. Ohne das Spielfeld betreten zu haben, kann man nicht wissen, wie man sein Spiel aufziehen soll.“

Der Geschichtsprofessor Mustafa Armağan fügte hinzu: „Der erste Bericht wird in 15 Tagen veröffentlicht werden. Die endgültige Dokumentation der Arbeiten soll nach zwei Monaten dargelegt werden. Die Marmara-Kommission, der auch ich angehöre, wird ihre Aufgaben ab morgen starten. Wir werden die Funktion haben, im Friedensprozess eine Beziehung zwischen dem Staat und dem Volk herzustellen.“

Ahmet Taşgetiren, Journalist: „Die Entscheidung über die Vorgehensweise der Gruppe liegt einzig und allein bei ihr selbst. Es gibt keinerlei Vorgaben seitens der Regierung. Der Premierminister wird lediglich alle 15 Tage eine Sitzung mit den Kommissionsvorsitzenden abhalten. Das Ziel der Anstrengungen ist die Vermittlung des Friedensprozesses gegenüber der Gesellschaft, die Weiterentwicklung der Friedfertigkeit und die Stärkung eines stabilen Fundaments für diesen Prozess.“