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Politik

„Haben Sie denn gefragt, wofür die Waffe sein soll?“

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Am fünften Tag des Prozesses gegen fünf mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer des NSU kam es endlich zu der lang erwarteten Aussage eines der Angeklagten, der dem NSU nach eigener Aussage die Tatwaffe besorgt habe. (Foto: epa)

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„Haben Sie denn gefragt, wofür die Waffe sein soll?“
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„Wohlleben fragte mich, ob ich den drei Untergetauchten helfen könne“, beginnt der im Zeugenschutzprogramm des BKA befindliche Angeklagte Carsten Schultze seine Aussage vor Gericht. Ralf Wohlleben ist ein führender Funktionär der NPD, der direkt neben dem Neonazi Schultze auf der Anklagebank in München sitzt. Mit „den drei“ sind die drei mutmaßlichen NSU-Mitglieder gemeint, die neun Ausländer mit einer Pistole erschossen haben sollen: die beiden verstorbenen Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sowie die ebenfalls in München Angeklagte Beate Zschäpe.

Schultze, der ein dunkelblaues Hemd trägt und mit stark nach vorn gesenktem Kopf spricht, antwortet auf entsprechende Nachfrage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, er habe die drei unterstützt, obwohl er bereits durch die Presse erfahren habe, dass die drei untergetaucht seien.

Schultze sagt, die zwei Uwes hätten ihn gebeten, dem Trio ein Telefon zur Verfügung zu stellen für Telefonate mit ihnen, um an Wohlleben so Informationen über Termine und Gesprächsinhalte weiterzugegeben. Er habe auch Geldüberweisungen getätigt. „Ich habe nichts selbst entschieden, sondern alles mit Wohlleben besprochen“, bekennt Schultze. Die Mailbox des von Schultze eingerichteten Anschlusses hörte er dann alle zwei Wochen für Wohlleben ab, um so stets die Vermittlung von Nachrichten zwischen den Untergetauchten und ihren Helfern zu ermöglichen. Wohlleben, im eleganten schwarzen Hemd und Bordeauxroten V-Kragenpullover gekleidet, spitzt die Lippen, presst seine beiden Hände zu einer Faust zusammen. Zschäpe spielt nervös mit dem Ladekabel vom Handy ihres Rechtsanwalts.

Auf Geheiß von Mundlos und Böhnhardt Zschäpes Wohnung aufgebrochen

„Ende 1998 baten mich die zwei Uwes, die Wohnung von Beate Zschäpe aufzubrechen. Sie wollten die Akten und die Ausweispapiere“, fährt Schultze fort. „Das habe ich dann auch gemacht, das war aber nicht so einfach, es hat schon drei, vier Mal richtig Rums gemacht im Haus, bis ich die Tür aufgebrochen hatte.“ Mit Wohlleben habe er dann die Ausweise nach dem Einbruch hinter einer Scheune vergraben, die Akten im Lagerfeuer verbrannt und die Tasche mit Steinen im Fluss versenkt. „Ich wusste aber nicht, warum das jetzt sein musste, das mit dem Einbruch“, redet sich Schultze raus. „Bis heute ist mir diese Aktion nicht richtig schlüssig.“ Dann habe er von Wohlleben die Order erhalten, für das Trio ein Motorrad zu besorgen, belastet Schultze den rechts neben ihn sitzenden Wohlleben weiter. Wohlleben presst nun den rechten Zeigefinger auf seine Lippe. Wohlleben und er seien mit einem Bolzenschneider losgezogen und hätten dann ein Schloss geknackt und das Motorrad an anderer Stelle unter einer Plane versteckt. Oft spricht Schultze nur von „wir“ – etwa wenn Schultze sagt: „Wir haben die Telefone hin- und hergegeben“ – und wird dann immer wieder von Richter Götzl daran erinnert, zu präzisieren, wer genau mit „wir“ gemeint sei. „Wohlleben und ich“, antwortet Schultze dann stets.

„Als nächstes kam der Wunsch nach der Waffe“, sagte Schultze. Ein Raunen geht durch den Saal. Auf diesen einen Satz warteten Nebenkläger und Zuschauer seit langem. „Können Sie sich denn noch konzentrieren?“, fragt Götzl den Angeklagten, denn es wird zu diesem Zeitpunkt bereits seit acht Stunden verhandelt. Götzl ist drauf und dran, die Verhandlung zu vertagen, Zschäpes Anwälte verlangten schon lautstark nach einer Unterbrechung. Doch Schultze signalisiert mit einem deutlichen Nicken, dass er weiter aussagen will. Er ist angespannt und will diesen Teil der Aussage, auf dem der ganze Prozess basiert, hinter sich bringen. Schultze erinnert sich ziemlich gut, dass vom Trio der Wunsch nach einer leichten Handfeuerwaffe deutschen Fabrikats mit Munition kam. „Ich sollte dann zum Wohlleben gehen und dem sagen, dass ich die Waffe besorgen muss. Wohlleben schickte mich daraufhin zum Szeneladen von Andreas Schultz, der mir die Waffe aushändigte. Schultz hat mir die Waffe sogar noch unter den Sitz meines Wagens geschoben“, erinnert sich Schultze.

Aussagen Schultzes machen Zschäpe nervös

Wohlleben tippt nun hochkonzentriert jedes Wort in seinem Laptop mit. Wenn Schultze eine Pause macht, hört auch Wohlleben kurz auf mitzuschreiben und hält sich die linke Hand vor dem Mund. Sein linker Zeigefinger fährt über seine Lippen. Schultze erzählt: „Ich bin mit der Waffe im Zug nach Chemnitz gefahren. Die beiden Uwes haben mich vom Bahnhof abgeholt. Die beiden sind mit mir in ein Kaffee im Einkaufszentrum gegangen. Frau Zschäpe kam dazu und unterschrieb Anwaltszettel, die ich übergeben sollte.“ Wohlleben tippt währenddessen weiter und spitzt die Lippen. Zschäpe beißt ihre Zähne aufeinander und notiert auf einem karierten College-Block die Aussage. Schultze gesteht, dass die beiden Uwes mit ihm vom Café aus in ein leerstehendes Haus auf einer Baustelle gegangen seien, wo er ihnen die Waffe nebst Schalldämpfer übergeben habe. „Einer der beiden Uwes hat sofort an Ort und Stelle den Schalldämpfer auf die Pistole geschraubt, um auszuprobieren, ob auch alles passt. Er hantierte mit der Waffe. Ich nahm das Geld für die Waffe und ging allein zurück zum Bahnhof.“ Das Geld für die Waffe, 2500 Mark, habe er Wohlleben ausgehändigt, der davon unter anderem Telefonkarten für das Trio gekauft habe, sagt Schultze. Zschäpe rutscht tiefer in ihren Sitz. Sie wirkt angespannt. Mit ihren beiden Händen umfasst sie fest ihren Hals. Sie sieht so aus wie jemand, der sich selber erwürgen möchte.

„Haben Sie denn gefragt, wofür die Waffe sein soll, als der Wunsch nach der Beschaffung einer Pistole an Sie herangetragen wurde?“, hakt Richter Götzl nach. „Nein“, entgegnet Schultze. Er stockt und sagt dann mit weinerlicher Stimme: „Aber ich hatte so ein grundsätzlich positives Gefühl, was die drei betrifft. Ich hatte das Gefühl, die dreien seien in Ordnung.“ Entsetztes Murmeln im Publikum auf der Empore. Götzl pausiert kurz. Auch er ringt um Fassung. Er hakt nach: „Wieso denn ein gutes Gefühl, wenn Sie Waffe, Munition und Schalldämpfer besorgen sollten?“ – „Na ja, es ging ja immer nur um Orga oder Updates, da ging‘s nur um so harmlose Sachen.“ – „Aber was wussten sie denn über die drei, was die damit vorhatten?“, will Götzl wissen. „Nichts“, antwortet Schultze. „Ich wusste nicht mal, wo die wohnten oder was die machten.“ – „Aber weshalb dachten Sie denn, seien die drei untergetaucht?“, fragt Götzl ungläubig. „Ich meine, da mal was von einer aufgehängten Puppe mit einem Davidstern gehört zu haben. Aber mehr auch nicht“, redet sich Schultze raus.

„Deswegen taucht man doch nicht unter“, ist Götzl entsetzt. Er fragt: „Aber der Schalldämpfer, den Sie besorgen sollten, fängt man da nicht an, nachdenklich zu werden?“ Schultze schweigt. „Aber was haben Sie mit Wohlleben bezüglich der Tatwaffe gemacht?“, will Götzl schließlich wissen. Schultze sagt, er habe sich die Waffe gemeinsam mit Wohlleben nach dem Kauf noch einmal genau angeschaut, bevor er die Waffe schließlich bei sich zu Hause versteckte, bis er sie an dann an das NSU-Trio auslieferte. „Wohlleben trug schwarze Wildlederhandschuhe, als er die Waffe kontrollierte“, sagt Schultze. Wohlleben schluckt schwer.

Martin Lejeune berichtet exklusiv für das DTJ aus dem Münchener OLG vom NSU-Prozess. Er beobachtet das Gerichtsverfahren seit dem ersten Verhandlungstag.