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Panorama

Germanwings-Absturz: „Bitte lass es keinen Muslim sein“

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Der Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine 9525 erschütterte ganz Deutschland. Als ich davon hörte, empfand ich neben Mitleid, auch Angst… Angst, mich wieder rechtfertigen zu müssen, wenn der Pilot ein Muslim gewesen wäre… (Foto: dpa)

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Der Co-Pilot des Germanwings-Flugzeuges brachte die Maschine bewusst in den Sturz.
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Stell dir vor, du wartest aufgeregt auf deine Kinder, um sie nach einer langen Reise in die Arme zu schließen. Stell dir vor, du sitzt im Flugzeug und kannst es kaum erwarten deiner Familie die kleinen Souvenirs von deiner Reise mitzubringen. Stell dir vor, du hast deinen harten Arbeitstag in einer anderen Stadt geschafft und freust dich darauf, dich zu Hause auszuruhen. Und stell dir jetzt vor, du wirst niemals ankommen. Stell dir vor, du wirst dein Kind nie wieder in den Arm nehmen können.  Stell dir vor,  du sitzt in diesem Flugzeug und weißt, dass du jetzt sterben wirst….

Die tragische Flugzeugtragödie von Germanwings Flug 9592, bei der 150 Menschen ums Leben kamen, erschütterte ganz Deutschland. Obwohl man fast tagtäglich mit Katastrophen aus der ganzen Welt konfrontiert wird, hat uns diese Katastrophe besonders mitgenommen. Es ist eben so, dass man den Schmerz erst nachvollziehen kann, wenn man ihn am eigenen Leibe erfährt oder Menschen aus unserer Mitte davon betroffen sind. Besonders, da es sich um eine Fluggesellschaft handelt, mit der fast jeder Deutsche oder Europäer bisher Erfahrungen gesammelt hat. Plötzlich wird jedem klar: „Ich hätte auch in diesem Flugzeug sitzen können“.

Es ist nicht nur eine tragische Geschichte, es sind 150 Einzelschicksale. Die Geschichte eines jeden Schülers aus Haltern, die sich auf dem Rückflug aus Barcelona befanden, wo sie bestimmt einen sehr schönen und prägenden Aufenthalt als Austauschschüler hatten.  Schüler, die mitten im Leben standen und sich kulturoffen auf die Reise begaben, um ihren Horizont zu erweitern. Es ist die Geschichte von zwei kleinen Babies, die gerade erst auf die Welt gekommen waren, um sich direkt wieder von ihr zu verabschieden. Es ist die Geschichte von einem frisch verheirateten marokkanischem Paar, das vier Tage vor dem Absturz seine Hochzeit in Barcelona gefeiert hatte und in dem Flugzeug auf ihr neues gemeinsames Leben zusteuerte, das sie niemals erleben sollten. Es sind Geschichten, die einem Tränen in die Augen treiben.

Kein muslimischer, sondern psychisch kranker Täter

Als ich von der Katastrophe hörte und erfuhr, dass es sich um ein deutsches Flugzeug handelte, zuckte mein Herz zusammen. Jeder meiner Familie oder Freunde hätte in diesem Flugzeug sitzen können. Ich betete dafür, dass niemand mir Bekanntes zu den Opfern gehörte. Es nahm mich bereits mit, dass mir fremde Personen auf diese Art ihr Leben verlieren mussten. Das Schlimmste daran war, dass so viele junge Menschen in dem Flugzeug saßen. Das einzige, was mich trotz dieser schrecklichen Katastrophe im ersten Augenblick erleichterte, war, dass der Tot dieser unschuldigen Menschen dieses Mal nicht durch Menschenhand herbeigeführt wurde. Doch ich sollte mich täuschen.

Wenige Tage danach zeigten die neuen Ergebnisse der Ermittler, dass der Co-Pilot den Sturz bewusst herbeigerufen hatte. Der erste Gedanke, der mir bei dieser Information durch den Kopf ging war: „Bitte lass es keinen Muslim sein!“ Im Nachhinein ärgerte ich mich über diesen Gedanken. Mir wird bewusst, dass ich bei solchen Nachrichten als erstes nicht Mitleid, sondern Angst empfinde. Ich habe Angst davor für grausame Taten, die Menschen im Namen des Islam begehen, mitverantwortlich gemacht zu werden. Ich habe Angst davor, mich rechtfertigen zu müssen, wieso der Täter aus der selben Religionsgemeinschaft kommt wie ich.  Ich habe Angst davor aufgrund meines Glaubens, auch als geistige Mittäterin an den Pranger gestellt zu werden.

Die Nachricht, dass es sich dabei nicht um einen Muslim oder eine Person mit Migrationshintergrund handelt, erleichtert mich ein wenig. Dass heißt nicht, dass mich die Situation nicht genauso mitnimmt wie alle anderen. Doch ich bin erleichtert, mich nicht wieder einmal erklären zu müssen.

Germanwings-Absturz: Mitleid und Angst

Dass der Co-Pilot unter psychischen Problemen litt, war zu erwarten. Mit einer anderen Erklärung habe ich nicht gerechnet. Seine Religionszugehörigkeit spielte bei der Berichterstattung selbstverständlich überhaupt keine Rolle. Es handelte sich um einen depressiven Mann, der an dem Tag sogar krank geschrieben gewesen sein soll. Doch die Gründe sind mir ehrlich gesagt egal. Dass er psychische Probleme hatte, rechtfertigt seine Tat nicht. Will man mit dieser Information Mitleid erregen? Ich weiß es nicht. Ich verstehe einfach nicht, wie jemand, der nicht mehr Leben will, andere unschuldige Menschen mit in den Tod reißt.

Ich wünsche den Familienangehörigen der Opfer viel Kraft, um diese schreckliche Trauerzeit zu überwinden. Vielleicht saßen wir nicht genau in dieser Maschine, doch sitzen wir im Endeffekt nicht alle in einem Flugzeug? Es geht auf und ab, es bleibt ruhig und manchmal wird es auch turbulent. Wir lassen uns vom Wind treiben und fliegen höher und mal tiefer und wenn es doch zu einem Absturz kommt, so nehme ich aus meinem Glauben die Gewissheit, dass der Tod nicht das Ende ist und dass wir danach auf etwas viel Größeres, Erhabeneres aufblicken können…